Das Ende des "Prager Frühlings": Truppen des Warschauer Paktes besetzten am 21. August 1968 die Tschechoslowakei. Zwischen Demonstranten und sowjetischen Panzern kam es zu Kämpfen. (Bild: imago/CTK Photo/Libor Hajsky)
50 Jahre

Das blutige Ende eines Frühlings

Am 21. August 1968, vor genau 50 Jahren, walzten Panzer des Warschauer Paktes den "Prager Frühling" nieder. Es war das brutale Ende des vom tschechoslowakischen KP-Chef Alexander Dubček eingeläuteten Reformprozesses.

Im Frühjahr 1968 versuchte Alexander Dubček, der Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten (KPČ) war, ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm in der Tschechoslowakei durchzusetzen – eine Art demokratischer Sozialismus als Mittelweg zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus. Dessen Ziele ähnelten durchaus denen der späteren Reformpolitik des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschows. Es war unter anderem der Versuch, die gescheiterte Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Elementen zu verbessern. Zudem wurde die Zensur aufgehoben, Gewerkschaften zugelassen und eine Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit angedacht. Der Begriff „Prager Frühling“ setzte sich aber erst später durch und wurde von westlichen Medien erfunden. Der Grund für Dubčeks Reformideen war nicht nur der eigenen Überzeugung geschuldet, sondern hauptsächlich einer dramatischen Wirtschaftskrise, die 1963 ihren Höhepunkt hatte.

1963 übernahm Dubček das Amt des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der Slowakei (KSS), die damals noch getrennt von den tschechischen Kommunisten (KPČ) war. Schon hier zeigte er erste liberale Ansätze, besonders in Fragen der Meinungsfreiheit. Es folgte ein mehrjähriger Machtkampf mit dem Ersten Sekretär der KPČ, Antonin Novotný. Auch die Gesellschaft entfernte sich in diesen Jahren geistig immer weiter aus dem Klammergriff des Kommunismus. Am 5. Januar 1968 löste Dubček Novotný als Ersten Sekretär (Generalsekretär) der KPČ ab und schlug rasch den Reformkurs ein. Zunächst versuchte er jedoch, nicht zu eifrig zu reformieren, um nicht Moskaus Misstrauen zu wecken. Auch Dubček erlaubte keine Oppositionsparteien, hob jedoch die Pressezensur auf und brachte ein umfassendes „Aktionsprogramm“ auf den Weg, das weitreichende Liberalisierungs- und Ansätze von Demokratisierungsmaßnahmen vorsah. Offiziell wurde aber immer betont, weiter Mitglied des Warschauer Paktes bleiben zu wollen und am Sozialismus festzuhalten. Immerhin war auch die Mehrheit des Volkes immer noch für einen reformierten und demokratischen Sozialismus, nur eben ohne übermächtige Führer und kalte Bürokraten – ganze 89 Prozent, dies ergab eine Umfrage im Juli 1968. Doch wie das mit der Freiheit so ist, wird sie erstmal genossen, will man mehr davon. So sollte nach dem Wunsch der Bevölkerung bald auch der Zentralismus und die Einparteienherrschaft der KPČ einem parlamentarischen System mit mehreren Parteien, Rechtsstaatlichkeit, Reise- und Meinungsfreiheit weichen. Erst nach der Wende gab der neben Dubček führende Kopf, der Wirtschaftsreformer und Vizeministerpräsident Ota Šik, zu, er habe nie an eine Reform des Sozialismus geglaubt, sondern diesen abschaffen wollen.

Die Invasion

Anfangs hatte die Sowjetunion noch den Wechsel zu Dubček begrüßt, doch schnell änderte sich diese Haltung. Man sah das eigene Imperium bedroht. Schon im März 1968 kamen die ersten Drohungen, den Reformkurs zu beenden. Auch mit einer Intervention wurde offen gedroht. Eine zusätzliche Provokation für die Sowjetunion stellte das am 27. Juni erschienene und von einigen Intellektuellen unterzeichnete „Manifest der 2000 Worte“ dar, das weitere politische und gesellschaftliche Reformen in der Tschechoslowakei forderte – einer der wichtigsten Texte des Prager Frühlings. Laut neueren Forschungen hat angeblich der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew sogar versucht, eine Invasion zu verhindern, konnte sich jedoch nicht gegen die Hardliner, insbesondere die aus der DDR und dem sowjetischen Militär, durchsetzen. Nach letzten vergeblichen Gesprächen mit der tschechoslowakischen Regierung am 3. August war es soweit. Einige willfährige tschechoslowakische Stalinisten hatten den üblichen „Hilferuf“ an das sowjetische „Brudervolk“ gesandt, man möge doch die „Konterrevolution“ im Lande niederschlagen. In der Nacht zum 21. August 1968 marschierten rund 500.000 Soldaten aus vier Staaten des Warschauer Paktes ein – Bulgarien, Ungarn, Sowjetunion und Polen, nur Rumänien beteiligte sich nicht.

Auch Truppen der DDR

waren schon in Marsch gesetzt und standen an der Grenze bereit. Sie wurden nur deshalb nicht eingesetzt, weil man es sogar in der skrupellosen sowjetischen Politik als nicht besonders stilvoll empfand, nach 1938 erneut deutsche Truppen in Prag einmarschieren zu lassen. Dieser Entschluss fiel aber erst wenige Stunden vor dem Einmarsch. Eine kleine Nachrichteneinheit der NVA war darum schon auf tschechischem Gebiet im Einsatz.

