EVP-Präsident Joseph Daul fordert eine Stärkung des Militärs. (Foto: A. Schuchardt)
Sicherheitspolitik

„Wir sind im Krieg mit den Terroristen“

Der Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP) , der französische Politiker Joseph Daul, fordert Europa auf, eine gemeinsame Verteidigung aufzubauen und wieder mehr Geld für das Militär auszugeben. An die Türkei richtet er eine deutliche Warnung.

Herr Daul, es gab islamistisch motivierte Anschläge in Brüssel, Paris, Nizza und jetzt auch in Würzburg und Ansbach. Befindet sich Europa im Krieg mit den Terroristen?

Ja. Wir hatten jetzt mehr als 60 Jahre Frieden in Europa. Daran haben wir uns gewöhnt. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sich das noch einmal ändern könnte. Jetzt ist der internationale Terrorismus die Herausforderung.

Was bedeutet das für Europa?

Wir müssen uns auf diese Situation einstellen. Und wir müssen vieles verändern. Das heißt nicht, dass wir einen Krieg führen wollen. Aber Europa muss sich gegen den Terror verteidigen und eine gemeinsame Verteidigung aufbauen, um den Frieden zu bewahren.

Was muss konkret geschehen?

Alle Länder in Europa haben ihre militärischen Kapazitäten abgebaut. Sie haben die Budgets gesenkt und wir haben die militärische Forschung abgebaut. Wir brauchen das Militär aber, um an den Grenzen Europas oder extern gegen Terrororganisationen zu operieren. Wenn wir so weitermachen, haben wir bald nichts mehr. Das muss so schnell wie möglich korrigiert werden. Das hat die EVP übrigens schon auf ihrem Kongress im vergangenen Jahr in Madrid gefordert. Es muss jetzt wieder Geld ins Militär investiert werden.

Das ist eine Forderung, die auch die NATO seit Jahren erhebt.

Ich war dabei, als Barack Obama gesagt hat, jeder Amerikaner gibt 170 Euro im Jahr für die Verteidigung von Europa aus. Und er hat die Europäer ermahnt, endlich mehr zu tun. Denn die Amerikaner wären nicht mehr länger bereit, dies zu zahlen, wenn in Europa das Militär immer weiter abgebaut würde. Darauf hat damals niemand reagiert. Als ich auf dem EVP-Kongress im vergangenen Herbst über das Thema „Verteidigung und Sicherheit“ reden wollte, waren alle Länder dagegen. Das sei eine nationale Aufgabe, hieß es. Das hat sich jetzt geändert.

Die Terroristen kommen nicht nur von außen. In Frankreich waren es unsere Bürger.

Joseph Daul

Genügt es denn im Kampf gegen Terror, das Militär zu stärken?

Es gehört noch mehr dazu: Am Tag der Attentate von Brüssel hatte ich einen Termin mit dem Bischof von Aleppo. Alle anderen Termine an diesem Tag waren abgesagt worden, nur er hatte sich nicht gemeldet. Als er an meine Tür klopfte, habe ich gesagt: `Sie sind ja tatsächlich gekommen.´ Er antwortete: `Warum nicht? Das Leben geht weiter.´ Und dann sagte er: `Sie werden sich daran gewöhnen müssen. Ich lebe mit der Gefahr, seitdem ich 13 Jahre alt bin.´ Und es gibt noch einen Punkt: Die Terroristen kommen nicht nur von außen. In Frankreich waren es unsere Bürger. Auch diese Realität müssen wir anerkennen und bedenken. Und wir müssen in Europa besser zusammenarbeiten.

Das ist eine Forderung der CSU an die EU: Die Sicherheitsdienste müssen europaweit enger kooperieren und ihre Informationen austauschen.

Das ist richtig. Auf diesem Gebiet muss etwas passieren. Daran müssen wir Politiker jetzt arbeiten. Zurzeit arbeiten ja nicht einmal die deutschen und die französischen Geheimdienste ausreichend zusammen. Jeder Dienst arbeitet nur für sich. Das kann ich nicht verstehen.

Sie haben die Attentäter aus dem eigenen Land erwähnt. In Frankreich sprechen einzelne Kommentatoren bereits von einem „Bürgerkrieg“, in dem Franzosen auf Franzosen schießen. Teilen Sie diese Auffassung?

