Pristina 2010: Hunderte Muslime protestieren gegen das Verbot von Kopftüchern in kosovarischen Schulen. (Bild: Imago/Zuma)
Kosovo

Islamismus erobert den Balkan

Das Auswärtige Amt bestätigt: Saudi-Arabien betreibt die islamische Radikalisierung des Kosovo. Aus dem Kleinstaat kommen relativ gesehen die meisten Dschihadisten. Die EU ist in Kosovo gescheitert – und jetzt kommt noch türkischer Einfluss dazu.

„Das Blut der Ungläubigen ist das beste Getränk für uns Muslime.“ So klang es vor über zwei Jahren in einer Predigt des radikalen kosovarischen Imams und Predigers Zekirja Qazimi für seine jugendlichen Anhänger eines Sommer-Camps. Quazimi ließ seine jungen Gemeinde nicht im Unklaren darüber, wie er das meinte: „Es ist die Pflicht eines jeden Muslims, am Heiligen Krieg teilzunehmen. Der Prophet Mohammed sagt, dass wenn jemand die Gelegenheit hat, am Heiligen Krieg teilzunehmen und es nicht tut, dann wird er mit großen Sünden sterben“ (The New York Times).

Kein Einzelfall: Ungefähr zur gleichen Zeit, das berichtet jetzt die Pariser Tageszeitung Le Figaro, riefen allein in der Umgebung der kosovarischen Hauptstadt Pristina in 22 Moscheen Prediger die Gläubigen ganz offen und öffentlich dazu auf, sich am Dschihad in Syrien zu beteiligen.

Wahhabiten im Kosovo

Quazimi und sehr viele gleichgesinnte Kollegen haben im Kosovo ganze Arbeit geleistet: Das kleine Westbalkanland hat nur 1,8 Millionen Einwohner. Aber inzwischen haben Kosovos Sicherheitskräfte 314 Kosovaren identifiziert, die nach Syrien und Irak gezogen sind, um dort zu kämpfen – gemessen an der Bevölkerungsgröße Europas größtes Dschihadisten-Kontingent.

Kontinuierliches Engagement arabischer Geldgeber.

Auswärtiges Amt

Zu jugoslawischen Zeiten galt die albanisch-kosovarische Spielart des Islam als besonders gemäßigt und tolerant. Nicht mehr: Heute ist das Kosovo sozusagen Europas Dschihad-Zentrale. In dem kleinen Grenzland zwischen christlichem Europa und islamischem Orient hat sich unter den Augen der EU der radikale saudi-arabische Staatsislam der Wahhabiten festgesetzt. Wie die Salafisten vertreten die Wahhabiten einen puristischen Islam, der sich streng am  7. Jahrhundert Mohammeds orientiert. Etwas vereinfacht: Nicht alle Salafisten sind saudische Wahhabiten, aber alle Wahhabiten sind Salafisten.

240 saudi-arabisch finanzierte Moscheen

Den beunruhigenden Trend im Kosovo hat jetzt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage aus der Fraktion der Linken bestätigt: „Saudi-arabische Missionierungsorganisationen sind auch im Kosovo aktiv und verbreiten hier die von Saudi-Arabien vertretenen wahhabitische Interpretation des Islam, etwa durch die Entsendung von Predigern.“ In der Regierungsantwort aus dem Auswärtigen Amt heißt es weiter: „Ein kontinuierliches Engagement arabischer Geldgeber – Einzelpersonen, Nichtregierungsorganisationen sowie staatliche und halbstaatliche Institutionen – ist in der Islamischen Gemeinde Kosovos (BIK) feststellbar.“

Häufig agieren Angehörige von Botschaften arabischer Staaten als Geldgeber.

Auswärtiges Amt

Die Finanzierung der islamischen Gemeinde durch staatliche oder halbstaatliche Organisationen erfolge in der Regel nicht direkt, so das Auswärtige Amt: „Häufig agieren Angehörige von Botschaften arabischer Staaten oder lokale Nichtregierungsorganisationen als Geldgeber.“ Gleichwohl ließen Art und Umfang dieses Engagements nicht darauf schließen, dass die BIK von anderen Staaten vollumfänglich oder weitgehend finanziert werde. „Allerdings werden Baukosten für Moscheen zumindest indirekt zu einem erheblichen Anteil von anderen Ländern getragen.“

Über 800 Moscheen gibt es heute in Kosovo. Etwa 240 von ihnen sind nach 1999, seit dem Kriege gegen Serbien, gebaut worden. Und vor allem diese neuen Moscheen werden heute für die wahhabitische Indoktrinierung der Kosovaren verantwortlich gemacht.

Geld für Bärte und Schleier

Tatsächlich ist der wahhabitische Einfluss im Kosovo schon älter. So war etwa die saudische Organisation Al Waqf al Islami auf dem Balkan tätig, berichtet die New York Times. Nach der Trennung des Kosovo von Serbien konnten die Saudis sozusagen durchstarten: „Wo die Amerikaner die Gelegenheit sahen, um eine neue Demokratie aufzubauen, sahen die Saudis ein neues Land, um dort den Wahhabismus zu verbreiten.“

Niemand kontrolliert die Tausenden NGOs im Kosovo.