Die tschechoslowakische Führung forderte in einer Radioansprache dazu auf, Ruhe zu bewahren. Fast alle Tschechoslowaken leisteten dennoch geschlossen und gewaltlos, aber aktiv Widerstand. Mit Bussen, Baufahrzeugen und Bulldozern errichten sie Barrikaden. Frauen zogen ihre feinsten Kleider an und hängten ihre Handtaschen oder Blumen an die feindlichen Panzerkanonen. Die Bürger verweigerten den Gehorsam, leiteten Nachschubzüge auf falsche Gleise, drehten Straßenschilder in die falsche Richtung oder entfernten sie ganz, klebten Plakate gegen die Invasoren, diskutierten mit Panzerbesatzungen oder verspotteten die Besatzer. Bei vereinzelten Auseinandersetzungen und auch beim gewaltlosen Protest starben dennoch etwa 150 Menschen, hunderte weitere wurden verletzt. Panzer walzten teilweise gnadenlos über Menschen hinweg oder eröffneten das Feuer auf Demonstranten. Angeblich starben auch 50 Soldaten der Invasionstruppen.

Die Folgen des Einmarsches in der Tschechoslowakei

Nach dem Einmarsch des Warschauer Paktes wurde Dubček verhaftet und nach Moskau gebracht, schließlich aber doch zurückgeschickt. Die Reformen musste er, der anfangs noch im Amt belassen wurde, sofort zurücknehmen. Eine Säuberungswelle folgte und vielen Kommunisten wurde das Parteibuch entzogen. Mehr als 150.000 Menschen flohen in den Westen, viele auch nach Bayern. Im Land wurden sowjetische Truppen stationiert, auch dem musste Dubček zustimmen.

Am 16. Januar 1969 verbrannte sich der Student Jan Palach auf dem Prager Wenzelsplatz aus Protest selbst, einen Monat später ein weiterer Student. An Palachs Todestag versammelten sich spontan 200.000 Menschen in Prag. In seinem heimlich verbreiteten Abschiedsbrief standen folgende Worte:

Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen, unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln. Unsere Gruppe ist aus Freiwilligen gebildet, die dazu bereit sind, sich für unser Anliegen selbst zu verbrennen. Die Ehre, das erste Los zu ziehen, ist mir zugefallen, damit erwarb ich das Recht, den ersten Brief zu schreiben und die erste Fackel zu entzünden.

Über die Gruppe ist nie etwas bekannt geworden, vielleicht wollte Palach damit nur den Druck auf die Kommunisten erhöhen. Kurz vor seinem Tod in der Klinik durch die schweren Brandverletzungen forderte der Student aber noch, man solle seinem Beispiel nicht folgen und lieber „lebendig zum Kampfe“ beitragen.

Dubček musste am 17. April 1969 als Parteichef der KPČ zurücktreten. Zunächst wurde er noch Parlamentspräsident bis Ende 1969, dann Botschafter in der Türkei. Schon 1970 wurde er aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen. Danach arbeitete er in der Forstverwaltung von Bratislava. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurde Dubček rehabilitiert und gemeinsam mit dem tschechischen Dissidenten Václav Havel eine der beiden Hauptpersonen der sogenannten „Samtenen Revolution“. Am 28. Dezember 1989 wurde er wieder Präsident des nun demokratischen tschechoslowakischen Parlaments. Dubček starb im November 1992 an den Folgen eines Autounfalls und wurde in der slowakischen Hauptstadt Bratislava beigesetzt.

Die Folgen für die Welt

Die NATO musste dem Einmarsch tatenlos zusehen. Jede Hilfe war wegen der atomaren Bedrohung völlig ausgeschlossen. Am 12. November 1968 erließ der sowjetische Parteichef seine „Breschnew-Doktrin“, die von einer beschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten sprach und eine neue Erstarrung der beiden Blöcke im „Kalten Krieg“ auslöste. Sie gab allein der Sowjetunion das Recht einzugreifen, wenn in einem dieser Staaten der Sozialismus „bedroht“ würde. Damit wurde zugleich nachträglich die Besetzung der Tschechoslowakei gerechtfertigt. China, Rumänien, Albanien und Jugoslawien wiesen diesen Anspruch zurück, die SED-Führer der DDR akzeptierten ihn dagegen klaglos. Erst 1988 wurde die Breschnew-Doktrin offiziell aufgehoben.

Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz kann es nie geben.

Sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Slowakei wird der „Prager Frühling“ heute zum Teil als unvorsichtige Politik gewertet, die die Tschechoslowakei danach zu einem der repressivsten kommunistischen Staaten überhaupt werden ließ. Andere sehen darin gar nur einen Zwist zweier kommunistischer Flügel, die aber dennoch diesem System treu bleiben wollten. Dabei wird aber übersehen, dass Dubceks „dritter Weg“ vermutlich unweigerlich in eine Demokratie geführt hätte. Zu schnell entwickelte sich in breiten Schichten der Bevölkerung der Wunsch, nun alle Freiheiten zu genießen. Jede dieser Freiheiten, zumindest aber ein Mehrparteiensystem, hätte den Sozialismus zweifellos beendet. So hat der tschechische Reformer eines endgültig bewiesen: Einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie ihn danach auch ein Teil der bundesdeutschen Linken (bis heute) propagierten, kann es nie geben. Wer den Sozialismus vermenschlichen will, muss ihn beseitigen. Denn der Allmachtsanspruch dieser Ideologie, das Gleichmachen von Ungleichem, das zwangsweise zum Scheitern verurteilte Wirtschaftskonzept und die Idee, den Menschen jede Eigenverantwortung zu nehmen, führt zwangsläufig immer in die Diktatur.