Junckers Leichtsinn
Brisante Vorschläge, gefährliche Eile: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will den Euro in allen EU-Staaten einführen und die Schengenzone ohne Grenzkontrollen auf die gesamte EU ausdehnen – so schnell wie möglich.
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Junckers Leichtsinn

Kommentar Brisante Vorschläge, gefährliche Eile: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will den Euro in allen EU-Staaten einführen und die Schengenzone ohne Grenzkontrollen auf die gesamte EU ausdehnen – so schnell wie möglich.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lernt aus Krisen nichts – oder das Falsche. Dabei liegen die Lektionen auf der Hand: Die Euro-Krise war die Folge der überstürzten Aufnahme eines krass untauglichen Landes in die Eurozone – Griechenland. Die große Migrantenkrise hat den grenzenlosen Schengen-Raum ins Chaos gestürzt, weil dessen Außengrenzen völlig offen waren und sind – in Griechenland und Italien. Macht nichts. Jetzt will Juncker Eurozone und Schengen-Raum weiter ausdehnen, und wieder so schnell wie möglich.

„Meine Hoffnung ist, dass die Europäerinnen und Europäer am 30. März 2019 in einer Union aufwachen, … in der es für alle EU-Mitgliedsstaaten die Norm ist, Mitglied des Euroraums, der Bankenunion und des Schengen-Raums zu sein.“ So Juncker in seiner Rede zur Lage der Union. Soll heißen: Am Tag nach dem Brexit sollen möglichst alle übrigen 27 EU-Länder den Euro haben und dem Schengen-Raum angehören. In anderthalb Jahren.

Nicht zum Euro-Referendum zwingen

Es stimmt schon, den Verträgen nach müssen alle EU-Länder den Euro übernehmen. Sieben EU-Mitglieder haben das noch nicht getan – weil sie ein Ausnahmerecht haben wie Dänemark und Großbritannien oder weil sie in puncto Inflation, Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung die Kriterien nicht erfüllen. Einige könnten theoretisch beitreten, aber wollen nicht.

Die Dänen etwa haben im Jahr 2000 per Referendum gegen den Euro gestimmt – lange vor der Euro-Krise. Die Schweden haben 2003 darüber abgestimmt und sind seit der Griechenland-Krise kaum Euro-begeisterter geworden. Will Juncker nun allen Ernstes die Dänen und die Schweden zur Neuabstimmung nötigen und die nächsten Anti-EU-Kampagnen entfachen? Nur um dann das nächste krachende „Nein“ zu kassieren und die EU in die nächste Vertrauenskrise zu stürzen?

Riskante oder unwillige Euro-Kandidaten

Bulgarien und Rumänien sind erst seit 2007 EU-Mitglieder und die ärmsten Länder der Union. Kroatien, Mitglied seit 2013, hat 84 Prozent Staatsverschuldung und 11 Prozent Arbeitslosigkeit – ein Krisenland. Die Eurozone kann mit den drei Ländern noch eine ziemliche Weile wenig gewinnen, aber viel verlieren.

Tschechen, Polen und Ungarn zögern seit Jahren mit dem Euro, aus guten oder schlechten Gründen. Erst müsse die Eurozone beitrittsreif werden, hieß es vor zwei, drei Jahren aus Warschau, mitten in der Euro-Krise. Was man verstehen konnte.

Brüssel sollte den Noch-Nicht-Euro-Ländern alle Zeit geben, die sie brauchen oder wollen. Wenn sie dann kommen, weil der Euro so lockt, dann wäre das der schönste Triumph – für den Euro und die EU. Wer sie jetzt drängt oder ihnen auch nur eine Diskussion aufzwingt, riskiert neue Gefahr für die ganze Europäische Union.

Offene Schengen-Außengrenzen

Mit dem Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen ist es ähnlich. Er kann nur funktionieren, wenn die Schengen-Außengrenzen wirklich dicht sind. Wenn dort jene Kontrollen stattfinden, auf die im Inneren verzichtet werden soll. Davon ist die EU meilenweit entfernt.

Aktuelles Hauptproblem ist nicht die Erweiterung des Schengen-Raums, sondern eine Frage mit Potential zur Krise: Wie geht es weiter nach dem 31. Oktober, wenn die zweijährige Frist endet, die Deutschland, Österreich, Frankreich und anderen erlaubt hat, das Schengener Abkommen zu suspendieren und zu regulären Grenzkontrollen zurückzukehren?

In der EU hängt alles mit allem zusammen

Juncker übersieht etwas: In der EU hängt immer alles mit allem zusammen. Etwa der Euro mit Schengen. Denn Länder, die fürchten, im grenzenlosen Schengen-Raum von der nächsten Migrantenwelle aus Afrika überrollt zu werden, werden kaum den Euro übernehmen – und sich unauflöslich an die Europäische Union binden.

Man kann Junckers Kommission also nur zurufen: Schützt die Grenzen, macht Europa sicher, wirklich sicher – und dann werden alle mit Begeisterung durch ihr grenzenloses Euro-Europa fahren wollen. Vielleicht kommen dann sogar die Briten wieder.