Die Zeit

Und das taten sie dann auch. Mit Geld aus Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und Bahrein bauten Al Waqf al Islami und andere religiöse Organisationen Moscheen, finanzierten die Ausbildung von Hunderten Imamen – natürlich in Saudi-Arabien – und förderten radikale Gemeinden wie die des erwähnten Imam Qazimi. Sie zahlten Gehälter und sprangen wohltätig ein – zu ihren Bedingungen: Familien, die von ihnen Geld erhielten, mussten zu den Gebeten und Predigten in den Moscheen erscheinen, Frauen und Töchter mussten Schleier tragen. 300 Euro erhielten mancherorts Männer, die salafistische Bärte trugen, und 100 Euro Frauen, die sich verschleierten, berichtet Le Figaro.

Die extremistischen Ideen sind von jenen Kosovaren verbreitet worden, die im Mittleren Osten studiert haben.

Bekim Jashari, Imam von Podujevo

„Nach dem Krieg 1999 kamen viele NGOs aus Saudi-Arabien. In der einen Hand hielten sie etwas zu essen, in der anderen wahhabitische Literatur“, zitierte die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vor einem Jahr einen jungen kosovarischen Politiker: „Niemand kontrolliert die Tausenden NGOs im Kosovo. Sie können machen, was sie wollen.“

Unumkehrbare Islamisierung

Vielleicht nicht mehr ganz. Nachdem im Jahr 2014 ein Selbstmordtäter aus dem Kosovo im Irak 52 Personen in den Tod gerissen hatte, wurden Polizei und Justiz tätig: Im Rahmen zweijähriger Ermittlungen wurden 19 islamische Organisationen geschlossen – auch die saudi-arabische Al Waqf al Islami – und 67 Personen verhaftet. Unter 14 festgesetzten radikalen Imamen befand sich auch oben erwähnter Qazimi. Im vergangenen Mai wurde er zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. „Die Bärtigen und die Imame werden jetzt überwacht wie die Milch auf dem Feuer“, so Le Figaro.

Der Wahhabismus ist eine Gefahr und ein Krebsgeschwür für das Kosovo wie für die ganze Welt.

Moderater Imam in Kosovo

Was aber die Islamisierung der kosovarischen Gesellschaft nicht zurückdrehen kann: In dem einst säkularen Land, gab es vor den 2000er Jahren keine verschleierten Frauen. Das hat sich geändert, und auch der Ramadan wird streng befolgt. In der Halle der Universität von Pristina organisieren Studenten gemeinsames Beten. Architekturstudenten weigern sich, Kathedralen zu zeichen. Familien nehmen ihre Kinder aus den Schulen und wollen nichts mit unreinen Ungläubigen zu tun haben, berichtet das Pariser Blatt. An die Stelle albanischen Nationalgefühls trete immer mehr islamische Identität, sagt ein moderater Imam dem Figaro: „Der Wahhabismus ist eine Gefahr und ein Krebsgeschwür für das Kosovo wie für die ganze Welt.“

Neue türkische Balkanpolitik

Dabei ist Kosovo sozusagen eine Gründung der Nato, der Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Von der EU hat das kleine Land seit 1999 etwa fünf Milliarden Euro erhalten – was pro Kopf der Bevölkerung viel mehr ist als seinerzeit etwa 16 Milliarden Dollar Marshallplan-Hilfe für 16 europäische Länder. Trotzdem ist Kosovo heute das ärmste Land Europas, die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 und die Jugendarbeitslosigkeit bei 60 Prozent. Wirtschaftlich ist das Land gescheitert. Unter den Augen von UN- und EU-Missionen vollzieht sich dort nun die islamische Radikalisierung. „Wir haben große Verantwortung für diesen Fehlschlag“, zitiert wieder Le Figaro einen europäischen Diplomaten: „Wie konnte es passieren, dass wir bei der Verwaltung eines so kleinen Territoriums scheitern?“

Wie konnte es passieren, dass wir bei der Verwaltung eines so kleinen Territoriums scheitern?

Europäischer Diplomat

Eine EU-Perspektive für das bettelarme Westbalkanland ist in weiter Ferne. Dafür steht schon eine andere Macht bereit, die am Rande der Europäischen Union gestalten will: Recep Erdogans Türkei. Ankara investiert im Westbalkan in Flughäfen, Straßen und Banken oder schickt Imame nach Bosnien – und eben nach Kosovo. 500 Jahre lang stand Kosovo unter osmanischer Herrschaft, abgeschottet von europäischer Entwicklung und europäischem Fortschritt. Was einer der Gründe dafür ist, dass das Land heute so arm und rückständig ist. Fast amüsant: Jetzt fordert Ankara von Kosovo, Schulbücher so zu korrigieren, dass die Osmanische Geschichte schöner erscheint (Le Figaro).

Die Türkei erhebt einen politischen Gestaltungsanspruch auf dem Westlichen Balkan.

Auswärtiges Amt

Seit dem Amtsantritt der AKP-Regierung 2002 und insbesondere während der Amtszeit des ehemaligen Außenministers Ahmet Davutoglu hat eine Neuorientierung der türkischen Außenpolitik stattgefunden. Das bestätigt jetzt auch das Auswärtige Amt. Im Zuge dieser Neuausrichtung seien auch politische Schwerpunkte in Gebieten gesetzt worden, die früher Teil des Osmanischen Reiches waren: „Die Türkei erhebt in diesem Zusammenhang einen politischen Gestaltungsanspruch auch auf dem Westlichen Balkan und ist bestrebt, eine aktive Rolle in der Region wahrzunehmen.“