US-Präsident Donald Trump: Bilanz nach 100 Tagen. (Bild: Imago/UPI photo/Ron Sachs)
USA-Bayern

Nicht so schlimm wie befürchtet

Fazit der bayerischen Wirtschaft nach 100 Tagen Regierung Trump: Die USA bleiben Bayerns wichtigster Handelspartner und deutsche Exporterfolge nutzen auch Amerika. Die Dominanz der US-Banken wächst und Europa muss außenpolitisch aktiver werden.

Seit 84 Jahren gibt es sie in Amerika, die berühmte Bilanz der ersten 100 Tage. US-Präsident Franklin Delano Roosevelt zog sie im Juni 1933 (seine Amtseinführung hatte am 4. März stattgefunden) zum ersten Mal. Mitten in Weltwirtschaftskrise und schwerster Depression gewählt, hatte er vom ersten Amtstag an ein rasantes Tempo vorgelegt und nach 100 Tagen tatsächlich viel vorzuweisen: 76 neue Gesetze, darunter tiefgreifende Reformen. Seither muss jeder US-Präsident seine 100-Tage-Bilanz an der von FDR messen lassen – und fällt dagegen unweigerlich ab. Was man nicht bedauern muss: Denn wer möchte sich schon in einer neuen Weltwirtschaftskrise bewähren müssen?

Trumps erste 100 Tage

Niemand wird so schnell Donald Trump, den 45. US-Präsidenten, mit dem 32., mit FDR, vergleichen wollen. Und die US-Debatte um Trumps erste 100 Tage ist auch eher müßig. Lohnender ist der Blick von der anderen Seite des Atlantiks: Welche vor allem wirtschaftliche Bilanz können die Europäer nach 100 Tagen Trump ziehen? Und wie geht es weiter zwischen den USA und Europa?

America first − das würde für den Freistaat ganz selbstverständlich auch jeder bayerische Ministerpräsident sagen.

Bertram Brossardt, Haubtgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw)

Auf einem eigens einberufenen Kongress der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gab Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt Entwarnung: So schlimm wie am vergangenen 9. November vielerorts fast panisch erwartet, war’s gar nicht: „America first“, Trumps zugkräftiger Wahlslogan, sei eigentlich unproblematisch. „Das würde für den Freistaat ganz selbstverständlich auch jeder bayerische Ministerpräsident sagen.“ Die Nato ist doch nicht veraltet, von grundsätzlicher Kritik an der EU ist keine Rede mehr. Protektionistische Tendenzen in der Handelspolitik machen allenfalls Sorgen, ohne dass sie derzeit groß zu spüren seien.

Bayerns wichtigster Handelspartner

Über Brossardts Entwarnung darf man sich freuen. Denn für Deutschland – und beinahe noch mehr für Bayern – steht viel auf dem Spiel. Für Deutschland sind die USA der drittwichtigste Handelspartner, für Bayern sogar der wichtigste. Seit Jahrzehnten ist Amerika der größte Exportmarkt für bayerische Produkte: 2016 exportierten bayerische Unternehmen Waren im Wert von 20,5 Milliarden Euro über den Atlantik, 11,2 Prozent aller bayerischen Exporte. Mit drei Prozentpunkten Abstand folgen China und Großbritannien. Bei Bayerns Importen liegen die USA mit 7 Prozent auf Rang vier. Was dem Freistaat 2016 einen Exportüberschuss von fast 9 Milliarden Euro bescherte (ganz Deutschland: 67 Milliarden Euro). Bayerns wichtigste Exportprodukte für die USA: Kraftwagen, Maschinen, pharmazeutische Produkte.

Wir müssen den USA deutlich machen, dass auch sie durch Protektionismus mehr verlieren als gewinnen würden.

Bertram Brossardt

Auch die USA profitieren: Deutschland ist ihr sechstgrößter Exportmarkt und das fünftgrößte Lieferland. Die deutsche Automobilindustrie produziert jedes Jahr 850.000 Autos in den USA, von denen dann über die Hälfte exportiert werden – und in der US-Exportbilanz zu Buche schlagen. Amerikanische Kritik am deutschen Handelsbilanzüberschuss weist Brossardt denn auch zurück: „80 Prozent der deutschen Exporte in die USA sind Vorleistungen und Investitionsgüter, die in den USA weiterverarbeitet werden. Die USA profitieren von deutschen Investitionen und Gütern.“

