Von Fischen und Autos
Bei der Hochseefischerei arbeitet die EU an einem Brexit-Deal: Alles soll so bleiben, wie es ist. Weil die EU die britischen Fanggründe braucht und die Briten die EU-Märkte. Warum kann das in anderen Bereichen nicht genauso leicht funktionieren?
Brexit

Von Fischen und Autos

Kommentar Bei der Hochseefischerei arbeitet die EU an einem Brexit-Deal: Alles soll so bleiben, wie es ist. Weil die EU die britischen Fanggründe braucht und die Briten die EU-Märkte. Warum kann das in anderen Bereichen nicht genauso leicht funktionieren?

Der Brexit kann ganz einfach sein, wenn beide Seiten es nur wollen. Sogar der ganz harte No-Deal-Brexit. Das zeigt das Thema Hochseefischerei.

Die größten und schönsten Fanggründe

Da steht für die Europäische Union der 27 viel auf dem Spiel. Mehr als für die Briten. Großbritannien ist eine Insel. Es hat von allen EU-Mitgliedern die längste Küste. Den Briten gehören auch die größten Seegebiete. Wo keine andere Küste stört, reicht die britische Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) 200 Seemeilen weit. Unter den Europäern verfügen die Briten über die größten und fischreichsten Fanggründe.

40 Prozent der Fänge machen die Briten, 60 Prozent die Europäer.

Le Monde

Von denen Europas andere Fischfangnationen regelrecht abhängen. Dank der EU-Fischfangquoten dürfen britische Fischer aus britischen Gewässern nur 40 Prozent des gesamten vereinbarten Fischfangs entnehmen. Die restlichen 60 Prozent gehen an acht andere EU-Mitglieder, die auch in britischen Gewässern fischen. Noch. Denn bei einem No-Deal-Brexit wäre mit der EU-Fischerei in britischen Gewässern Schluss. Theoretisch.

30 Prozent des deutschen Hochseefischfangs

Was eine Katastrophe wäre. Am härtesten betroffen wären französische Fischer. Sie holen etwa 55 Prozent ihres Fischfangs im Wert von gut 150 Millionen Euro (2015) aus britischen Gewässern. Auch 50 Prozent des Werts der belgischen und 30 Prozent des Werts der deutschen Hochseefischerei kommt aus britischen Seegebieten.

28 Prozent des Fanggewichts der Anlandungen deutscher Fischereifahrzeuge haben ihren Ursprung in der britischen AWZ − Tendenz steigend.

Studie für das Europaparlament

Die Republik Irland würde 32 Prozent ihres gesamten Fischfangs einbüßen. Deren Hochseefischerei trägt 14.000 Arbeitsplätze und 1,15 Milliarden Euro zur irischen Wirtschaft bei. Was auf Deutschland hochgerechnet fast 250.000 Arbeitsplätzen und etwa 20 Milliarden Euro entspräche. Keine Kleinigkeit.

Alles soll bleiben, wie es ist

Für viele EU-Hochseefischer geht es beim Brexit buchstäblich um die Existenz. Ende Januar hat die EU-Kommission darum einen Plan präsentiert: Bei der Hochseefischerei soll bis Ende 2019 schlicht alles beim alten bleiben. Brexit hin oder No-Deal-Brexit her. EU-Fischer sollen weiter in britischen Gewässern und britische Trawler weiter in EU-Seegebieten fischen dürfen. Auch bei den zuletzt vereinbarten Fangquoten soll es zunächst bleiben.

Für die Zeit danach muss die EU ein Abkommen mit Großbritannien anstreben. Nüchterne Empfehlung einer Studie vom Juni 2017 für den Fischereiausschuss des Europaparlaments: „Am sachdienlichsten wäre ein Fischereiabkommen, dass den Status quo beibehält.“ In der Tat.

Britische Fischer ohne Markt

Problem: Ausgerechnet die britischen Fischer sind besonders Brexit-begeistert. Am 23. Juni 2016 haben sie zu 92 Prozent für den Brexit gestimmt. Weil sie die EU-Fangquoten loswerden und die Kontrolle über die britischen Fanggründe zurückgewinnen wollten.

Die Hälfte des Fangs britischer Fischerboote wird im Rest der Europäischen Union verkauft.

Le Monde

Trotzdem könnte der EU-Plan klappen. Denn schon jetzt wird die Hälfte des Fangs britischer Fischer in der übrigen EU verkauft. Besonders viel nach Frankreich. Die EU-Fischer hängen zwar von den britischen Fanggründen ab. Aber die britischen Fischer für ihren frischen Fang ebenso sehr von den Märkten auf der anderen Seite des Kanals und den Fischessern dort. Gut möglich also, dass bei der Hochseefischerei Briten und EU-Kommission eine Brexit-Lösung finden, bei der sich tatsächlich nicht viel ändert. Alles eine Frage der wechselseitigen Interessen.

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Was den Beobachter in Bayern, fern jeder Hochseefischerei, nachdenklich stimmt: Warum kann bei den Autos nicht funktionieren, was bei den Fischen sehr wohl möglich ist? Der Ausgleich der wechselseitigen Interessen? Denn für die Autobauer in Deutschland – und Bayern – ist der britische Markt mindestens so wichtig wie die britischen Fanggründe für die französischen Fischer. Zur Erinnerung: Jedes fünfte Auto, dass in Deutschland produziert wird, wird in Großbritannien zugelassen. Auch die deutschen Autobauer haben sozusagen ihre Fanggründe − nicht in britischen Gewässern, aber auch in Großbritannien.