Geisterfahrer in Brüssel
Die EU-Kommission will die Sondergenehmigung für Grenzkontrollen nicht verlängern – und riskiert die nächste Krise. Die Regierungen in Paris, Berlin oder Wien können kaum hinnehmen, dass wieder viele Migranten über offene Binnengrenzen einreisen.
Grenzkontrollen

Geisterfahrer in Brüssel

Kommentar Die EU-Kommission will die Sondergenehmigung für Grenzkontrollen nicht verlängern – und riskiert die nächste Krise. Die Regierungen in Paris, Berlin oder Wien können kaum hinnehmen, dass wieder viele Migranten über offene Binnengrenzen einreisen.

Die EU-Kommission will offenbar mit aller Macht die Menschen wütend machen. Anders kann man sich die jüngste Brüsseler Äußerung zum Thema Grenzkontrollen kaum erklären.

Doch der Reihe nach: Seit 1995 darf es dem Schengener Abkommen zufolge an den Grenzen zwischen Mitgliedländern keine Personenkontrollen mehr geben. In Krisen- und Sondersituationen dürfen die Mitgliedsländer in Brüssel Ausnahmen beantragen und dann an ihren Grenzen doch wieder dauerhafte stationäre Personenkontrollen durchführen – maximal zwei Jahre lang. Für die im Zuge der Zuwanderungswelle eingeführten Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze läuft diese Frist am 11. November aus, für die an der französisch-italienischen Grenze am 15. November.

Ende der Grenzkontrollen am 11. November?

Völlig ungerührt erklärt nun eine Kommissionsprecherin, dass die EU-Kommission diese Frist auf keinen Fall verlängern wird: „Wir empfehlen ein Auslaufen der Kontrollen.“ Die aktuelle Verlängerung der Sondergenehmigung bis zum 11. November sei die letzte. Es gebe andere Möglichkeiten als Grenzkontrollen, um für Sicherheit zu sorgen.

Die EU hat das Durcheinander an den Außengrenzen in zwei Jahren nicht annähernd lösen können.

Ministerpräsident Horst Seehofer

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: In zwei Jahren ist die EU beim konsequenten Schutz der EU-Außengrenzen – oder wenigstens der Schengen-Außengrenzen – keinen Schritt weiter gekommen. Die Außengrenzen sind löchrig wie ein Schweizer Käse. Besserung ist nicht in Sicht. Siehe Griechenland, siehe Italien. Brüssel hat versagt – aber will jetzt das Ende der Grenzkontrollen.

In Libyen warten Hunderttausende – oder gar Millionen – Afrikaner auf Schlepper-Transport nach Italien. In Griechenland sitzen über 60.000 Migranten fest – und wollen in der Regel nach Deutschland. In Italien halten nur massive Kontrollen an der Côte d’Azur, bei Como und am Brenner etwa 200.000 afrikanische Migranten vom Durchmarsch nach Norden oder nach Calais ab. Französische Grenzer schicken jede Woche Hunderte Migranten nach Italien zurück. Österreich setzt am Brenner schon Militär ein.

Aber Brüssel besteht auf der Öffnung der Grenzen.

EU-Kommission gegen Europa

Und wird damit eine schwere politische Krise heraufbeschwören – zwischen der Kommission und einigen Mitgliedsländern, die Brüssel den Gehorsam verweigern werden, verweigern müssen. Denn die Menschen, etwa in Frankreich, Österreich und Deutschland, werden kein Verständnis dafür haben, wenn ihre Regierungen heute oder am 11. oder am 15. November schulterzuckend die Grenzen öffneten – und die nächste große Zuwanderungswelle einfach geschehen ließen.

Das zeigt, wie wenig Bezug die zu den Befindlichkeiten der Bevölkerung haben.

Horst Seehofer

Die Sache ist ganz einfach und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bringt es auf den Punkt: „Solange die europäischen Außengrenzen nicht wirksam geschützt werden, kann man auf nationale Grenzkontrollen nicht verzichten.“ Der Ball liegt im Feld der EU-Kommission. Jeder kann das sehen. Nur die politischen Geisterfahrer in Brüssel nicht.