Der Auszug Großbritanniens aus der EU könnte drohen, wenn die Volksabstimmung, die David Cameron versprochen hat, entsprechend ausgeht. (Bild: Ralph Peters/imago)
Brexit

David Cameron drückt aufs Gas

David Cameron hat seinen Wählern ein EU-Referendum versprochen. Jetzt muss er liefern. Um die euro-skeptischen Briten in der EU zu halten, muss er mit Brüssel substantielle EU-Reformen aushandeln. Schwierig, aber nicht unmöglich.

Jetzt wird es ernst für London und Europa. Im Januar 2013 hat der britische Premierminister David Cameron seinen Landsleuten versprochen, nach seiner Wiederwahl 2015 mit Brüssel über EU-Reformen zu verhandeln. Bis spätestens Ende 2017 sollten dann die britischen Wähler in einem „Rein-Raus-Referendum“ über das Verhandlungsergebnis und über Großbritanniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union abstimmen dürfen. Jetzt ist Cameron wiedergewählt worden und muss das versprochene EU-Referendum liefern.

Kommt das EU-Referendum schon früher?

In der Thronrede – Camerons Regierungserklärung –, die Königin Elisabeth an diesem Mittwoch verlesen wird, soll das Referendumsgesetz vorgestellt werden. Tags darauf beginnt Cameron eine Serie von Blitzreisen in EU-Hauptstädte, in denen er auf Sympathie für seine EU-Reformvorstellungen hofft: Am Donnerstag geht es nach Kopenhagen, Den Haag und Paris. Am Freitag fliegt er nach Berlin und von dort nach Warschau.

Schon im Januar – und wieder am Wahlabend – hat Cameron angedeutet, dass das Referendum auch um ein Jahr vorgezogen werden könnte. Dafür spricht einiges: Eine zweijährige Phase der Ungewissheit wäre Gift für die britische Wirtschaft, die vor allem eines braucht: Wachstum. 2017 würde das Referendum mit Wahlkämpfen in Frankreich und Deutschland kollidieren, was Verhandlungen mit Brüssel nur komplizieren kann. Und in welchem Zustand sich Camerons Regierung – und seine Partei – mit ihrer knappen Mehrheit in zwei Jahren, ungefähr zur Mitte der Legislaturperiode befinden wird, ist ungewiss.

Trotzdem wird es für Cameron nicht leicht werden, aufs Gas zu drücken: Das Referendumsgesetz muss von Unterhaus und Oberhaus – wo die Konservativen keine Mehrheit haben – verabschiedet werden. Das kann dauern. Cameron braucht genug Zeit, um sich mit Brüssel einig zu werden und um dann  seine Landsleute – und seine Partei – vom Verhandlungsergebnis und vom Status quo, also dem Verbleib in der EU, zu überzeugen. Denn das wünscht sich Cameron, sagt er jedenfalls.

Schluss mit Sozialtourismus, mehr Mitsprache der Nicht-Euro-Länder

Damit seine Briten so abstimmen, wie er sich das wünscht, muss Cameron ihnen substantielle Reformerfolge anbieten – die aber gleichzeitig nicht so substantiell sein dürfen, dass sie neue EU-Verträge nötig machen. Denn das würde jeden zeitlichen Rahmen, aber auch die inhaltliche Geduld Brüssels und der EU-Partner sprengen. Welche britischen Reform-Forderungen Themen wird Cameron jetzt also seinen EU-Gesprächspartnern von Kopenhagen bis Warschau auftischen?

