Ankaras Krieg gegen die Kurden
Der Islamische Staat ist besiegt. Trotzdem kommt Syrien dem Frieden nicht näher. Jetzt intensiviert Ankara seinen Krieg gegen die Kurden – auf syrischem Territorium. Doch die Kurden sind gut bewaffnet und haben nichts zu verlieren.
Syrien

Ankaras Krieg gegen die Kurden

Der Islamische Staat ist besiegt. Trotzdem kommt Syrien dem Frieden nicht näher. Jetzt intensiviert Ankara seinen Krieg gegen die Kurden – auf syrischem Territorium. Doch die Kurden sind gut bewaffnet und haben nichts zu verlieren.

Wenn sich der türkische Präsident Recep Erdogan mit seiner Militäraktion gegen die de facto autonome Kurdenprovinz im Norden Syriens nur nicht verrechnet. Nach zweitätigen Bombenangriffen und mehrtägigem Artilleriefeuer sind am vergangenen Sonntag türkische Bodentruppen auf syrisches Territorium und in die Kurden-Enklave Afrin vorgestoßen.

Ziel der „Operation Olivenzweig“ sei die Errichtung einer 30 Kilometer tiefen „Sicherheitszone“, erklärte der türkische Premierminister Binali Yildirim. Sie soll von Afrin bis zur knapp 200 Kilometer weiter östlich gelegenen Stadt Manbidsch reichen – und das Gebiet der syrischen Kurden entlang der Grenze zur Türkei endgültig zerreißen. Auch Manbidsch wird – noch – von Kurden kontrolliert.

Ankaras Albtraum

Dass Ankara jetzt zur Tat schreitet, ist kein Zufall. Als wichtigste Bodentruppen der von den USA geführten Koalition gegen den Islamischen Staat hat die Kurdenmiliz YPG im Nordosten Syriens große Gebiete erobert.

Für Ankara, das die YPG als syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terroristen betrachtet, ein Albtraum: Wenn es den syrischen Kurden gelänge, die Verbindung zwischen Afrin und dem übrigen de facto autonomen syrisch-kurdischen Territorium entlang der Grenze zur Türkei herzustellen, hätte Ankara praktisch keinen Zugang mehr zu Syrien und zur arabischen Welt. Von der Wirkung kurdischer Autonomie in Syrien auf die türkischen Kurden nicht geredet. Und: Krieg gegen Kurden, damit kann Erdogan auch innenpolitisch bei den vielen Ultra-Nationalisten des Landes punkten.

Für Syriens Diktator Bashar Assad und die mit ihm verbündeten Russen sind die Kurden ebenfalls ein wachsendes Ärgernis. Was der Grund dafür ist, dass die Russen ihre Soldaten aus der Region Afrin zurückgezogen haben und den Türken vorläufig offenbar freie Hand lassen. Presseberichten zufolge hat der türkische Generalstabschef seine Afrin-Offensive am vergangenen Wochenende sogar in Moskau abgesprochen.

Moskaus Kalkül

Das Kalkül der Russen, die bislang die Kurden unterstützten und in Afrin sogar schützten, ist offensichtlich: Sie wollen ein weiteres Erstarken der Kurden und die territoriale Schwächung des Assad-Regimes begrenzen. Zugleich ist es Moskau nur recht, wenn sich in Syrien die Gegensätze zwischen den Nato-Partnern Ankara und Washington vertiefen.

Tatsächlich steckt Washington in der Klemme: Den Bruch mit der Türkei, die in der Region ein unverzichtbarer strategischer Partner ist, kann es sich nicht erlauben. Gleichzeitig sind die Amerikaner der wichtigste Verbündete der syrischen Kurden, die im Kampf gegen den Islamischen Staat am Boden eine entscheidende Rolle gespielt haben – ganz im Gegensatz zum Erdogan-Regime, das immer wieder sogar der Unterstützung von Islamisten verdächtigt wurde. Wenn Washington jetzt die Kurden fallen lässt, verspielt es Vertrauen in der Region – und eben seine wichtigsten Bodentruppen.

Türkisch-russischer Gegensatz

Wie lange der russisch-syrische Gleichmut gegenüber Ankara anhält, muss sich dennoch zeigen: Beobachtern zufolge setzen die Türken am Boden stark auf syrische Rebellen – unversöhnliche Assad-Gegner. Andererseits: Zwei Truppen, die Assad Widerstand leisteten, bekämpfen sich nun, das kann Russland nur recht sein. Im vergangenen Dezember noch nannte auch Erdogan den syrischen Diktator einen Terroristen, der für Syriens Zukunft keine Rolle spielen könnte. Was man in Moskau ganz anders sieht. Nichts ist einfach in Syrien, wo alle Verbindungen über Kreuz gehen und alle Akteure einander widerstreitende Ziele verfolgen.

Kampferprobte Kurden

Was für Ankara zum Problem werden könnte: Die Kurden-Miliz YPG ist kampferprobt und von den Amerikanern gut bewaffnet. Sie hatten viele Jahre Zeit, um sich auf den türkischen Angriff vorzubereiten. Der Krieg gegen den Islamischen Staat ist so gut wie abgeschlossen. Die kurdischen Kämpfer sind verfügbar – und haben nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Der New York Times zufolge sammeln sich schon hunderte kurdische Kämpfer aus den von den Amerikanern unterstützten syrisch-kurdischen SDF-Milizen östlich und südlich von Afrin. Tausend weitere syrische SDF-Milizionäre aus Raqqa sollen sich in Manbij auf türkische Angriffe vorbereiten.

Ein Spaziergang wird die Operation für die Türkei sicher nicht.

Neue Zürcher Zeitung

Für die Kurden geht es um alles oder nichts. Sie werden es den türkischen Truppen nicht leicht machen. Beobachtern zufolge sind die türkischen Bodentruppen am ersten Tag ihrer Offensive nicht sehr weit gekommen. Dafür sind prompt Raketen und Artilleriegeschosse auf türkischem Gebiet eingeschlagen.

Türkische Wut

Wenn es um die Kurden geht, kennt türkische Wut keine Grenzen und keine Verbündeten mehr. Das hat jetzt auch Paris erfahren. Auf Forderung Frankreichs ist an diesem Montag in New York der UN-Sicherheitsrat zur Sondersitzung zusammen gekommen. Die Franzosen wollen über einen umfassenden Waffenstillstand und bedingungslosen Zugang für humanitäre Hilfe in Nordsyrien reden. Reaktion des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu: Wenn Frankreich oder ein anderes Land den Einsatz vor die Uno bringe, stehe es nicht als Verbündeter an der Seite der Türkei, sondern vielmehr an der Seite einer Terrororganisation und werde von der Türkei entsprechend behandelt.