Das Grauen von Nizza: Opfer des Anschlags auf der "Promenade des Anglais". (Bild: Imago/Norbert Scanella/PanoramiC)
Mindestens 84 Tote

Verheerender Anschlag in Nizza

Bei einem Anschlag am französischen Nationalfeiertag sind in der Hafenstadt Nizza mindestens 84 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Zahlreiche weitere wurden verletzt, als ein Lastwagen am Donnerstagabend auf einer Strecke von zwei Kilometern durch eine feiernde Menschenmenge auf der berühmten Uferstraße Promenade des Anglais raste. Polizisten erschossen den Fahrer.

Tote, Panik, flüchtende Menschen – Frankreich sieht sich mit einer neuen Attacke konfrontiert: Zum Nationalfeiertag rast in der südfranzösischen Stadt Nizza ein Lastwagen in feiernde Menschen, mindestens 84 kommen ums Leben. Augenzeugen berichten von der enormen Gewalt der Attacke: Der weiße Kastenlastwagen raste noch vor Ende des Feuerwerks über dem Mittelmeerpanorama von Nizza eine lange Strecke über den Bürgersteig der abgesperrten Promenade. Viele Menschen konnten sich nicht retten und wurden von dem nach Schätzungen drei bis vier Tonnen schweren weißen Lastwagen erfasst. „Das war furchtbar“, berichtet eine Zeugin im französischen Fernsehen. Nach dem Attentat in Nizza sind mehr als 50 Kinder im Krankenhaus, berichtet die Zeitung Nice Matin. Auch unter den Todesopfern waren mehrere Kinder.

Nach Augenzeugenberichten gab es einen Schusswechsel zwischen dem Fahrer und Sicherheitskräften. Auf der Frontscheibe des Lastwagens waren zahlreiche Einschüsse zu erkennen. Der Mann wurde dabei nach offiziellen Angaben getötet, auch Passanten sollen durch Schüsse verletzt worden sein. Nach dem Schusswechsel vergewisserten sich Polizisten, ob noch weitere Attentäter im Fahrzeug beteiligt waren. Im Lastwagen wurde nach ersten Angaben ein Waffenarsenal gefunden.

Panik in der Stadt

In viele Teilen der Stadt herrschte direkt nach der Attacke Panik, unzählige Menschen rannten über Plätze und Straßen. In vielen Cafés und Restaurants versteckten sich Passanten und Gäste. Die Verwaltung rief Einwohner und Besucher per Twitter dazu auf, in Sicherheit zu bleiben.

Der AFP-Journalist Robert Holloway, der als Tourist in Nizza war, berichtete, der Lastwagen sei „mit vollem Tempo auf die Leute zugerast“, die gerade nach Hause gehen wollten. „Ich war ungefähr hundert Meter entfernt und hatte nur wenige Sekunden, um auszuweichen. Wir sahen, wie Leute getroffen wurden und wie Gegenstände umherflogen“, so Holloway weiter. „Ich musste mein Gesicht vor den umherfliegenden Gegenständen schützen.“ Die Menschen seien um ihr Leben gerannt. „Die Leute haben geschrien, es war das absolute Chaos.
„Die Hölle ist ausgebrochen“, berichtet Augenzeuge Roy Calley im britischen Rundfunksender BBC.

Innenminister Bernard Cazeneuve sprach von einem Terroristen, Präsident François Hollande von einem terroristischen Charakter der Tat. Dem Staatschef zufolge gab es bisher keine Hinweise auf Komplizen. Unter den Toten seien auch Kinder, weil traditionell viele Familien bei diesem Fest mitfeiern. „Wir müssen alles tun, um die Geißel des Terrorismus zu bekämpfen“, sagte er in Paris. Für 9 Uhr berief Hollande eine Sitzung des für Sicherheit und Verteidigung zuständigen Kabinetts ein. Anschließend wollte er mit Ministerpräsident Manuel Valls nach Nizza reisen. Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Weltweit reagierten Politiker bestürzt auf den erneuten Anschlag in dem Land.

