Im Januar haben Tausende Tunesier gegen die Rückkehr von terrorverdächtigen Landsleuten aus Syrien und dem Irak protestiert. (Foto: Imago/Chokri Mahjoub)
Tunesien

Ein schwieriger Partner

Bundeskanzlerin Merkel dringt bei ihrem tunesischen Amtskollegen darauf, dass das Land seine Staatsbürger – abgelehnte Asylbewerber, Kriminelle und Terrorverdächtige – rascher zurücknimmt. Doch Tunesien ist ein schwieriger Partner: Hier leben sehr viele islamistische Dschihadisten. Premier Chahed will seine Bürger nicht zurück.

Tunesiens Ministerpräsident Youssef Chahed hat kurz vor einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutsche Überlegungen zurückgewiesen, in seinem Land Flüchtlings-Auffanglager einzurichten. Tunesien sei eine sehr junge Demokratie, sagte Chahed der Bild-Zeitung. Er denke nicht, dass es im Land für Flüchtlingslager Kapazitäten gebe. „Es muss eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. Das ist der einzige Weg“, sagte er. Fehler seiner Behörden im Fall des aus Tunesien stammenden Berliner Attentäters Anis Amri bestritt der Regierungschef kategorisch.

Natürlich muss sich Premierminister Chahed fragen lassen, was seine Regierung tut, damit nicht mehr so viele Tunesier ihr Land verlassen oder sich extrem radikalisieren.

Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag

Merkel empfängt Chahed am Mittag im Kanzleramt. Sie will ihn unter anderem zu einer besseren Zusammenarbeit bei der Rücknahme abgelehnter tunesischer Asylbewerber bewegen, besonders zu einer rascheren Aufnahme von islamistischen Gefährdern. Mit Blick auf Überlegungen für Flüchtlings-Auffanglager in Nordafrika hatte sie erklärt, man müsse „im gegenseitigen Respekt voreinander ruhig besprechen, welche Möglichkeiten da sind“.

Gewaltiges Islamisten-Problem

Denn Tunesien hat bereits im eigenen Land ein gewaltiges Islamisten-Problem: Von allen Ländern stammt das größte Kontingent von IS-Kämpfern in Syrien und dem Irak aus dem kleinen Mittelmeerland – nach tunesischen Angaben 2000, nach internationalen Schätzungen 5000 bewaffnete Dschihadisten. Zudem verspürt ein Großteil der tunesischen Bevölkerung keine Lust, die Terrorkämpfer-Landsleute aus Syrien und dem Irak, zurückzunehmen – ebensowenig terrorverdächtige Gefährder aus Europa.

So protestierten im Januar Tausende Tunesier in Tunis gegen die Rückkehr ihrer terrorverdächtigen Landsleute ins eigene Heimatland. In Parolen kritisierten die Demonstranten ausdrücklich Deutschland, dessen Behörden sich zuvor darüber beklagt hatten, dass Tunesien im Fall des Terroristen Amri die Kooperation verweigert habe.

Union sieht Tunesien in der Pflicht

CDU und CSU sehen hingegen Tunesien in der Pflicht. „Natürlich muss sich Premierminister Chahed fragen lassen, was seine Regierung tut, damit nicht mehr so viele Tunesier ihr Land verlassen oder sich extrem radikalisieren“, sagte Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, dem RND.

Mayer forderte von Tunesien wesentlich mehr Kooperationsbereitschaft bei der Rücknahme ausreisepflichtiger Tunesier aus Deutschland. Allerdings steht Chaheds Regierung bei diesem Thema eben auch unter dem Druck der eigenen Bevölkerung, die aus Angst vor Terror keine islamistischen Landsleute aus Europa zurücknehmen will. Im Nachbarland Algerien konnten und können die Tunesier viele Jahre beobachten, wohin ein Bürgerkrieg mit Islamisten führt. Auch Tunesien selbst stand während und nach dem „Arabischen Frühling“ an der Schwelle eines Bürgerkrieges.

Premier wirbt um Verständnis für schwierige Lage

Chahed warb auch um Anerkennung der Leistungen seines Staates, das nach den Unruhen des Arabischen Frühlings das einzige Land der Region mit demokratischen Strukturen ist. „Wir sind gerade dabei, einen Krieg gegen Terror zu führen. Wir schützen die Südflanke Europas. Wir sind in einer sehr heiklen Lage“, sagte er im ZDF.

Uns tut wahnsinnig leid, was in Berlin passiert ist. Das ging allen Tunesiern sehr nahe, denn wir haben 2015 selbst drei Terroranschläge erlebt.

Tunesiens Premier Youssef Chahed

Mit Blick auf die soziale Lage in seinem Land fügte er hinzu: „Es ist nicht nur eine Frage der Sicherheits-Architektur. Es geht um Bildung, es geht um Jugend, die jungen Menschen, die eine ganz geringe Beschäftigungschance haben.“ Und: „Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten, und da wollen wir mit ihrem Land zusammenarbeiten.“

Chahed sieht im Fall Amri keine eigenen Fehler

Zum Terrorfall Anis Amri behauptete Chahed gegenüber der Bild-Zeitung: „Die tunesischen Behörden haben keine Fehler gemacht.“ Amri konnte aus Deutschland nicht abgeschoben werden, weil Tunesien zunächst keine Ersatzpapiere für ihn ausgestellt hatte. „Als Amri 2011 Tunesien verlassen hat, war er kein Terrorist, es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich radikalisieren würde“, sagte Chahed. Tatsächlich weisen bisherige Erkenntnisse darauf hin, dass er sich erst später, möglicherweise im Gefängnis in Italien, radikalisiert hat. Doch eigentlich geht es darum gar nicht, denn Amri sollte nicht als Terrorverdächtiger, sondern als abgelehnter Asylbewerber und Kleinkrimineller nach Tunesien rückgeführt werden.

In Berlin will Premierminister Chahed den Tatort des Terroranschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz neben der Gedächtniskirche besuchen. Dort war der Tunesier mit einem gestohlenen Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt gerast. „Uns tut wahnsinnig leid, was in Berlin passiert ist“, sagte Chahed. „Das ging allen Tunesiern sehr nahe, denn wir haben 2015 selbst drei Terroranschläge erlebt.“

(dpa/wog)