Gute Freunde kann niemand trennen: IOC-Chef Thomas Bach (l.) und der russische Präsident Wladimir Putin 2015 in Moskau. (Bild: Imago/Zuma Press)
Russische Doper

Die Schande des Thomas Bach

Kommentar Mit einer weltweit heftig kritisierten Entscheidung hat sich das Internationale Olympische Komitee IOC unter seinem deutschen Präsidenten Thomas Bach bis auf die Knochen blamiert. Das Staatsdoping Russlands kommt davon, die Kronzeugin wird bestraft. Die Botschaft an alle: Betrügen Sie künftig ausgiebig, Fairness im Sport gilt ab sofort absolut nichts mehr.

Nach dem Beschluss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Russlands Sportler nicht komplett von den Sommerspielen in Rio de Janeiro auszuschließen, ist fast weltweit wütende Empörung über den „Putin-Freund“ Thomas Bach zu lesen und zu hören. „Putins Pudel“ nennt ihn gar die Bild-Zeitung. „Tiefpunkt in der olympischen Geschichte“, so der Sportinformations-Dienst SID. „Sargnagel für die Glaubwürdigkeit des IOC“, so die ARD. „Freifahrtschein für Doper“, so der ARD-Experte Hajo Seppelt, der den ganzen Skandal aufgedeckt hatte. „Er ist für mich Teil des Dopingsystems, nicht des Antidopingsystems“, sagte der Diskus-Olympiasieger Robert Harting über Bach.

Der Kremlchef, das ist seit Sonntag keine Frage mehr, ist der wahre Herrscher des Olymps.

ätzt Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung gegen den Wirtschaftsadvokaten Bach.

„Ein Skandal“, sagt Doping-Experte Fritz Sörgel. „Hier entsteht leicht der Eindruck, dass politische Rücksichtnahmen höher gewichtet worden sind, als die Frage der Glaubwürdigkeit des Sports“, sagt der deutsche Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop. „Nach dem jetzigen Entscheid des IOC bin ich erstaunt, enttäuscht und verärgert“, zitierte die Schweizer Nachrichtenagentur sda den Chef des Schweizer Sport-Dachverbandes, Jörg Schild. Die britische Zeitung Daily Mail, die 2013 als erstes Medium über Vertuschung und Korruption in Russland berichtet hatte, bezeichnete Bach als „zahnlosen Präsidenten, der eine gemütliche Beziehung zu Wladimir Putin pflegt“.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die zusammen mit 14 nationalen Ablegern eine Komplettsperre mit strengen Ausnahmeregeln verlangt hatte, zeigte sich enttäuscht. Sie erklärte, dies könne zu einem geringeren Schutz für saubere Athleten führen. Ein Ausschluss Russlands hätte dagegen eine klare, zukunftsorientierte Linie aufgezeigt. Die deutsche Anti-Doping-Agentur (NADA) habe ein klares Signal für sauberen Sport erhofft, hieß es in einer Erklärung. Nun seien leider viele Fragen offen und das Anti-Doping-System geschwächt. Es gebe keine einheitlichen Regeln für ein gemeinsames Vorgehen der internationalen Verbände.

Der systematische Betrug durch Russland

Putin und seine Schergen haben den Sport jahrelang betrogen wie kaum jemand zuvor. Mehr als 200 russischen Sportlern wurde Doping nachgewiesen, das obendrein laut Medienberichten und der McLaren-Kommission mindestens seit Ende 2011 systematisch betrieben und vom Staat gelenkt wurde. Zahlreiche positive Dopingproben wurden vertuscht, zerstört oder sogar vom Geheimdienst ausgetauscht, Dopingfahnder in die Irre geführt oder durch Training in geheimen Militäranlagen abgewiesen. McLaren bestätigte jetzt, dass weit mehr als die bisher rund 1400 erwiesenermaßen von Russland zerstörten Proben zu erwarten sind, mehrere Tausend seien es. Ähnliches gelte für die bisher 643 nachweislich ausgetauschten Proben. Geleitet, kontrolliert und überwacht vom russischen Sportministerium, so der McLaren-Report.

