Brutale und chaotische Debatte
Kein schöner Blick in Frankreichs politische Zukunft: Vor der entscheidenden zweiten Wahlrunde um die Präsidentschaft lieferten sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen die härteste Fernsehdiskussion, die das Land je erlebt hat.
Frankreich

Brutale und chaotische Debatte

Kein schöner Blick in Frankreichs politische Zukunft: Vor der entscheidenden zweiten Wahlrunde um die Präsidentschaft lieferten sich Emmanuel Macron und Marine Le Pen die härteste Fernsehdiskussion, die das Land je erlebt hat.

So eine Fernseh-Debatte hat Frankreich noch nie gesehen, und so hat die Welt Frankreich noch nie gesehen. 40 Jahre lang waren die TV-Debatten kurz vor der Stichwahl um die Präsidentschaft sozusagen Turniere, bei denen Regeln höfischen Zeremoniells und Respekts galten, an die sich die beiden Kandidaten immer hielten, immer halten mussten. Eine brillante Attacke, eine elegante Parade konnten über Sieg und Niederlage entscheiden – und über den Einzug in den Elysée-Palast.

Eine brutale, chaotische Debatte, die Spuren hinterlassen wird.

Le Monde

Nichts davon in der Debatte zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Statt höfischem Zeremoniell sahen 15,6 Millionen französische Fernsehzuschauer eine „brutale und chaotische Debatte, die Spuren hinterlassen wird“, so die Pariser Tageszeitung Le Monde am Morgen danach. Über zwei Stunden lang lieferten sich die beiden Finalisten eine Schlacht, in der alle Schläge – oder fast alle – erlaubt waren, warfen sich Beschimpfungen und persönliche Beleidigungen an die Köpfe. Le Monde: „Am Ende kein K.O.-Sieg für den einen oder anderen, nur niedergeschmetterte Fehrnsehzuschauer und Bürger, außer Atem und mit einem bitterem Nachgeschmack im Hals.“ Immerhin, in ersten Umfragen fanden 63 Prozent der „niedergeschmetterten Fernseh-Bürger“ den 39-jährigen und den Sozialisten nahestehenden Ex-Wirtschaftsminister Macron überzeugender als die Rechtspopulistin Le Pen, die nur 34 Prozent als die Debatten-Siegerin sehen wollten. Was Le Monde beunruhigend findet: Niemand anderes als eben diese beiden Finalisten sollen nun Frankreichs „neue politische Matrix definieren”.

Macron will reformieren

Marine Le Pen, die Chefin des rechtsradikalen Front National, warf Macron schon in ihren ersten Sätzen „zynische Argumente“ und einen „schändlichen Wahlkampf“ vor, der ihn als den „eiskalten Geschäftsbanker“ enthüllt habe. „Hohepriesterin der Angst“, nannte Macron seine Gegenüber und bezichtigte sie der „Dummheit“, und der „Lüge“. Bei der Tonart blieb es, zweieinhalb Stunden lang.

Warum haben Sie nicht Herrn Hollande von Ihren Rezepten gegen die Arbeitslosigkeit profitieren lassen?

Marine Le Pen

Beim Thema Wirtschaft konnte der ehemalige Wirtschaftsberater und dann Wirtschaftsminister von Noch-Präsident Franςois Hollande klar punkten. Macron hat klare Vorstellungen von vorsichtigen Strukturreformen, Steuersenkungen, Nachlässen bei Lohnnebenkosten und sparsamerer Haushaltsführung, die Frankreich zu mehr Wachstum führen sollen und vor allem zu niedriger Arbeitslosigkeit (derzeit 10 Prozent).

Le Pen brachte den Ex-Minister immer wieder in Verbindung mit Präsident Hollande und dessen in Frankreich allgemein als völlig gescheitert betrachteter Amtszeit: „Wenn Sie ein Rezept haben, um die Arbeitslosigkeit zu senken, warum haben Sie dann nicht Herrn Hollande von Ihren Rezepten profitieren lassen?“ Von Le Pens eigenem Wirtschaftsprogramm war allerdings nicht viel Konkretes zu hören. Allenfalls, dass sie das Rentenalter für Arbeitnehmer, die 40 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, wieder auf 60 Jahre senken will. Macrons lapidare Entgegnung: „Wie wollen Sie das finanzieren?“ Eine richtige Antwort blieb aus.

Neuer Franc statt Euro

89 Mal wurde in der heftigen Debatte Europa genannt, zählte später Le Monde. Beobachtern gilt die Stichwahl an diesem Sonntag als Schicksalsentscheidung für Europa. Denn Marine Le Pen will den Euro abschaffen – auch wenn sie das seit einigen Wochen vorsichtiger formuliert – und ihre Landsleute über die EU-Mitgliedschaft abstimmen lassen. „Der Euro ist die Währung der Banker, nicht die Währung des Volkes“, attackierte Le Pen. Die 48-Jährige will einen „neuen Franc“ einführen, neben einer gemeinsamen Währung, die es weiterhin geben soll und die etwa von Großunternehmen genutzt werden könne. „Das ist großer Unsinn“, so Ex-Wirtschaftsminister Macron, der mit einem pro-europäischen Kurs antritt. Le Pens Vorhaben sei ein „tödliches“ und „gefährliches Programm“. „Was Sie da vorschlagen, ist der Krieg der Währungen.“ Macron weiter: „Meine Vision ist es, einen starken Euro zu bauen.“

Sie sind das Produkt des Systems, das Sie wollen. Sie sind sein Parasit.

