Im Epizentrum: Der Felsendom mit seiner Goldkuppel auf dem Tempelberg in Jerusalem. Daneben ein Minarett der Al-Aqsa-Moschee. (Bild: Imago/Ron Sachs/Consolidated News Photos)
Jerusalem

Ein politisches Erbeben

Die USA werden Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen – trotz internationalen Protestes und vieler Warnungen. US-Präsident Donald Trump will diese Entscheidung offenbar im Alleingang durchsetzen. Es droht ein Flächenbrand in Nahost.

US-Präsident Donald Trump werde die umstrittene Anerkennung im Laufe des Tages bekanntgeben und das Außenministerium mit den Vorbereitungen zum Verlegen der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem beauftragen. Trump hatte das schon im Wahlkampf versprochen. Rechts-religiöse Israelis feierten ihn nach seinem Wahlsieg wie einen Heilsbringer. Bisher war Trump jedoch vor diesem Schritt zurückgeschreckt, der mit der traditionellen US-Politik bricht. Der Schritt würde faktisch einer Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels gleichkommen.

Der US-Kongress hatte zwar bereits 1995 ein Gesetz beschlossen, das die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem vorsieht. Seitdem haben aber alle US-Präsidenten alle sechs Monate ein Dekret unterzeichnet, das die Gültigkeit des Gesetzes aussetzt. Den jüngsten Termin hat Trump verstreichen lassen. Auch wenn es noch viele Jahre dauern wird, bis ein Grundstück gefunden und dann ein Bau errichtet wird: Es droht ein politisches Erbeben im Nahen Osten, ein Flächenbrand.

Palästinenser: „Tage des Zorns“

Trump informierte den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas am Telefon über seine Absicht, wie die offizielle palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete.

Es wird schwerwiegende Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Friedensprozess sowie auf Sicherheit und Stabilität in der Region geben.

Mahmud Abbas, Palästinenserpräsident

Abbas warnte den US-Präsidenten „vor den schwerwiegenden Auswirkungen dieser Entscheidung auf den Friedensprozess sowie Sicherheit und Stabilität in der Region und der Welt“, wie sein Sprecher mitteilte. Die Palästinenser haben zu drei „Tagen des Zorns“ und Protesten vor US-Einrichtungen aufgerufen, die am Mittwoch beginnen sollen. Die Palästinenserführung in Ramallah hat für den Fall der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt vor dem endgültigen Kollaps aller Friedensbemühungen mit Israel gewarnt.

Alle warnen vor Anerkennung

Auch die Weltgemeinschaft hat Trump einhellig vor der Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt gewarnt. Viele Anrainer in Nahost, aber auch Länder wie Deutschland oder Frankreich verwiesen auf das gewaltige Eskalationspotenzial einer solchen Entscheidung. Die Arabische Liga berief eine Dringlichkeitssitzung ein, die Organisation für Islamische Kooperation (OIC) einen Sondergipfel. „Auf diesem Gipfel werden wir die gesamte islamische Welt in Bewegung setzen“, so der türkische Diktator Recep Erdogan. „Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie der Muslime.“ Auch Papst Franziskus hat nachdrücklich vor einer Anerkennung gewarnt. Alle Parteien müssten den „Status Quo“ der Stadt respektieren, „wie es die entsprechenden Resolutionen der UN vorsehen“, sagte der Pontifex in Rom.

Eine Lösung der Jerusalem-Problematik kann nur durch direkte Verhandlungen zwischen beiden Parteien gefunden werden.

Position der Bundesregierung

Deutschland positionierte sich klar. „Eine Lösung der Jerusalem-Problematik kann nur durch direkte Verhandlungen zwischen beiden Parteien gefunden werden“, so Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). „Alles, was sozusagen die Krise verschärft, ist kontraproduktiv in diesen Zeiten.“ Das immense Konfliktpotenzial Jerusalems sei seit langem bekannt. Die Bundesregierung warnt jetzt vor Besuchen in Jerusalem, Gaza und dem Westjordanland: „Gewalttätige Auseinandersetzungen können nicht ausgeschlossen werden.“

Immer wieder Gewalt

Ein mit der moslemischen Verwaltung abgestimmter Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg hatte im Jahr 2000 die zweite „Intifada“ mit ausgelöst, die sich entgegen verbreiteter Meinung aber schon Wochen vorher erhoben hatte. Scharon wollte mit seinem Besuch deutlich machen, dass Israel die Kontrolle über ein vereintes Jerusalem behalten müsse. Zugleich sprach er sich dort für ein friedliches Zusammenleben mit den Palästinensern aus. In der Folge kam es dennoch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die mehr als 3000 Palästinenser und 1000 Israelis das Leben kostete.

Im Herbst 2015 löste ein Streit um Nutzungs- und Besuchsrechte eine neue Gewaltwelle aus. Seither starben rund 50 Israelis bei palästinensischen Attacken, meist mit Messern geführt. Rund 300 Palästinenser wurden getötet, die meisten bei ihren eigenen Anschlägen. Im Juli 2017 war es dann zu einem heftigen Gewaltausbruch gekommen, als Israel am Tempelberg Metalldetektoren aufstellte.

Israels Armee stellt sich nun auf neue Gewalt ein. Der palästinensische Analyst Dschihad Harb rechnet mit einer „starken Reaktion“ der Palästinenser im Falle der Anerkennung. „Sie werden eine harte Position einnehmen und alle Kontakte mit den USA abbrechen“, glaubt er.

Die Konfliktlinien

Im ersten Nahost-Krieg 1948 besetzten der neu gegründete Staat Israel den westlichen und Jordanien den östlichen Teil Jerusalems. 1967 eroberte Israel auch den Ostteil im Sechs-Tage-Krieg und annektierte ihn später. Es beansprucht die ganze Stadt als seine „ewige, unteilbare Hauptstadt“. Die Palästinenser sehen dagegen in Ost-Jerusalem die Hauptstadt eines künftigen unabhängigen Staates zusammen mit dem Westjordanland und dem Gazastreifen.

In ganz Jerusalem leben etwa 866.000 Menschen, davon 542.000 Juden und 323.700 Araber. West-Jerusalem ist jüdisch geprägt, Ost-Jerusalem arabisch. Dort leben aber auch schätzungsweise mehr als 200.000 israelische Siedler. (dpa/BK)

Zankapfel Jerusalem

Brennpunkt der religiösen Spannungen in Jerusalem ist der im Ostteil gelegene Tempelberg in der Altstadt, mit Felsendom (mit der vergoldeten Kuppel) und Al-Aqsa-Moschee – für Muslime das drittwichtigste islamische Heiligtum. Hier standen ehemals aber jüdische Tempel: An der allein stehengebliebenen Westmauer (Klagemauer) dieses ehemaligen jüdischen Tempelbezirks beten deshalb die Juden. Auch für die Christen sind viele Stätten in der Stadt heilig, vorrangig die Grabeskirche in der Altstadt.