In ganz Frankreich gibt es etwa 12.000 Gefährder. Wir können sie nicht alle einsperren. Wir können sie nicht alle kontrollieren. Wir müssen uns fragen, wo das herkommt. Das waren viele Drogenhändler und Jugendliche, die in Problemvierteln leben. Davor haben wir 25 Jahre lang die Augen verschlossen – die Linke wie die Rechte – und heute haben wir diese massiven Schwierigkeiten. Das waren keine Islamisten. Die haben Alkohol getrunken und Drogen genommen. Und mit einem Mal tauchen sie als Attentäter auf. Aber von einem Bürgerkrieg würde ich deshalb nicht sprechen. Das geht zu weit.

Wir müssen zum Beispiel die leeren Flüchtlingsschiffe versenken. Das wäre ein deutliches Zeichen im Kampf gegen die Schlepper.

Joseph Daul

In Frankreich blickt man mit großer Sorge nach Afrika, vor allem in die Regionen südlich der Sahel-Zone. Von dort, so fürchtet man, könnten sich viele Millionen nach Frankreich aufmachen. Wie berechtigt ist diese Sorge?

Die ist berechtigt. Und das ist nicht nur für Frankreich wichtig, sondern für ganz Europa. An diesem Problem arbeiten wir auch. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Europa einige Hundert Millionen Euro zusätzlich an Entwicklungshilfe bekommen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben können.

Werden viele nicht trotzdem kommen?

Die Menschen dort sehen doch inzwischen auch, dass in Europa auch nicht alles so rosig ist, wie es die Schlepper versprechen. Diese Informationen verbreiten sich auch in diesen Ländern. Wir müssen viel energischer gegen die Schlepper vorgehen. Wir müssen zum Beispiel die leeren Flüchtlingsschiffe versenken. Das wäre ein deutliches Zeichen im Kampf gegen die Schlepper.

Müsste die EU nicht auch mit viel Nachdruck verlangen, dass diese Länder ihre Migranten wieder zurücknehmen, wenn sie kein Asyl bekommen können?

Wir müssen die Entwicklungshilfe mit dieser Frage verknüpfen. Wir können diese Bereiche nicht mehr getrennt behandeln. Da müssen wir härter durchgreifen: Entweder diese Länder nehmen ihre Bürger zurück oder sie bekommen keine Entwicklungshilfe mehr.

Eine weitere Forderung aus Bayern ist ein europäisches Einreiseregister, das sämtliche Übertritte einer EU-Außengrenze protokollieren und Namen sowie Fingerabdrücke der Reisenden zentral speichern soll. Wird es dazu kommen?

Das sollten wir bereits längst haben. Und ich habe die Hoffnung, dass wir das auch hinbekommen. Länder wie Italien und Griechenland, die bislang dagegen waren, sehen jetzt, was passieren kann, wenn ihre Nachbarn die Grenzen schließen: Dann bleiben die Flüchtlinge bei ihnen.

Erdogan muss jetzt zeigen, ob er ein Mitspieler ist, dem wir vertrauen können oder nicht.

Joseph Daul

Ein wichtiger Partner der EU in der Flüchtlingspolitik ist die Türkei. Wie beurteilen Sie, was dort gerade geschieht?

Ich hoffe, dass das Flüchtlingsabkommen hält. Erdogan muss jetzt zeigen, ob er ein Mitspieler ist, dem wir vertrauen können oder nicht. Es liegt an ihm, das zu beweisen. Im Moment hält das Abkommen. Daran gibt es nichts zu kritisieren.

Und wie stehen Sie zu den politischen Vorgängen in der Türkei? Zu den Verhaftungen und Entlassungen?

Ich persönlich werde noch ein wenig verfolgen, was geschieht. Eines ist klar: Wenn Erdogan die Todesstrafe einführt, dann kann es keinen EU-Beitritt geben. Das haben auch schon Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande gesagt. Das ist die große rote Linie. Wie sich die anderen Dinge entwickeln, müssen wir beobachten.

Und wenn im Herbst über die Visumsfreiheit für die Türkei entschieden werden muss, wird Frankreich dann zustimmen?

Im Moment nicht.

Das Interview führten Heinrich Maetzke und Thomas Röll