Sein diktatorischer Kurs schädigt die Entwicklung der Türkei: Präsident Erdogan. (Foto: Imago/Depo Photos)
Referendum

Schäuble kritisiert Erdogan

Mit Blick auf das Referendum am Sonntag befürchtet Bundesfinanzminister Schäuble das Risiko einer Diktatur in der Türkei und stellt die geplanten Hilfszahlungen in Frage. Schon zuvor hatte Schäuble Präsident Erdogan vorgeworfen, das dessen radikale Wahlkampf-Rhetorik der Integration der Türken in Deutschland schade.

Im Falle einer Mehrheit für eine Verfassungsänderung in der Türkei beim Referendum am Ostersonntag sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Risiko einer Diktatur. In einem Spiegel-Gespräch sagte Schäuble auf die Frage, ob Präsident Recep Tayyip Erdogan die Türkei zu einem Ein-Mann-Staat umbaue: „So kann man diesen Verfassungsentwurf lesen.“ Als Konsequenz stellte Schäuble die geplanten deutschen Hilfszahlungen für die Türkei in Frage – vor allem wegen der Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel.

Bis zur Yücel-Verhaftung gut verhandelt

„Wir waren gut unterwegs, doch dann kam diese Verhaftung“, sagte Schäuble. „Das macht es jetzt wahnsinnig schwer.“ Der Bundesfinanzminister bekräftigte grundsätzlich die Bereitschaft der Bundesregierung, der Türkei bei der Überwindung ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen. Vor der Verhaftung Yücels habe er darüber Gespräche mit dem Vizeregierungschef und „Überfinanzminister“ Mehmet Simsek geführt.

Erdogans Rhetorik macht mich fassungslos. Sie zerstört in kurzer Zeit mutwillig, was über Jahre an Integration in Deutschland gewachsen ist.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)

Wer Erdogans „Entwicklung in den letzten Jahren verfolgt“ habe, könne „viele Gründe finden oder analysieren“, was geschehen sei. „Das sind Anzeichen, die machen einfach Sorge“, sagte Schäuble weiter. Für das Referendum am 16. April (Ostersonntag) rechne er mit einem „knappen Ausgang“. Wie die Abstimmung ausgehe, könne man nicht sagen, so Schäuble. Er habe mit Türken gesprochen, die sich aus Angst vor Repressalien nicht trauen würden, namentlich zitiert zu werden. Einer habe ihm gesagt, „am Ende wird die Türkei auch Erdogan überleben, und darin liegt ein bisschen Hoffnung“.

Knappes Rennen erwartet

Schon zuvor hatte Schäuble den türkischen Präsidenten Erdogan nach dessen verbalen Angriffen auf Deutschland scharf kritisiert. „Erdogans Rhetorik macht mich fassungslos“, sagte der Bundesfinanzminister der Welt am Sonntag. „Sie zerstört in kurzer Zeit mutwillig, was über Jahre an Integration in Deutschland gewachsen ist. Die Reparatur der jetzt entstehenden Schäden wird Jahre dauern.“ Aber auch die Migrationswelle des Jahres 2015 habe „die Integration nicht leichter gemacht, weil zu viele Menschen zu schnell zu uns kamen“.

Erdogan hatte unter Deutschland mit Nazi-Vergleichen heftig kritisiert, nachdem mehrere Wahlkampfauftritte türkischer Politiker abgesagt oder verboten worden waren. In der Türkei wird am Ostersonntag in einem Referendum über die von der Regierung geplante Verfassungsänderung abgestimmt, mit der Erdogans Befugnisse massiv ausgeweitet werden könnten. Insgesamt sind 55,3 Millionen Türken stimmberechtigt. Es wird mit einem engen Rennen gerechnet.

Wirtschaftseinbruch wegen Erdogan

Die Türkei hatte unter Erdogans Regierung erst einen jahrelangen starken Wirtschaftsaufschwung erlebt – mit Wachstumsraten von teilweise beinah neun Prozent pro Jahr. Doch dies ist seit den offensichtlichen diktatorischen Tendenzen vorbei: Das Wachstum sackt ab, die türkische Lira musste trotz Leitzinserhöhungen abwerten, die Agenturen Moodys und S&P haben das Rating von türkischen Staatsanleihen auf Ramschniveau herabgestuft. Die türkischen Verbraucher verlieren wegen der Unsicherheit die Laune am Konsum. Und viele Unternehmen haben ihre Investitionen erst einmal auf Eis gelegt.

Vor allem bleiben die Touristen weg – und das nicht erst seit dem Putsch und den radikalen Gegenmaßnahmen des Erdogan-Regimes: Bereits 2016 liegt der Einbruch bei über 30 Prozent, einzelne Anbieter sprechen von einer Halbierung. Der Tourismus ist neben der Bau-, Textil- und Elektroindustrie und dem Transportsektor ein wichtiger Wirtschaftssektor der Türkei. Rund drei Millionen Arbeitsplätze und etwa 13 Prozent der Wirtschaftsleistung hängen daran.