Die Medaillen werden leise weitergereicht, der Moment auf dem Podium bleibt verloren.

Was das Schlimmste an all dem – neben den Gesundheitsgefahren für die Sportler – war: Über die Jahre wurden vermutlich hunderte Sportler anderer Nationen um ihre Medaillen bei internationalen Wettkämpfen betrogen und um ihren einzigartigen Moment auf dem Podium. Derzeit werden in mehreren Tranchen Dopingproben der Olympischen Spiele von 2008 und 2012 nachgetestet, weitere 45 Sünder flogen jetzt auf, zuvor waren es 53. Weitere werden demnächst folgen, darunter vermutlich zahlreiche weitere Russen. Sollten darunter dann auch aktuelle Rio-Starter sein, die vielleicht wieder bei Siegerehrungen anderen Athleten ihren Podiumsplatz gestohlen haben, wird man wie immer ganz leise die Medaillen weiterreichen. Den Moment auf dem olympischen Podium aber erhalten die Betrogenen nicht zurück.

Erbärmlicher geht es kaum

Die absurde Lösung der Exekutive des IOC lautet jetzt: Russische Athleten müssen vor Experten internationaler Sportfachverbände und des Internationalen Sportgerichtshofs CAS den Beweis antreten, sauber zu sein. Gültig zur Entlastung sind nur internationale Doping-Tests außerhalb des russischen Sports, dann folgt noch ein Sachverständiger des CAS. Wie das für hunderte Sportler in 12 Tagen bis zur olympischen Eröffnung korrekt ablaufen soll, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nicht nur, dass vom IOC nicht mal die Zahl solcher negativen Tests festgelegt wurde. Jeder weiß, dass man sich solche Tests in jeder Bananenrepublik, aber vermutlich auch in offiziell akkreditierten Anti-Dopinglaboren kaufen kann.

Eine Erlaubnis im Sonderangebot.

Und der schwarze Peter wird von den peinlichen IOC-Funktionären weitergegeben: Die internationalen Sportverbände sollen diese Anhörungen durchführen und dann entscheiden, welche Sportler nach Rio dürfen. Das IOC behält nur ein Einspruchsrecht. Der Leichtathletik-Weltverband hatte die Russen bereits komplett gesperrt, da er offenbar keine Probleme mit einer Kollektivstrafe hatte. Wie leicht aber bestimmte Einzelsportarten diese Ausnahmen gewähren wollen und werden, zeigte sich wenige Stunden später im Tennis, einer Sportart, die Doping seit Jahrzehnten geflissentlich übersieht: Der Tennis-Weltverband ließ die sieben russischen Tennisprofis zu. Auch Judokas und Bogenschützen erhielten schnell einen Persilschein. Viele Einzelsportverbände werden obendrein von russischen Funktionären oder ihren engen Verbündeten geführt. Deren „Urteile“ werden dann unter der Rubrik „Schlechter Witz“ zu finden sein.

Putins Bächlein

Wie falsch diese Entscheidung ist, zeigte sich schon an der schleimigen Zufriedenheit in Russland. „Unsere Mannschaft nimmt an den Olympischen Spielen teil. Ich hoffe, dass wir uns über Siege freuen werden“, jubelte Russlands Sportminister und hauptverantwortlicher Dopingfreund, Witali Mutko. Längst bekannt ist, dass IOC-Präsident Thomas Bach ein Russenfreund ist, darauf ist er laut eigenen Worten auch noch stolz. Die Zeit bezeichnete ihn sogar als „gut bezahlten russischen Sportbotschafter“. Putin hatte den Deutschen bei dessen Präsidentenwahl unterstützt, meldet der SID und die SZ. „Hat Bach sich dafür jetzt erkenntlich gezeigt“, fragt nicht nur die Bild-Zeitung.

