SNP-Chefin Nicola Sturgeon erhöht vor dem Parteitag der schottischen Nationalisten den Druck auf London. (Bild: Imago/Xinhua)
Scottish National Party

Londons nächste Baustelle

Zum ersten Mal nach dem Brexit-Votum trifft sich Schottlands regierende Nationalpartei zum Parteitag. Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU ist dort das bestimmende Thema. Denn die SNP sucht nach Wegen, um eine Abspaltung Schottlands von London möglich zu machen - und damit bestenfalls EU-Mitglied zu bleiben. SNP-Chefin Nicola Sturgeon droht London zum Auftakt schon einmal im großen Stil.

Die Ergebnisse des Brexit-Votums waren deutlich: In England, Wales und Nordirland sprach sich eine – wenn auch mancherorts knappe – Mehrheit für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union aus. In Schottland dagegen – dem zweitgrößten Land des Vereinigten Königreichs – wollte eine klare Mehrheit Mitglied der EU bleiben.

Wenn Sie glauben, ich würde nicht alle Schritte tun, um Schottlands Interessen zu wahren, dann liegen Sie falsch.

Nicola Sturgeon, zur englischen Premierministerin Theresa May

Schon in den ersten Interviews nach Bekanntgabe des Ergebnisses positionierte sich die Scottish National Party (SNP) – die neben der Regionalregierung in Edinburgh auch alle schottischen Abgeordneten im House of Commons stellt – deutlich: „Dieses Ergebnis ist eine Zerreißprobe für Großbritannien“, stellte Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon fest. Demonstrativ hielt sich die Regierungschefin ein zweites Referendum – das erste war vor knapp zwei Jahren gescheitert – über die Unabhängigkeit Schottlands von Westminister offen. Schottland werde sich keiner Entscheidung anschließen, für die die Schotten nicht im Ansatz gestimmt hätten, teilte Sturgeon bei jeder Gelegenheit mit. In den Monaten seither hat sich der verbale Kampf gegen London sogar noch verstärkt. Der schottische Parlamentsabgeordnete Stephen Gethins etwa sagte: „Der Brexit ist für die Hunde.“

SNP will sich neu positionieren

An diesem Wochenende trifft sich die SNP zum ersten Parteitag nach dem Brexit-Votum. Dabei wird deutlich: Schottlands Politik steht immer noch unter Schock. In beinahe jedem Interview, das Nicola Sturgeon oder ihre Mitstreiter in den Medien geben, geht es um den Brexit. Jetzt also hat die SNP erstmals die Möglichkeit, mit konkreten Parteitagsbeschlüssen ihre Vorstellungen eines Post-Brexit-Schottlands zu benennen.

Sturgeon kündigt faktisch neues Referendum an

Seit der Entscheidung hat die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland erheblichen Zulauf erhalten. Nach dem gescheiterten Referendum 2014 war der Zuspruch für die „Scottish Independence“ zeitweise auf ein Rekordtief von nur noch 30 Prozent gefallen. Im Schnitt hatte sich der Wert bei Umfragen in den letzten 25 Jahren stets zwischen 35 und 49 Prozent bewegt, und die magische 50-Prozent-Grenze mehrfach sogar überschritten. Neueste Erhebungen zeigen jetzt: Die 50-Prozent-Hürde droht erneut zu fallen – und diesmal könnte es von Dauer sein. Ein Rückenwind, den nicht wenige in der SNP jetzt für das übergeordnete Ziel der linksliberalen Partei nutzen wollen: Die Unabhängigkeit von London nach 309 Jahren. Nach so vielen Jahren scheint die Zeit jetzt für die SNP aber zu drängen: Der Herald Scotland berichtet davon, dass nicht wenige Parteifreunde Sturgeon zur Eile mahnen, „damit man den Schwung aus der Brexit-Empörung für die Unabhängigkeit nutzt.

„Hard Brexit“ könnte zum Knackpunkt werden

Diesen Spekulationen gab Parteichefin Sturgeon gleich bei der Begrüßungsrede auf dem Parteitag neue Nahrung: Die Regierung von Premier Theresa May müsse jetzt beweisen, dass Schottland in einem unabhängigen Großbritannien ein gleichberechtigter Partner sei. Sollte sich London aber für einen sogenannten „Hard Brexit“ entscheiden – also dem vollständigen Ausscheiden aus dem europäischen Binnenmarkt – werde dies für Schottland Konsequenzen haben, betonte Sturgeon.

„Schottland hat sich diese Situation nicht ausgesucht“

Mit den Tories ging die SNP-Chefin hart ins Gericht. „Schottland hat sich diese Situation nicht ausgesucht. Die konservative Partei hat uns in diese Situation gebracht.“ Beim Referendum 2014 hatte der damalige Premier David Cameron den Schotten versprochen, sie seien gleichberechtigte Partner innerhalb des Vereinigten Königreichs. „Jetzt ist es an der Zeit, das zu beweisen“, stellte Sturgeon klar. An die Premierministerin gerichtet, sagte sie: „Wenn Sie glauben, ich würde nicht alle Schritte tun, um Schottlands Interessen zu wahren, dann liegen Sie falsch.“ Was das bedeutet, ist nicht schwer zu verstehen: Sollte die SNP bei den Brexit-Verhandlungen nicht gehörig an Einfluss gewinnen, droht London neben den Verhandlungen mit Brüssel noch eine weitere Großbaustelle – wenn nicht gar der endgültige Untergang „Groß“britanniens.