Ein schwieriger Partner: Griechenland streitet mit der EU über den künftigen Kurs. (Bild: Fotolia/PAK Design)
Griechenland

Politische Lösung statt Reformen

Weil der der Internationale Währungsfonds (IWF) für Griechenland keine Ausnahmen machen kann, liegt der Ball nun im Feld der Europäer: EU und EZB müssen entscheiden, ob sie Athener Reformversprechen glauben und dem Krisenland weitere Überbrückungshilfen gewähren. Darum geht es jetzt in allen Verhandlungen zwischen Brüssel, Athen, Berlin und Paris.

Entscheidende Woche für Griechenland – wieder einmal. Am kommenden Freitag muss Athen 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Und das ist erst der Anfang eines teuren Monats: Eine Woche später, am 12. Juni, ist noch einmal der gleiche Betrag fällig. Am 16. Juni stehen 600 Millionen aus und am 19. noch einmal 300 Millionen Euro – summa summarum 1,5 Milliarden Euro, alles an den IWF. Im Juli und August steht dann die Tilgung von Staatsanleihen im Wert von 6,7 Milliarden Euro aus, die derzeit die Europäische Zentralbank hält. Aber Athens großes Problem ist jetzt der IWF. Denn der hat Grundsätze und Regeln, die er gegenüber Schuldnern weltweit einfordern muss und die er nicht aus politischen Gründen über Bord werfen kann: Der IWF darf nur Geld an Länder verleihen, die Reformauflagen erfüllen und Kredite auch zurückzahlen können. Wenn ein Land eine IWF-Rückzahlung schuldig bleibt, kann es keine weiteren IWF-Gelder erhalten.

Eigentlich wäre das Geld für die Rückzahlungen da. Denn die letzte Tranche über 7,2 Milliarden Euro aus dem letzten Rettungspaket ist noch nicht ausgezahlt. Doch bevor die Linksregierung Regierung von Premierminister Alexis Tsipras das Geld erhalten kann, muss sie Reformen umsetzen, welche „die Institutionen“ – früher die Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission – mit der Vorgänger-Regierung ausgehandelt hatten, oder gleichwertige vorlegen.

„Umfassende Lösung sehr, sehr unwahrscheinlich“

Genau das aber verweigert die Regierung Tsipras nun schon vier Monate. Statt „die Institutionen“ zufriedenzustellen, kratzt sie vor jedem Zahlungstermin letzte Reserven zusammen: Regionale und kommunale Regierungen und Behörden müssen alle Bar-Reserven abgeben. Lieferantenrechnungen in Höhe von inzwischen 4,4 Milliarden Euro werden einfach nicht bezahlt – was Folgen hat für die Privatwirtschaft und das Steueraufkommen.

Jetzt drohen Athen die letzten 7,2 Rettungsmilliarden gänzlich verloren zu gehen. Denn das zweite Rettungspaket läuft Ende Juni aus. „Die Zeit läuft ab“, warnt Valdis Dombrovski, Vizepräsident der EU-Kommission: „Wir brauchen ein umfassende und glaubwürdiges Bündel von Reformen, zu deren Umsetzung die griechische Regierung bereit ist.“ Der IWF braucht außerdem Zeit, um ein etwaiges Athener Reformbündel zu prüfen, betont IWF-Chefin Christine Lagarde im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wir haben Regeln, wir haben Prinzipien. Es darf keine halbgare Programmüberprüfung geben. Es geht nicht im Hauruckverfahren.“ Lagarde glaubt nicht, dass die Zeit noch reicht, für eine Einigung über griechische Reformen: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir in den nächsten Tagen eine umfassende Lösung erreichen werden – wirklich sehr unwahrscheinlich.“ „Irgendwann muss alles Reden enden“, titelt zutreffen die Londoner Wochenzeitung The Economist. An dem Punkt sind jetzt alle angelangt, ob sie wollen oder nicht: Athen, Brüssel, der IWF in New York und die europäischen Hauptstädte.

Europäer sollen „pragmatische Lösung“ finden

Der IWF kann und darf Athen nicht bedingungslos Geld vorstrecken. Bleiben also die Europäer als Alternative, rät Lagarde. Die Europäer können sich vom griechischen Reformwillen überzeugen lassen und dann Überbrückungshilfen geben, damit Athen seine IWF-Schulden begleichen und der IWF weiter im Boot bleiben kann. Lagarde: „Wir sind an unsere eigenen Regeln gebunden. Aber die Europäer und die EZB können den Griechen vielleicht etwas Luft zum Atmen geben.“

Darum geht es jetzt bei allen Telefongesprächen und Verhandlungen zwischen Brüssel, Athen, Berlin und Paris. Und der Druck auf die EU-Kommission und auf den Rat der Staats- und Regierungschefs steigt. Die EU-Kommission ist entschlossen, Athens Bankrott und Ausscheiden aus der Eurozone (Grexit) um jeden Preis zu verhindern. Das sagt wortwörtlich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – und mindert damit den Reformdruck auf Griechenland. Mit Blick auf die ohnehin labile geostrategische Situation in Südosteuropa und Athener Spiel mit russischen Optionen drängt auch Washington Brüssel und die EZB zu „mehr Flexibilität“ und einer „pragmatischen Lösung“ der griechischen Schuldenkrise.