Bach jedenfalls erdreistet sich jetzt auch noch, zu behaupten: „Es geht um Gerechtigkeit!“ Sippenhaft sei nicht gestattet, da es auch die sauberen Sportler bestrafe. Aber abgesehen von den dauerhaft im Ausland lebenden russischen Sportlern muss doch die Frage gestattet sein: Ist überhaupt auch nur ein einziger russischer Sportler sauber, wenn das massenhafte Staatsdoping so weit verbreitet ist? „Härteste Maßnahmen“ kündigte Bach noch nach dem McLaren-Report an. Da hat ihn wohl jemand zurück gepfiffen.

Die Kronzeugin wird bestraft

Das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der Schande wurde dann noch mit der Entscheidung gefällt, dass die wegen Morddrohungen im amerikanischen Exil lebende Kronzeugin für den Betrug, Julia Stepanowa, eine russische Spitzen-Leichtathletin, nicht unter neutraler Flagge bei Olympia starten darf. Sie erfülle angesichts ihrer Doping-Vergangenheit trotz ihrer Verdienste um Aufklärung nicht die „ethischen Anforderungen“, teilte das IOC in Lausanne mit. Denn Russen, die schon einmal des Dopings überführt wurden, dürfen nicht nach Rio – wie eben leider auch Stepanowa. Welcher Athlet sollte in Zukunft jemals wieder über Doping auspacken? Ganz im Gegenteil, die Botschaft des Sport-Zwergen Thomas Bach und seiner peinlichen Riege aus 15 Funktionären lautet: Schweigt!

Mehr als erbärmlich muten dann noch Bachs Äußerungen in der SZ in Richtung Stepanowa an:

Wir sind dankbar für ihr Engagement, deshalb laden wir sie und ihren Ehemann ein, in Rio Gäste des IOC zu sein. Wir zeigen damit, dass wir bereit sind, sie zu unterstützen.

„Das ist nicht rechtens. Sie hat so viel Schaden für die Leichtathletikwelt abgewendet. Ihr Start wäre ein Schlag ins Gesicht von Herrn Putin gewesen. Deshalb findet das nicht statt“, sagte dagegen Olympiasieger Harting.

Bach sollte zurücktreten

Doping ist gut für die Kommerz- und TV-Veranstaltung Olympia, weil es Spektakel für die Zuschauer durch immer neue Weltrekorde bietet. Kommerz und TV-Gelder bedeuten im Weltsport immer Korruption und Vetternwirtschaft, das zeigten nicht nur Fälle wie die FIFA und die IAAF. Warum sollte es hier anders sein?

Natürlich dopen nicht nur die Russen, auch aus Kenia, den USA, Jamaika, China, Äthiopien und vielen anderen Nationen, auch Deutschland, kommen seit Jahren ähnliche Geschichten. Aber gerade deshalb hätte das IOC ein Exempel durchführen müssen, das eine Warnung für alle Doper und Doper-Nationen ist: Ihr kommt nicht so leicht davon. Es hätte auch eine Art Gegensolidarisierung bewirken können. Denn wenn saubere Sportler wissen, dass sie auch von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen werden können, weil so viele Landsleute dopen, dann würden sie künftig nicht mehr wegschauen. Und wenn sie dann noch wüssten, dass Kronzeugen mit der Teilnahme an Wettkämpfen belohnt werden, wäre die Sicherheit der Doper vor Verfolgung dahin. Beides hat das IOC kläglich versäumt.

Als Sportfan und Sportler muss man sich angewidert abwenden. Thomas Bach und Kollegen sollten zurücktreten, sie sind Schandflecken für den Sport und erfüllen ganz sicher nicht die „ethischen Anforderungen“, die an ihre Ämter gestellt werden müssen.