Edmund Stoiber, Ehrenvorsitzender der CSU und ehemaliger Bayerischer Ministerpräsident (Foto: BK/Nikky Maier).
Kolumne

Für eine europäische Weltpolitik

Kolumne Der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber mahnt angesichts der wachsenden internationalen Spannungen die Staaten der Europäischen Union zu mehr Gemeinsamkeit in verteidigungs- und außenpolitischen Angelegenheiten.

Seit über drei Jahrzehnten nehme ich fast jedes Jahr an der Münchner Sicherheitskonferenz teil, das erste Mal 1979 mit Franz Josef Strauß, als sie noch Münchner Wehrkundetagung hieß. Ich habe dort alles erlebt, von konstruktiven Gesprächen bis zu erregten Diskussionen, ja sogar Beschimpfungen. Aber es ist ja ein Vorteil der Sicherheitskonferenz, dass sich Konfliktparteien auf hoher und höchster Ebene in einer konstruktiven Umgebung austauschen können. Doch so dramatisch und besorgniserregend wie in diesem Jahr habe ich die Atmosphäre auf der Sicherheitskonferenz noch nie empfunden. Dabei meine ich nicht nur den Schlagabtausch zwischen Israel und Iran, der den Konflikt im Nahen Osten weiter anheizt. Vor allem ist an allen Ecken und Enden zu spüren, dass die einstige Führungsmacht USA nicht mehr führen will und die Rolle der „Weltpolizei“ zunehmend anderen überlässt. Dazu passt, dass der einzige hochrangige amerikanische Redner in München der Sicherheitsberater von Trump, Herbert McMaster war. Er spielt in der Trump-Administration sicher eine wichtige Rolle, aber in früheren Jahren war meistens der amerikanische Vizepräsident anwesend, oft begleitet von Verteidigungs- und Außenminister.

Chinas globale Ambitionen

Die Weltlage hat sich also dramatisch verändert, die Spannungen nehmen zu. Die unipolare Weltordnung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, mit der weltpolitischen Dominanz der USA, ist Geschichte. In das Machtvakuum stoßen andere, vor allem Russland und China. Russland hat sich vor allem durch sein militärisches Eingreifen in Syrien wieder neue außenpolitische Geltung verschafft. Und mit China tritt nach über 400-jähriger Abstinenz auf der Weltbühne ein Akteur ins Rampenlicht, der, wie es Außenminister Sigmar Gabriel treffend ausgedrückt hat, „das einzige Land der Welt mit einer wirklichen globalen geostrategischen Idee“ ist. Seine gigantische wirtschaftliche Investitionsbereitschaft in aller Welt – Stichwort Neue Seidenstraße – und die beschleunigte militärische Aufrüstung machen aus China einen ernst zu nehmenden Bewerber um die weltweite politische und gesellschaftliche Dominanz.

Europa ist zwar wirtschaftspolitisch ein Riese, außen- und sicherheitspolitisch aber nicht.

Edmund Stoiber

Und Europa? Jean-Claude Juncker hat auf der Sicherheitskonferenz zu Recht die „Weltpolitikfähigkeit“ Europas angemahnt. Die ist im Moment nicht vorhanden: Europa ist zwar wirtschaftspolitisch ein Riese, außen- und sicherheitspolitisch aber nicht. In keiner weltpolitischen Krise, sei es in Syrien, Nordkorea oder der Ukraine hat die EU irgendeine herausgehobene diplomatische oder gar militärische Rolle gespielt. Das Minsker Abkommen über die Ostukraine kam nur durch die Initiative Deutschlands unter Mitarbeit Frankreichs zustande, nicht aber durch die EU. Selbst der russische Außenminister Lawrow hat in München zu mehr Zusammenarbeit mit der EU aufgerufen und sie ermuntert, außenpolitische Stärke zu zeigen.

Streit um das Zwei-Prozent-Ziel

Es war auf der Sicherheitskonferenz im Grundsatz unstrittig, dass Europa einen neuen Schub der Zusammenarbeit in den großen Außen- und Sicherheitsfragen braucht. Das zu bewerkstelligen ist aber eine riesige Herausforderung. Zwar hat die EU mit der Vereinbarung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik (PESCO) einen wichtigen Schritt nach vorne getan. Aber das Grundproblem ist damit nicht gelöst. Frankreich und Deutschland, die für die Funktionsfähigkeit der EU zentral wichtigen Länder, haben bei aller Gemeinsamkeit zum Teil verschiedene Auffassungen von Außen- und Sicherheitspolitik.

Es geht um die Bewahrung der demokratischen Errungenschaften europäischer Prägung: Freiheit, Menschenrechte, Toleranz.

Edmund Stoiber

Während sich Deutschland nach seinen schrecklichen Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu einem pazifistischen Land entwickelt hat und sich mit einer aktiven militärischen Rolle in der Welt grundsätzlich eher zurückhält, sehen sich die Franzosen in der Tradition der „Grande Nation“ als gestaltende Nuklear- und Militärmacht, die sich auch nicht scheut, mit militärischen Vergeltungsschlägen zu drohen, wie im Syrien-Konflikt geschehen. Frankreich ist fest entschlossen, das NATO-Ziel umzusetzen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Sigmar Gabriel hingegen macht mit Hinweis auf die deutsche Vergangenheit geltend, dass Deutschland als militärische Führungsmacht in Europa nicht gerne gesehen wäre.

Misstrauen in Osteuropa

Ein zweites Konfliktfeld kommt hinzu: Während sich die westeuropäischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg zu liberalen Demokratien entwickelt haben, standen die osteuropäischen Länder bis Ende der Achtziger bzw. Anfang der Neunziger Jahre unter der Knute der Sowjetunion. Das bedingt gerade in Falle Polens und Ungarns ein grundlegendes Misstrauen gegenüber zentralistischen Vorgaben, seien sie aus Moskau oder Brüssel. Vor diesem Hintergrund sprechen die Länder Europas strukturell bedingt in der Außen- und Verteidigungspolitik zu wenig mit einer Stimme.

Aber Europa hat keine andere Wahl, als in diesen Fragen einiger zu werden. Es geht auch um die Bewahrung der demokratischen Errungenschaften europäischer Prägung: Freiheit, Menschenrechte, Toleranz. Denn mit dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht wird erstmals eine umfassende Systemalternative zur westlichen Demokratie aufgezeigt, die auch in Europa bei dem einen oder anderen Widerhall finden könnte. Das dürfen wir nicht zulassen. Die EU muss deshalb in der Welt ein attraktives und respektiertes Vorbild bleiben. Das geht nur mit mehr Europa in den großen Fragen wie der Inneren und Äußeren Sicherheit, aber zugleich weniger Europa in den kleinen Fragen.