LKW fährt in Menschenmenge

Die Promenade des Anglais ist eine der bekanntesten Flaniermeilen Europas. Der Zeitung Nice Matin und dem Regionalpolitiker Christian Estrosi zufolge sollen die Passanten von dem LKW nicht nur umgefahren, sondern auch vom Fahrer beschossen worden sein. Es hieß, in dem Lastwagen seien die Ausweispapiere eines 31-jährigen, franko-tunesischen Einwohners von Nizza gefunden worden. In dem an der Promenade des Anglais gelegenen Luxushotel Negresco wurde ein behelfsmäßiges Lazarett eingerichtet. Das Auswärtige Amt in Berlin riet dringend dazu, den Anweisungen der französischen Sicherheitskräfte Folge zu leisten und sich zur Lageentwicklung über die Medien informiert zu halten.

Hollande kündigte an, dass der seit den Anschlägen vom 13. November geltende Ausnahmezustand, der am 26. Juli beendet werden sollte, um drei weitere Monate verlängert werden soll. Das Parlament solle darüber in der kommenden Woche entscheiden. „Ganz Frankreich ist vom islamistischen Terrorismus bedroht“, sagte der Staatschef. Deswegen sollten zusätzlich Soldaten und Reserven bei den Sicherheitskräften mobilisiert werden. Hollande kündigte eine Verstärkung der französischen Aktivitäten im Irak und in Syrien an. Dort beschießen französische Flugzeuge als Teil der internationalen Koalition Angriffe gegen Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Ein Angriff auf unsere Werte

Bundespräsident Joachim Gauck kondolierte Hollande: „Der 14. Juli, der Tag an dem Frankreich seinen Nationalfeiertag begeht, steht für die Werte der französischen Revolution, die auch unsere Werte sind. Ein Angriff auf Frankreich ist deshalb ein Angriff auf die gesamte freie Welt“, hieß es in dem Schreiben laut Bundespräsidialamt.

Der Anschlag von Nizza gilt nicht nur Frankreich. Er gilt allen freiheitsliebenden Menschen in Europa und auf der ganzen Welt.

Horst Seehofer

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat die Terrorattacke von Nizza als Angriff auf die gesamte freiheitliche Welt bezeichnet. „Der Anschlag von Nizza gilt nicht nur Frankreich. Er gilt allen freiheitsliebenden Menschen in Europa und auf der ganzen Welt“, erklärte Seehofer am Freitag in München. „Es ist ein Angriff auf unsere freiheitlichen Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die wir weiter verteidigen und leben werden. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – dieses Fundament Frankreichs hat heute eine besondere Bedeutung.“ Der CSU-Chef betonte: „Die menschenverachtenden Morde in Nizza erfüllen uns alle mit Trauer und Entsetzen. Unser Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen.“ Bayern stehe an der Seite Frankreichs im Kampf gegen den Terrorismus.

Die Teilnehmer des Asien-Europa-Gipfels (Asem) in der Mongolei gedachten der Opfer in einer Schweigeminute. US-Präsident Barack Obama erklärte: „Wir stehen in Solidarität und Partnerschaft an der Seite Frankreichs, unseres ältesten Alliierten.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Frankreich die volle Solidarität Deutschlands zugesichert. Deutschland stehe im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite Frankreichs, sagte sie am Rande des Asem-Gipfels im mongolischen Ulan Bator. Sie sei sehr überzeugt, diesen Kampf trotz aller Schwierigkeiten zu gewinnen. Alle Teilnehmer des Gipfels seien „vereint in der Fassungslosigkeit über den massenmörderischen Anschlag in Nizza“. „Es ist ein trauriger Tag für Frankreich, Europa und uns alle hier in der Mongolei“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk vor Journalisten. Es sei ein Angriff auf die Menschen in Frankreich gewesen, „die Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit gefeiert haben“, sagte Tusk.

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, ordnete Trauerbeflaggung in der Hauptstadt an.

Dritter schwerer Anschlag in Frankreich

Frankreich war wiederholt Ziel von Anschlägen. Bei islamistischen Attentaten waren im vergangenen Jahr 149 Menschen gestorben, davon 130 bei der Pariser Terrorserie am 13. November 2015. Im Januar 2015 war die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und ein jüdischer Supermarkt Ziel von Anschlägen.

