Ankara hat Streit mit Österreich und nimmt die Nato in Geiselhaft. (Bild: imago/ imageBROKER/MoritzxWolf)
Nato

Ankaras Kampagne gegen Österreich

Eklat vor dem Brüsseler Nato-Gipfel: Weil Österreich es wagt, die Türkei und Präsident Erdogan offen zu kritisieren, hat Ankara monatelang die Nato blockiert. Und vorerst gewonnen: Österreich wird von Nato-Partnerschaftsprogrammen ausgeschlossen.

Wer es wagt, die Türkei zu kritisieren oder gar ihren bald fast allmächtigen Präsidenten Recep Erdogan, der muss mit dem Schlimmsten rechnen. Das gilt für Einzelpersonen, aber auch für ganze Länder – und besonders für kleine Länder. Das erfährt jetzt die Republik Österreich. Weil Wien sich offen gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausspricht, hat Ankara die ganze Nato in Geiselhaft genommen. Mit Erfolg: Weil die Türkei es so will und weil die Nato nicht mehr anders kann, wird nun Österreich aus dem „Partnership for Peace”-Progamm des Bündnisses weitgehend ausgeschlossen.

Ich werde nun auf allen Ebenen und bei allen Themen gegen Österreich vorgehen.

Mevlüt Cavusoglu, Türkischer Außenminister

„Ich werde nun auf allen Ebenen und bei allen Themen gegen Österreich vorgehen.“ Die Drohung kam im vergangenen Dezember vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Er hat es bitter ernst gemeint. Und wahrscheinlich ist Ankaras Wut noch lange nicht verraucht. Die Geschichte geht weiter. Bestimmt.

Ankaras Wut auf Österreich

Was ist passiert? Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im vergangenen Juli hatte Wien es gewagt, Kritik zu äußern an Massenverhaftungen und an der Einschränkung von Freiheitsrechten durch Ankara. Im August forderte Österreichs SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern sogar, beim nächsten EU-Gipfel den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu diskutieren: „Die Beitrittsverhandlungen, wie sie jetzt laufen, sind eigentlich nur noch eine diplomatische Fiktion. Wir wissen, dass die demokratischen Standards in der Türkei bei weitem nicht ausreichen.“ In einem TV-Interview führte Kern außerdem wirtschaftliche Argumente gegen einen türkischen EU-Beitritt ins Feld: „Mindestens so gravierend ist auch die wirtschaftliche Frage, weil die Volkswirtschaft der Türkei so weit weg von einem europäischen Durchschnitt ist, da gibt es solche wirtschaftlichen Disparitäten, dass wir einen Beitritt schon aus einfachen ökonomischen Gründen wahrscheinlich kaum rechtfertigen könnten.“

Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind eigentlich nur noch eine diplomatische Fiktion.

Bundeskanzler Christian Kern

Ankara zog seinen Botschafter aus Wien ab – er ist bis heute nicht zurückgekehrt – und warf Österreich „radikalen Rassismus“ vor. Österreichs SPÖ-Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil nannte die Türkei offen eine „Diktatur“. ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz sprach mit Blick auf das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei von „türkischer Erpressung“. Ankaras besondere Wut erregten regelmäßige Protestdemonstrationen von Türken und Kurden in Wien – gegen die Türkei.

Verpiss Dich! Die EU versinkt sowieso, und die Nato ist nichts ohne die Türkei.

Tweet eines Erdogan-Chefberaters an die Adresse von Bundeskanzler Christian Kern

Der Streit eskalierte: „Verpiss Dich!“, twitterte im August ein Erdogan-Chefberater an die Adresse von Bundeskanzler Kern: „Die EU versinkt sowieso, und die Nato ist nichts ohne die Türkei.“ Im Dezember legte Außenminister Kurz in Brüssel Veto ein gegen den Fortschrittsbericht der EU-Kommission über die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Im vergangenen März nannte Kurz einen EU-Beitritt „dieser Türkei undenkbar“ und drängte auf einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. Schon im Dezember war die oben zitierte Drohung von Außenminister Cavusoglu gefallen.

Türkei blockiert Nato

Er hat sie wahr gemacht. Den Hebel dazu hat er in der Nato gefunden. Die Türkei ist Nato-Mitglied. Sogar eines von strategischer Bedeutung: Sie hat die zweitgrößte Bündnisarmee und grenzt an Syrien, Irak, Iran, Armenien und Georgien. Das Land verbindet Europa mit Asien und den Westen mit den aktuellen Brandherden der arabischen Welt. Österreich ist nicht Nato-Mitglied, sondern nur einer von 22 europäischen und asiatischen Partnern der Nato im Rahmen des Nato-Partnerschaftsprogramms Partnership for Peace (PfP). In Afghanistan, auf dem Balkan und anderswo arbeitet die Nato mit ihren PfP-Partnern zusammen – unter Nato-Kommando. Österreich etwa ist in Kosovo und Bosnien-Herzegowina mit 800 Bundesheer-Soldaten ein wichtiger PfP-Truppensteller. Damit das funktioniert, müssen die PfP-Partner mit der Nato gemeinsam üben können, Offiziere zu Nato-Lehrgängen schicken und im Hauptquartier in Brüssel vertreten sein.