Sechs große Forderungen stehen im Vordergrund, erläutert die Londoner Wochenzeitung The Economist:
• Besonders wichtig ist der britischen Regierung – und ihren Wählern – die Eindämmung von sogenanntem EU-Sozialtourismus: EU-Zuwanderer sollen erst nach vier Jahren Anspruch auf Sozialleistungen haben. Wer binnen sechs Monaten keine Arbeit findet, muss gehen. Für Kinder, die nicht in England leben, soll es kein Kindergeld geben.
• London verfolgt sodann das Ziel, den EU-Binnenmarkt zu vervollständigen und auf Dienstleistungen, Energie und digitale Märkte auszudehnen.
• Andererseits will London aber die EU-Gesetzgebung reduzieren und Befugnisse von Brüssel in die nationalen Hauptstädte zurückverlagern.
• Dazu passt der britische Gedanke, den nationalen Parlamenten eine stärkere Rolle einzuräumen – bis hin zum Veto gegen EU-Gesetze.
• Die Briten wollen zudem einen Weg finden, um die Interessen der Nicht-Euro-Länder zu wahren und sie vor Mehrheitsbeschlüssen oder Vorentscheidungen der 18 Länder der Euro-Zone zu schützen.
• Und schließlich will London nichts von der „immer engeren Gemeinschaft“ wissen, zu der sich die Mitgliedsländer seit dem Vertrag von Rom 1957 verpflichtet haben.

Manfred Weber: „Keine Ausbeutung der Sozialsysteme“

Die meisten dieser britischen Forderungen sollten sich unterhalb der Schwelle zur aufwendigen Veränderung der EU-Verträge machen lassen. Mit einigen Wünschen darf Cameron sogar auf Zustimmung mancher Partner rechnen – etwa beim Thema Sozialtourismus. Da sei Raum für einen Kompromiss, meint der CSU-Europapolitiker und EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber: „Europa garantiert die Freiheit, uns in der EU frei zu bewegen. Europa garantiert aber nicht das Ausbeuten von Sozialsystemen durch Faulenzer. Wir dürfen nur denen Zugang zum Sozialsystem geben, die auch einen Arbeitsplatz nachweisen und zum Sozialsystem in dem jeweiligen EU-Land beitragen.“ Cameron sieht das nicht anders.

Die Frage der fairen Behandlung der Nicht-Euro-Länder durch die 18 Länder der Eurozone ist für die EU geradezu von existentieller Bedeutung. Hier lauere die Gefahr der Spaltung der Gemeinschaft, warnt The Economist.

Nicht nur London, sondern die ganze EU hat viel zu verlieren

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich London und Brüssel einig werden können, ist hoch. Beim britischen EU-Austritt – Brexit – hätte Großbritannien viel zu verlieren. Die Rest-EU aber auch: Ohne die Briten verlöre die EU wirtschaftlich und politisch an Gewicht in der Welt. Großbritannien ist nach Deutschland die zweitgrößte EU-Wirtschaft. Es ist Washingtons wichtigster Bündnispartner in Europa. London ist Atommacht und ständiges Veto-Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Die andere europäische Atommacht, Frankreich, verlöre einen wichtigen militärischen und sicherheitspolitischen Partner. Die Exportnation Deutschland würde den britischen Befürworter von Haushaltsdisziplin und Freihandel vermissen. Ohne die Briten erhielte die EU eine sehr andere Gestalt und müsste ein neues Gleichgewicht erst mühsam finden. Londons Abschied von der EU wäre ein dramatischer Rückschlag für das europäische Projekt. Ob es sich so schnell davon erholen könnte, wäre nicht gewiss. So sieht es offenbar auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er war am Pfingstmontag bei Cameron zu gast und hat ihm „einen fairen Deal“ für Großbritannien versprochen.

Der Brexit ist nicht unvermeidlich. In einer aktuellen Umfrage  (The Sunday Times) liegen die EU-Befürwortern mit 44 gegen 36 Prozent vor den EU-Gegnern – allerdings bei 17 Prozent Unentschiedenen. Im Februar und im Januar lagen aber auch schon einmal die EU-Gegner um drei Prozentpunkte  vorne. Es kann also knapp werden.

Droht der Brexit nach der von David Cameron angestrebten Volksabstimmung in Großbritannien? (Bild: Ralph Peters/Fotolia)

Droht der Brexit nach der von David Cameron angestrebten Volksabstimmung in Großbritannien? (Bild: Ralph Peters/Fotolia)