Während der kürzlich zu Ende gegangenen Fußball-Europameisterschaft hatte zudem ein Mann, der sich zum IS bekannte, nahe Paris einen Polizisten und dessen Partnerin umgebracht. Das Turnier fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt – wie auch die Feiern zum Nationalfeiertag. Für die traditionelle Militärparade auf den Champs-Élysées in Paris wurden rund 11.500 Sicherheitskräfte mobilisiert. Am Nationalfeiertag wird der Erstürmung des Pariser Bastille-Gefängnisses am 14. Juli 1789 gedacht, die als Beginn der Französischen Revolution gilt.

Im August 2015 konnte ein weiterer großer Angriff vereitelt werden: Ein 25-jähriger Islamist wurde im Thalys-Schnellzug Brüssel-Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt. Verhindert wurde im März 2016 auch ein geplante Anschlag in Paris. Ermittler nahmen einen 34-jährigen Franzosen fest und fanden in einer von ihm angemieteten Wohnung im Pariser Vorort Argenteuil ein großes Waffenarsenal, unter anderem mit fünf Kalaschnikow-Sturmgewehren, einer Maschinenpistole und Sprengstoff. Nach Ansicht der Ermittler gehörte der Festgenommene zu einem Terrornetzwerk, das kurz vor einem schweren Anschlag stand.

Fahrer war der Polizei nicht bekannt

Der Fahrer des Lastwagens, der in Nizza in eine feiernde Menschenmenge gerast ist, soll nach ersten Erkenntnissen der französischen Polizei nicht als politisch radikalisiert bekannt gewesen sein. Das berichtet der Nachrichtensender BFMTV unter Berufung auf Ermittlerkreise. In dem Lastwagen wurden Papiere eines franko-tunesischen Mannes gefunden. Die Behörden versuchen, die Identität des Fahrers festzustellen. Bislang ist nur bekannt, dass der Mann 1985 in Nizza geboren wurde.

Unklarheit über deutsche Opfer

Nach dem Anschlag im südfranzösischen Nizza hat das Auswärtige Amt bislang keine Hinweise darauf, dass Deutsche betroffen sein könnten, schließt das aber auch nicht aus. „Das Auswärtige Amt, die deutsche Botschaft in Paris und das Generalkonsulat in Marseille stehen in engem und ständigen Kontakt mit den französischen Behörden und bemühen sich um Aufklärung, ob auch Deutsche betroffen sind“, sagte eine Sprecherin am Morgen der Deutschen Presse-Agentur. „Dies können wir zum jetzigen Zeitpunkt weder ausschließen, noch bestätigen.“ Ein Konsularteam des Generalkonsulats Marseille sei auf dem Weg in die südfranzösische Küstenstadt, um vor Ort die Lage aufzuklären und gegebenenfalls betroffenen Deutschen Hilfe und Beistand zu leisten. 

Die Zeitung Die Welt meldet unterdessen mindestens drei tote Deutsche aus einer Klassenfahrt, eine Lehrerin und zwei Schüler. Zum Zeitpunkt des Anschlags von Nizza befanden sich auch Schüler der Berliner Paula-Fürst-Gemeinschaftsschule in der südfranzösischen Stadt. Das sagte Schulrätin Ilse Rudnick der Agentur dpa. Insgesamt hätten sich seit Montag 28 Schülerinnen und Schüler auf Kursfahrt in Nizza befunden. „Wir können Ihnen noch keine weiteren Informationen geben“, sagte sie. Insgesamt hatten sich Klassen aus sechs Berliner Schulen in Nizza aufgehalten. Fünf Schulen gaben Entwarnung.

Wiesn-Sicherheit wird überprüft

„Die Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus nehmen in Europa enorm zu. Der Terror hat gestern in Nizza wieder mitten im Herzen Europas zugeschlagen und seine hässliche Fratze gezeigt. Wir müssen uns ihm mit aller Macht entgegenstemmen.“ Das sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann tiefbestürzt in München nach seinem turnusmäßigen Treffen mit dem ungarischen Innenminister Sándor Pintér. Herrmann kündigte an, das Sicherheitskonzept zum Münchner Oktoberfest nochmal gründlich prüfen zu lassen, etwa um das Durchbrechen von Sperren mit Lastwägen auch wirklich auszuschließen. Durch Poller hat man sich allerdings schon seit Jahren auf solche Fälle vorbereitet. Gleichzeitig machte Herrmann aber deutlich, dass es nie hundertprozentige Sicherheit geben werde.