Auseinander (v.l.)? Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sowie Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). (Bild: Imago/Eibner Europe)
Österreich

Große Koalition wackelt

Die Zukunft der rot-schwarzen Koalition in Österreich steht weiter auf der Kippe. Ob das Regierungsbündnis gerettet werden könne, sei völlig offen, sagt Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ).

Nach rund acht Stunden waren die Sondierungsrunden am Freitag mit mehreren Ministern aus sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP unterbrochen worden. „Es hat in einigen Punkten Fortschritte gegeben, es gibt in anderen Punkten keine Fortschritte“, sagte der 51-jährige Regierungschef. Ziel sei es, am Ende ein konkretes Papier zu haben. „Es wird nicht reichen, wenn wir uns bloß in Absichtserklärungen ergehen.“

Wir brauchen Maßnahmen, die dazu führen, dass wir die Zahl der Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, reduzieren, und zwar deutlich reduzieren.

Christian Kern, SPÖ, Kanzler

Die Zeit zur Formulierung eines gemeinsamen inhaltlichen Neustarts sei knapp. Es könne durchaus sein, dass nicht nur am Freitag weiterverhandelt werde, sondern die Gespräche auch am Wochenende weiterliefen, sagte Kern. Zu Differenzen in der Sache wollte Kern keine näheren Angaben machen. Allerdings bestritt er kategorisch, dass es vonseiten der SPÖ Widerstand gegen die von der ÖVP vorgeschlagene weitere Verringerung der zulässigen Asylverfahren gebe. „Wir brauchen Maßnahmen, die die Situation verbessern, Maßnahmen, die mehr Sicherheit bringen, Maßnahmen, die dazu führen, dass wir die Zahl der Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, reduzieren, und zwar deutlich reduzieren. Das ist unsere Vorgabe“, sagte der Kanzler. ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka stehe in der Pflicht, dafür praktikable Vorschläge zu liefern.

Ultimatum an den Koalitionspartner

Kern hatte angesichts des Reformstillstands zuletzt auf deutliche Fortschritte gedrängt und seinem Koalitionspartner praktisch ein Ultimatum gestellt. „Wir müssen Ergebnisse auf den Tisch legen, sonst braucht es diese Regierung nicht mehr“, so Kern in der Zeitung Standard. Dabei geht es um ein ganzes Bündel von Ideen, den Standort Österreich aus Sicht der SPÖ für Unternehmen attraktiver, aber auch sozial gerechter zu machen. Die Gespräche sollen nun am Freitagvormittag fortgesetzt werden. Sogar Neuwahlen brachte er ins Spiel. Das wäre allerdings riskant, denn in Umfragen liegt die FPÖ mit 33 Prozent vor der SPÖ mit 27 Prozent und der ÖVP mit 19 Prozent.

ÖVP in Zeitnot

Innerhalb der ÖVP will man von Neuwahlen nichts wissen. Man solle künftig „die Inszenierungen und das taktische Gehabe“ weglassen und stattdessen „Fakten setzen“, sagte ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in Richtung Kern. Die Rolle des Bremsers sehen die Konservativen ohnehin bei der SPÖ. Auch Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) sagte, der Kanzler stelle „Inszenierung vor die Arbeit“.

Die Partei hat einen Wechsel an der ÖVP-Spitze hin zum populären Außenminister Sebastian Kurz vor Weihnachten vorerst vertagt, weil sie von der regulären Regierungszeit bis Herbst 2018 ausging. Das ist nach Einschätzung des österreichischen Internet-Portals „Oe24“ auch der Hintergedanke von Kerns Neuwahl-Plänen: Er rechnet damit, dass die ÖVP es nicht mehr rechtzeitig schafft, einen Parteitag für den Personalwechsel zu organisieren. Dann kann er gegen den wenig charismatischen Mitterlehner in den Wahlkampf ziehen.

Die große Koalition regiert seit Ende 2013. Die regulären Neuwahlen sind eigentlich für den Herbst 2018 geplant. Kern ist erst seit Mai 2016 im Amt. Der ehemalige Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) hatte den glücklosen und parteiintern schließlich umstrittenen Werner Faymann als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender abgelöst.