Tsipras‘ Reform-Liste – vage wie eh und je

Der Ball ist im europäischen Feld. Die Europäer müssen sich entscheiden: Grexit oder nicht. In der Situation unternimmt Athen den Versuch, die sogenannte politische Lösung – EU und EZB zahlen weiter – zu erzwingen. In einem langen Namensartikel in der Pariser Tageszeitung Le Monde fordert Premierminister Tsipras nicht weniger als „eine finale Lösung des griechischen Problems“. Um das Brüssel und dem Rat leichter zu machen, zählt er angebliche Athener Reformvorschläge auf: die Steuereinnahmen sollen erhöht und das Generalsekretariat für Öffentliche Einnahmen wie die Statistikbehörde sollen unabhängiger werden; Steuerbetrug und Schmuggel sollen bekämpft, das Mehrwertsteuersystem vereinfacht und das Rentensystem reformiert werden. Alles so vage wie eh und je. All das lag schon auf dem Tisch und hat „den Institutionen‘“ – vor allem dem IWF – nicht genügt.

Athen feilsche, statt ein überzeugendes Reformprogramm vorzulegen, kritisert darum der Europaabgeordnete und Vorsitzende der CSU Schwaben, Markus Ferber: „Eine Regierung, die sich nicht darum kümmert, ein Programm vorzulegen, das die Geldgeber überzeugt, ihr noch einmal Geld zugeben, ist nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen.“

Nach fünf Jahren Krise immer noch ein Fass ohne Boden

Die Fakten – und die Zahlen des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) – sprechen denn auch eine ganz andere Sprache als Tsipras: Während etwa in Deutschland der öffentliche und private Konsum in den vergangenen zehn Jahren von knapp über 90 auf heute 88,1 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken ist, ist er in Griechenland von 1995 bis 2010 von knapp 96 auf fast 115 Prozent gestiegen. 2014, nach fünf Jahren Schuldenkrise, konsumierte Griechenland noch immer 113,7 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung – dass sprichwörtliche Fass ohne Boden. Noch immer sind griechische Renten im Durchschnitt deutlich höher als in Deutschland, so das ifo-Institut, und noch immer ist von Erfolgen bei der Steuereintreibung nichts zu sehen. Der Mindestlohn liegt in Griechenland mit 684 Euro im Monat höher als in den meisten osteuropäischen Ländern und der durchschnittliche Stundenlohn mit 14,70 Euro im verarbeitenden Gewerbe fast doppelt so hoch wie in Polen. Von 787 Reformauflagen der Troika wurden nicht einmal die Hälfte erfüllt, heißt es in einer Auswertung der Europäischen Kommission. 2011 verpflichtete sich Athen, Staatsvermögen im Wert von 50 Milliarden Euro zu verkaufen oder zu privatisieren – erzielt wurden bis Dezember 2014 exakt 3,1 Milliarden Euro.

Wenn Athen jetzt nicht und wirklich bereit ist für Reformen, dann wird es kein Geld von der Gemeinschaft geben, und dann gibt es leider keine Alternative, als aus dem Euro auszuscheiden

Markus Ferber

325 Milliarden Euro an Rettungsgeldern hat Griechenland inzwischen erhalten. Dazu in den vergangenen Monaten 80 Milliarden Euro an EZB-Notkrediten für seine Banken. Eine wirtschaftliche Wende ist nicht in Sicht, Athener Reformwille auch nicht. Die Regierung in Athen müsse nun endlich handeln, warnt umso eindringlicher CSU-Finanzexperte Markus Ferber: „Also wenn sie jetzt nicht den großen Sprung machen und wirklich bereit sind, Reformen, die die alte Regierung schon zugesagt und die die neue Regierung wieder ausgesetzt hat, wieder einzuführen, wird es kein Geld von der Gemeinschaft geben, und dann gibt es leider keine Alternative, als aus dem Euro auszuscheiden.“

Doch das alles sind jetzt nur Vorgeplänkel vor der großen Debatte um ein drittes Rettungspaket für Griechenland – und dann wohl ohne den IWF.