Bärendienste: Private Organisationen bei der Seenotrettung von Bootsflüchtlingen vor der libyschen Küste machen es den Schleusern leicht. (Bild: Imago/Joker/Alexander Stein)
Migration

Gefährliche Politik des Weiterwinkens

Vor genau einem Jahr wurde die Balkanroute geschlossen. „Die Migrantenkrise ist nicht vorbei“, warnen aber gemeinsam EVP-Fraktionschef Manfred Weber und Österreichs Außenminister Sebastian Kurz. Die beiden Außenpolitiker fordern einen effektiven Schutz der EU-Außengrenzen − damit die Binnengrenzen offen bleiben.

„Die Politik des ‚Weitertransports‘ nach Mitteleuropa muss beendet werden.“ Das fordern EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) und Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) in einem gemeinsamen Gastbeitrag zur Migrationskrise in der Münchner Tageszeitung Münchner Merkur. Die beiden Außenpolitiker werfen den Europäern und der Europäischen Union vor, den Schleppern und Schleusern regelrecht in die Hände zu arbeiten. Weber und Kurz: „Derzeit erledigt Europa unfreiwillig die Arbeit der Schlepper, in dem es nach der Rettung von nicht hochseetauglichen, überfüllten Booten vor der Küste Libyens Migranten nach Europa weitertransportiert.“

Wiener Westbalkankonferenz vor genau einem Jahr

Anlass des deutlich formulierten Gastbeitrags aus Österreich ist der Jahrestag der Wiener Westbalkankonferenz, die vor genau einem Jahr, zu einem Höhepunkt der Migrantenkrise 2015/2016, zur Schließung der sogenannten Balkanroute führte. Die Konferenz war sozusagen ein Verzweiflungsakt der an und entlang der Balkanroute gelegenen Westbalkanländer Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Bezeichnenderweise hatte Gastgeber Österreich weder die beiden damaligen Problem-Länder Deutschland und Griechenland noch Vertreter der Europäischen Union geladen, die eben in der Migrantenkrise einen völlig anderen Kurs verfolgten. In Wien wurde dann schlicht beschlossen, die mazedonisch-griechische Grenze abzuriegeln. Was prompt zum starken Rückgang der Migrantenzahlen führte.

Dem Sterben im Mittelmeer muss ein für alle Mal ein Ende gesetzt werden.

EVP-Fraktionschef Manfred Weber und Österreichs Außenminister Sebastian Kurz

In Ihrem Gastbeitrag erinnern Weber und Kurz an den „Kontrollverlust der staatlichen Behörden“ während der sich beschleunigenden Migrationsströme ab Sommer 2015. Ein zu lange praktiziertes „Durchwinken“ über die Balkanroute habe „einen schweren und nur langsam wieder gutzumachenden Vertrauensverlust in die Problemlösungsfähigkeit der Politik zur Folge“ gehabt. Die Wiener Konferenz habe „diese Politik des Durchwinkens beendet und zugleich ein wichtiges Signal in die Herkunfts- und Transitländer gesandt.“ Die einseitige Schließung der Balkanroute an der griechisch-mazedonischen Grenze sei der „erste entscheidende Schritt zur Entlastung der am meisten betroffenen Aufnahmestaaten“ gewesen. Zusammen mit dem Anfang März folgenden EU-Türkei-Abkommen hätten dann die Migrationsströme massiv reduziert werden können, so Weber und Kurz.

Kein Ende der Migrantenkrise

Aber die Migrantenkrise sei eben noch nicht zuende und werde womöglich andauern. Im Jahr 2016 habe der Migrantenstrom mit 181.000 Ankünften über die Mittelmeerroute von Nordafrika nach Italien „wieder massiv zugenommen“ erinnern die beiden Außenpolitiker und verweisen außerdem auf das „rapide Bevölkerungswachstum in zahlreichen afrikanischen Staaten“.

Der effiziente Schutz der EU-Außengrenzen bleibt die Voraussetzung für eine EU ohne innere Grenzen.

Manfred Weber und Sebastian Kurz

Weber und Kurz fordern darum nachdrücklich den Schutz der EU-Außengrenzen und verbinden ihre Forderung mit einer Warnung: „Der effiziente Schutz der EU-Außengrenzen bleibt die Voraussetzung für eine EU ohne innere Grenzen.“ Die beiden Außenpolitiker plädieren außerdem für eine „verbesserte Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern“. Letztere sollen „durch Anreize, wenn notwendig auch durch negative Anreize“ zur Rücknahme von Migranten bewegt werden. Das europäische Asylsystem müsse zudem reformiert „und in Richtung begrenzte Flüchtlingskontingente über ‚Resettlement-Programme‘ weiterentwickelt“ werden. Europa müsse sich eine „selbstbestimmte Asylpolitik“ zulegen, schließen Weber und Kurz: „Nur so können wir uns die große Errungenschaft des nach innen grenzenlosen Europas bewahren.“

Nationale Lösung an der Brenner-Grenze?

Im Sonntagsinterview mit der Neuen Vorarlberger Tageszeitung betonte Außenminister Kurz noch einmal nachdrücklich die für ganz Europa überaus gefährlichen Folgen jener verfehlten Politik des Weiterwinkens der Migranten: „Für jeden, den wir weiterwinken, kommen zwei nach.“ Kurz weiter: „Das Weiterwinken führt dazu, dass sich immer mehr auf den Weg machen, immer mehr Menschen ertrinken und Schlepper immer mehr Geld verdienen.“ Als „falsch“ kritisierte Kurz die Politik Italiens, die dazu führe, dass Migranten nicht nach Nordafrika zurück, sondern aufs Festland nach Italien gebracht würden. Die Migranten zögen dann weiter nach Norden. Dass könne dann Italiens Nachbarn in Zugzwang bringen, etwa an der Brenner-Grenze, warnte der österreichische Außenminister: „Je mehr Menschen hier weitergewinkt werden, desto eher müssen einzelne Staaten nationale Lösungen suchen.“

Für jeden, den wir weiterwinken, kommen zwei nach.

Sebastian Kurz

Für das Problem der Rücknahme-Unwilligkeit etwa der nordafrikanischen Länder sieht Kurz so schnell keine Lösung. Auf Rückführungsabkommen mit diesen Staaten will er nicht warten und nicht vertrauen. Was nur eine Lösung lässt: „Wer einmal da ist, den werden wir schwer wieder rausbekommen. Wer dieses Problem also lösen möchte, muss dafür sein, dass wir diese Menschen gar nicht erst ins Land lassen.“

Je mehr Menschen hier weitergewinkt werden, desto eher müssen einzelne Staaten nationale Lösungen suchen.

Sebastian Kurz

Auch im Interview mit dem Sonntagsblatt plädiert Kurz für eine „europäische Lösung“: „Aber die wird nicht die unbegrenzte Aufnahme von Menschen in Mitteleuropa sein, sondern ein Schutz der EU-Außengrenzen und mehr Hilfe vor Ort.“