Es hat einige Spannungen mit Österreich gegeben, die zu einer Blockade führten.

Türkische Nato-Vertretung

Zumindest gemeinsame Ausbildungsgänge hat die Türkei jetzt monatelang verhindert − für alle 22 PfP-Nationen. Bislang hat die Nato Übungen, Trainingsmaßnahmen oder Lehrgänge gleichzeitig mit allen PfP-Partnern gemeinsam vereinbart, im Paket sozusagen. Alle Nato-Staaten haben genauso gemeinsam zugestimmt. Nicht mehr: Ankara hat seit Monaten bestimmte Ausbildungsprogramme blockiert, für alle PfP-Staaten – nur weil es Österreich nicht dabei haben wollte. Eine Sprecherin der türkischen Nato-Vertretung hat es offen ausgesprochen: „Es hat einige Spannungen mit Österreich gegeben, die zu einer Blockade führten. Diese ist aber nur gegen Österreich gerichtet, ganz und gar nicht gegen die anderen Partner.“

Für die Nato ein unhaltbarer Zustand. Natürlich will und kann das Bündnis bilaterale Konflikte nicht auf offener Bühne multilateral austragen. Aber hinter den Kulissen hat man versucht, Druck auf die Türkei auszuüben: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnerte an den wichtigen österreichischen Beitrag auf dem Balkan und sicherte Wien Unterstützung zu. Die britische Premierministerin Theresa May und andere europäische Regierungschefs sollen in Ankara vorstellig geworden sein. Vergeblich. Ankara blieb stur. Nato-Diplomaten berichteten von „extremem Unmut über die Türkei“. Was auch nichts half.

Nato muss nachgeben

Im März warnten schließlich andere PfP-Länder vor den Folgen der türkischen Blockade. „Langfristig kann eine Erosion unserer Interoperabilität unserer Fähigkeiten behindern, an anspruchsvollen Nato-Übungen teilzunehmen und Nato-geführte Operationen zu unterstützen“, zitierte im vergangenen März die Tageszeitung Die Welt aus einem Schreiben der finnischen Nato-Botschafterin an Generalsekretär Stoltenberg.

Langfristig ist unsere Fähigkeit, Nato-geführte Operationen zu unterstützen, bedroht.

Finnlands Nato-Botschafterin

Die Nato musste handeln und schlug einen neuen Modus für die PfP-Zusammenarbeit vor: Künftig werden die PfP-Partner nicht mehr alle zusammen, sondern einzeln zu gemeinsamen Übungen und Ausbildungsgängen eingeladen. Was jetzt bedeutet: Das Nato-Mitglied Türkei kann per Veto ganz gezielt den PfP-Partner Österreich draußen halten. Ein paar Wochen lang haben einige europäische Partner Österreichs dem neuen Verfahren ihre Zustimmung verweigert. Dann haben auch sie ihren Widerstand ohnmächtig einstellen müssen – ob sie diese aufgezwungene Peinlichkeit vergessen werden? Wohl kaum. Am 23. Mai wurde dennoch das neue Verfahren im Umgang mit den PfP-Partnern beschlossen.

Ankara gewinnt, vorläufig

Wien ist empört. „Die Türkei gefährdet die Sicherheitsinteressen Europas“, sagt Verteidigungsminister Doskozil: „Es ist Österreich gegenüber unverantwortlich und bestärkt mich in der Annahme, dass die Türkei derzeit weit davon entfernt ist, der EU anzugehören.“ Immerhin: Die Beteiligung des österreichischen Kontingents am Nato-Einsatz auf dem Balkan sei nicht gefährdet, heißt es aus Wien. Mit einem Nachsatz von Doskozil: „Wir müssen uns auf unsere europäischen Partner verlassen können. Deswegen fordere ich diese Solidarität auch ein.“

Die Türkei gefährdet die Sicherheitsinteressen Europas.

Hans Peter Doskozil, Österreichs Verteidigungsminister (SPÖ)

Ankara hat gewonnen, vorläufig. Aber die Geschichte ist damit nicht vorbei. Im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt Österreich den EU-Ratsvorsitz. Wie schon im März in der Tageszeitung Die Presse zu lesen war, bereitet Wien dafür schon einen Vorstoß vor, um die Fiktion des türkischen EU-Beitritts zu beenden und durch den Ansatz eines EU-Nachbarschaftsvertrags mit der Türkei zu ersetzen. Das entsprechende österreichische Positionspapier existiert schon. Und dann ist da noch etwas: 2004 hat Österreichs damaliger Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in Brüssel durchgesetzt, dass die Türkei nur EU-Mitglied werden kann, wenn vorher die österreichischen Wähler per Referendum zustimmen. Dagegen wird dann nicht einmal Präsident Erdogan etwas ausrichten können.