Das ist nicht alles: 4700 Unternehmen mit deutscher Beteiligung schaffen in den USA etwa 670.000 Arbeitsplätze und erwirtschaften einen Umsatz von 360 Milliarden Euro. Allein Siemens sichert in 40 US-Werken 60.000 Arbeitsplätze. BMW gibt durch seine Produktion in Spartanburg 70.000 Amerikanern Beschäftigung. Auch bedeutsam: 15 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen bayerischer Unternehmen gegen in die USA. Umgekehrt stammen fast acht Prozent aller Auslandsinvestitionen in Bayern aus den USA. Brossardts Schlussfolgerung nach 100 Tagen Trump: „Wir müssen den USA deutlich machen, dass auch sie durch Protektionismus mehr verlieren als gewinnen würden.“

Nach den ersten 100 Tagen

„Worauf müssen mir uns einstellen?“, fragte Stargast Friedrich Merz, ehemaliger CDU-Wirtschaftspolitiker und jetzt Vorsitzender der Atlantik-Brücke, einem deutsch-amerikanischen Netzwerk. „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“, erinnerte der Gast. Soll heißen: Donald Trump ist US-Präsident und wird es voraussichtlich bleiben. Alles sei möglich: Trumps Präsidentschaft könne im Desaster enden – oder aber acht Jahre dauern. Vom Blick auf die Stimmung in der Hauptstadt, in der Hillary Clinton 92,8 Prozent der Stimmen erhalten hat, dürfe man sich nicht täuschen lassen: „Wer meint, die USA zu kennen, weil er Washington kennt, der kennt die USA in Wirklichkeit nicht.“

Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.

Friedrich Merz

Einstellen müssen sich die Europäer zunächst auf einen Deregulierungsschub für das US-Bankensystem. Die Amerikaner haben die Finanzkrise klüger und besser gemeistert als die Europäer. Merz: „Die Dominanz der US-Banken wird zunehmen.“

Die Konkurrenz schläft nicht

„Hätten wir nur“, sagt der Gast aus NRW mit Blick auf das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP. Präsident Barack Obama hat es gewollt. Die Europäer hätten die Chance verstreichen lassen. Mit Präsident Trump, der das transpazifische Freihandelsabkommen TPP gekündigt hat und das nordamerikanische Nafta-Abkommen neu verhandeln will, sei auch TTIP zunächst erledigt. Sicher, der nächste Versuch zur Öffnung der transatlantischen Märkte zwischen Amerikanern und Europäern werde kommen – aber erst in ein paar Jahren. Problem: Die Welt steht nicht still, und die Konkurrenz schläft nicht: Derzeit betreibt China das Projekt einer Regionalen Umfassenden Wirtschaftlichen Partnerschaft (RCEP), die die zehn ASEAN-Staaten Brunei, Myanmar, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam mit Australien, China, Indien, Japan, Südkorea und Neuseeland verbinden soll. Diese wirtschaftliche Großregion umfasste dann die Hälfte der Weltbevölkerung und produzierte ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung.

Die USA sind energiepolitisch praktisch unabhängig geworden. Das wird Washingtons Blick auf den Mittleren Osten stark verändern.

Friedrich Merz

In die Außen- und Sicherheitspolitik sei mit Trump zwischen Amerikanern und Europäern ein ruppiger Ton eingekehrt, so Merz. Aber völlig unstrittig sei in Washington, dass die Europäer mehr tun müssten, etwa für die Nato: Dass die USA 70 Prozent der Nato-Kosten trügen und die Europäer 30 Prozent, sei inakzeptabel. Dazu komme, dass die USA über Fracking und die damit möglich gewordene Ausbeutung riesiger eigener Gas- und Ölvorkommen energiepolitisch praktisch autark geworden seien. Das werde Washingtons Blick auf den Mittleren Osten stark verändern. Die Amerikaner könnten den Europäern zu verstehen geben: „Der mittelöstliche Krisengürtel liegt vor Eurer Haustür.“ Und vor der europäischen Haustür liegt noch ein weiteres Problem: Wladimir Putins Russland. Putin verfolge nur ein Zielt, warnte Merz, Europa von den USA zu trennen. Europäer und Amerikaner dürften das nicht geschehen lassen.

„America first” − nicht zum Nachteil anderer

Donald Trump wird Donald Trump bleiben, auch nach den ersten 100 Tagen. Seine Wähler stehen zu ihm, erinnert US-Generalkonsulin Jennifer D. Gavito: 96 Prozent der Trump-Wähler würden heute wieder für ihn stimmen. „America first“ meine nicht „nur Amerika“ oder eine Politik zum Nachteil von anderen. Die Priorität der Regierung Trump sei etwas ganz Banales: „Die Sicherheit des Landes und das Wohlergehen seiner Bevölkerung – eigentlich eine Selbstverständlichkeit für die Regierung eines jeden Landes.“ Damit das gelingt, setze auch Trumps Washington auf Zusammenarbeit mit den Partnern der Vereinigten Staaten. Gavito: „Deutschland bleibt einer der wertvollsten internationalen Partner und einer der wichtigsten Verbündeten.“