Folter durch Polizisten?
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der türkischen Regierung vor, seit dem Putschversuch im Juli Schutzmaßnahmen gegen Folter auszuhebeln. Damit stelle sie Behörden einen "Blankoscheck" für die Misshandlung von Inhaftierten aus. Zudem wurden in der Türkei erneut kurdische Bürgermeister verhaftet.
Türkei

Folter durch Polizisten?

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der türkischen Regierung vor, seit dem Putschversuch im Juli Schutzmaßnahmen gegen Folter auszuhebeln. Damit stelle sie Behörden einen "Blankoscheck" für die Misshandlung von Inhaftierten aus. Zudem wurden in der Türkei erneut kurdische Bürgermeister verhaftet.

Angesichts von Foltervorwürfen während des Ausnahmezustands in der Türkei hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) der türkischen Führung Tatenlosigkeit vorgeworfen. Zugleich müsse die Regierung Schutzmaßnahmen gegen Folter wieder in Kraft setzen, forderte die Organisation in einem Bericht. Darin dokumentiert die Organisation 13 Beispielfälle von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam nach dem Putschversuch vom 15. Juli. Insgesamt gebe es aber weit mehr Fälle.

„Blankoscheck“ für Misshandlungen

Für den gescheiterten Putsch macht die Türkei den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich und geht per Notstandsdekret gegen mutmaßliche Anhänger vor. Per Dekret wurden dabei auch umstrittene Maßnahmen erlassen, die laut HRW Folter begünstigen. So dürfen Verdächtige 30 statt vier Tage in Polizeigewahrsam festgehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Außerdem darf ihnen bis zu fünf Tagen der Kontakt zu einem Anwalt verwehrt werden. Indem die Regierung solche „Schutzmaßnahmen gegen Folter“ aushebele, stelle sie den Behörden einen „Blankoscheck“ aus, um „Inhaftierte zu foltern, und zu misshandeln wie sie wollen“, sagte Hugh Williamson, Direktor der Europa und Zentralasien Abteilung.

Fälle in mehreren Städten

HRW dokumentiert in ihrem Bericht Foltervorwürfe in Polizeigewahrsam in der Hauptstadt Ankara, in Istanbul, Urfa und Antalya. Demnach wurden die Insassen mutmaßlich geschlagen, sexuell missbraucht, in schmerzhaften Positionen gehalten und Vergewaltigung von Verwandten angedroht. In mehreren Fällen habe die Polizei damit offenbar Geständnisse erpressen wollen. Einige Insassen seien wegen des Vorwurfs der Gülen-Unterstützung festgenommen worden, andere wegen mutmaßlicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. HRW beruft sich dabei auf Aussagen ehemaliger Insassen, Anwälte und Ärzte.

Einer sagte, ich habe deine Mutter hierher gebracht und vergewaltige sie vor dir, wenn du nicht redest.

Insasse in Istanbul

Ein Insasse in Istanbul berichtete demnach seinem Anwalt: „Sie rissen mir die Kleider vom Leib und zerrissen sie. Sie drohten mir, während sie meine Sexualorgane quetschten, und schlugen mich auf widerwärtige Weise. Einer sagte, ich habe deine Mutter hierher gebracht und vergewaltige sie vor dir, wenn du nicht redest.“ Ein Lehrer in Antalya sei so stark geschlagen worden, dass ein Stück des Dünndarms entfernt werden musste, heißt es weiter in dem Bericht. In vielen Fällen werde den Insassen die Konsultation eines eigenen Anwalts verweigert. Stattdessen würden Pflichtverteidiger eingesetzt, die oft unerfahren seien und sich leicht einschüchtern ließen. Ärzte seien zudem dazu gezwungen worden, Berichte zu unterschreiben, in denen Folter und Misshandlung verschwiegen werde.

Rücknahme der Dekrete gefordert

Der Bericht weist auch darauf hin, dass der UN-Sonderberichterstatter für Folter die Türkei im Oktober habe besuchen wollen, dass ihm jedoch der Zugang verwehrt worden sei. Um schnell zum Rechtsstaat zurückzukehren, empfiehlt Human Rights Watch der türkischen Regierung, umgehend die im Ausnahmezustand erlassenen Dekrete zurückzunehmen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte bereits in einem Bericht vom Juli Foltervorwürfe gegen die Regierung erhoben. Daraufhin hatte Erdogan erklärt, es gebe null Toleranz für Folter. Vergangene Woche bemängelte Amnesty, dass die Regierung die Vorwürfe über Folter und Misshandlung nicht ernstgenommen habe.

Kurdische Bürgermeister verhaftet

Unterdessen meldete die ARD, dass die beiden Bürgermeister der Kurdenmetropole Diyarbakir festgenommen worden sind. Die türkischen Behörden würden ihnen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei PKK und deren Unterstützung vorwerfen. Die autokratische Erdogan-Regierung hatte im September bereits 28 gewählte Bürgermeister abgesetzt, 24 wegen angeblicher Verbindungen zur PKK, vier wegen Gülen-Kontakten. Der mehrheitlich kurdisch besiedelte Südosten der Türkei wird durch den von Erdogan angezettelten Krieg immer stärker erschüttert: Bisher wurden in dem Konflikt angeblich mehr als 600 Mitglieder der Sicherheitskräfte und mehr als 7000 PKK-Kämpfer getötet.

(dpa/AS/ARD/avd)