Emmanuel Macron

Beim Thema Terrorabwehr warf Le Pen ihrem Gegenüber vor, schlicht keinen Vorschlag zu haben und sich von einem zweifelhaften Islamverband unterstützen zu lassen. „Ich fälle kein Urteil über Wahlstimmen“, hatte Macron samstags zuvor in der Tageszeitung Le Figaro auf die gleiche Frage  geantwortet. Im TV-Duell warf er Le Pen vor, das Land in den Bürgerkrieg zu führen.

Gegen die Deutschen

Auch anti-deutsche Töne fehlten bei Le Pen nicht: Sie war Macron vor, Frankreich dem Nachbarn Deutschland zu unterwerfen: „Frankreich wird auf jeden Fall von einer Frau geführt werden. Das werde entweder ich sein oder Frau Merkel.“ Tatsächlich werden aber Macrons Europa-Pläne Berlin eher schwer im Magen liegen: Er will der Eurozone einen gemeinsamen Haushalt und einen gemeinsamen Wirtschaftsminister verordnen.

Frankreich wird auf jeden Fall von einer Frau geführt werden. Das werde entweder ich sein oder Frau Merkel.

Marine Le Pen

Die bittere TV-Debatte schloss wie sie begonnen hatte: „Sie haben gesagt, Sie sind der Kandidat der Öffnung“, so Le Pen in ihrem Schlusswort. „Aber Sie sind der Kandidat der Schließung von Fabriken, Polizeistationen und Krankenhäusern. Das einzige, das sie nicht schießen wollen, das sind ausgerechnet die Grenzen.“ Macron blieb ihr nichts schuldig: „Sie haben kein Projekt für Frankreich, nur Angst und Lügen. Sie sind das Produkt des Systems, das Sie wollen. Sie sind sein Parasit. Die Wirkungslosigkeit von Rechts und Links, davon lebt der Front National.“ Macron schloss mit einem Versprechen an die Franzosen: „Ich habe die Wut unserer Mitbürger gehört. Ich  möchte darauf eine Antwort geben mit einer Politik richtiger Reformen und Wandel des Landes. Einer Politik, wie sie in 30 Jahren niemals gemacht worden ist.“

Keine Begeisterung für Macron

Wahrscheinlich erhält er die Gelegenheit dazu. In den jüngsten Umfragen vor der Stichwahl am Sonntag liegt er mit 59 zu 41 Prozent klar in Führung. Schon gelaufen ist das Rennen darum aber noch nicht. Zur Erinnerung: Fast 50 Prozent der französischen Wähler haben am 23. April radikal gewählt. Und große Begeisterung für Macron gibt es kaum, warnt jetzt Le Monde. Tatsächlich habe sein Ansehen im Wahlkampf sogar gelitten: 47 Prozent aller Wähler mögen ihn nicht. 60 Prozent seiner potentiellen Wähler wollen nur mangels eines besseren Kandidaten für ihn stimmen, titelt das Blatt drei Tage vor der Wahl. Macrons Glück: 59 Prozent der Wähler lehnen Le Pen ab. Doch 29 Prozent aller Wähler wünschen sich weder den Sieg Macrons noch den von Le Pen.

Emmanuel Macron mangels besserer Wahl.

Le Monde

Der Rechtsaußenkandidatin gelingt es, „rechts und links Stimmen zu ernten“ (Le Monde). 43 Prozent der Wähler des glücklosen Kandidaten der Républicains, Franςois Fillon, wollen in der Stichwahl Le Pen wählen. Das sagen auch 14 Prozent (Le Figaro: 17 Prozent) der Wähler des linksradikalen Jean-Luc Mélenchon, Sicher ist: Die Mehrheit der Mélenchon-Wähler „weigert sich, Macron zu wählen” (Le Monde).

Interessant: Le Pen kann auf 46 Prozent der katholischen Wählerstimmen zählen. Unterschiede zwischen praktizierenden und nicht praktizierenden Gläubigen gibt es dabei nicht, so Le Monde. Was damit zu tun haben könnte, dass die französische Bischofskonferenz am Abend der ersten Wahlrunde keine klare Wahlempfehlung für einen der beiden Kandidaten abgeben wollte, sondern nur an „Grundlagen für die Hilfe zur Urteilsbildung“ aus Sicht der Kirche erinnert hat. Von Teilen der Presse sind die Bischöfe dafür scharf kritisiert worden. Dabei haben sie sich nur an Papst Franziskus orientiert, der ebenfalls kein Votum für Macron abgeben wollte. Le Monde zitiert ihn aus dem Flugzeug nach Kairo: „Ich weiß, dass einer der Kandidaten ein Vertreter der harten Rechten ist. Aber der andere, ehrlich gesagt, da weiß ich nicht woher er kommt, und darum kann ich keine klare Meinung über Frankreich abgeben.“