Es sind die Tage der Rücktritte in Großbritannien: Nach Premier David Cameron und Bexit-Vorreiter Boris Johnson hat auch UKIP-Chef Nigel Farage seinen Rückzug angekündigt. (Bild: Imago/B. Strenske)
Farage-Rücktritt

Der „Brexit“ verliert seine Köpfe

Nach Boris Johnsons Verzicht auf den Premier-Stuhl zieht sich mit Nigel Farage der zweite Kopf der "Brexit"-Befürworter aus der ersten politischen Reihe zurück. Der umstrittene Rechtspopulist gibt den Parteivorsitz der UKIP auf - seinen Sitz im von ihm so verschmähten Europaparlament will Farage aber dennoch behalten. Für die Glaubwürdigkeit der EU-Gegner ist sein Rückzug ein weiterer Tiefschlag.

Verlassen die Ratten das sinkende Schiff? So jedenfalls stellt sich die Kommentarlage in den britischen Medien nach dem angekündigten Rückzug von Nigel Farage vom Amt des UKIP-Parteichefs dar. Nach Premierminister David Cameron, dessen Amtsverzicht als Vertreter der „Remain“-Wähler noch verständlich war, und dem Verzicht des Brexit-Vorreiters Boris Johnson auf die Cameron-Nachfolge hat mit Farage nun das zweite prominente Gesicht der EU-Gegner seinen Rückzug aus der ersten politischen Reihe angekündigt.

Farage sagte zur Begründung, er sehe mit dem Brexit-Votum sein politisches Hauptziel erfüllt. „Ich wollte nie ein Berufspolitiker werden“, stellte Farage klar. Auf die Frage, warum der UKIP-Politiker dann nicht auch seinen Sitz im EU-Parlament, den er seit 1999 innehat, räumt, hatte er keine Antwort. Er wolle sich die Brexit-Verhandlungen „aus nächster Nähe“ anschauen, sagte Farage lediglich.

Der „Leave“-Kampagne laufen die Köpfe weg

Farage sagte, er wolle jetzt „sein Leben zurück“. Das Leben der Brexit-Befürworter könnte er mit seinem Entschluss aber noch einmal ungleich schwerer gemacht haben. Denn den Brexit-„Frontrunners“ – den wenigen landesweit bekannten Gesichtern der Kampagne – laufen die Köpfe davon. Jetzt ist nur noch die aus Niederbayern stammende Labour-Politikerin Gisela Stuart übriggeblieben.

Und einer neuen BBC-Umfrage zufolge scheint bei manchen „Leave“-Wählern nun doch die Sorgen vor dem Brexit zu wachsen. Denn, so schreiben The Guardian und The Times, in der Brexit-Fraktion wächst die Skepsis, ob es wirklich so vorteilhaft und problemlos für das Vereinigte Königreich wäre, die EU zu verlassen – jetzt, wo sich jene, die am lautesten für den Austritt getrommelt haben, „aus dem Staub machen“, wie der Guardian schreibt.

Farage: Neue Rolle in nächstem Kabinett?

Die Gerüchte, was Nigel Farage nun zu seinem insgesamt dritten Rückzug von der UKIP-Spitze gebracht haben könnte, schießen auf der Insel schon in großem Umfang ins Kraut. Manche Kommentatoren brachten Farage sogar als Mitglied eines überparteilichen Kabinetts ins Spiel, sollte die Tory-Kandidatin Andrea Leadsom das Rennen um Downing Street in ihrer Partei gewinnen. Weder Farage noch Leadsom wollten diese Berichte bislang kommentieren. Bevor Farage der UK Independence Party 1993 beitrat, war der Südengländer Mitglied der Konservativen. Gegen ein Ministeramt spricht aber sein Satz, nie Berufspolitiker werden zu wollen.

„Leave hat jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem“

Aus dem „Remain“-Lager dagegen kommt genau der Vorwurf, den sich wohl jede Kampagne gefallen lassen müsste, wenn ihr nach dem Wahlsieg die bekanntesten Vertreter weglaufen: „Leave hat jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem“, kommentierte in der Times etwa ein Mitarbeiter der Konservativen Partei, der der Kandidatin Theresa May nahe steht. Sie hatte sich eigentlich zum „Remain“-Lager gezählt, nach dem Votum aber angekündigt, im Falle ihrer Wahl den Brexit mit dem „bestmöglichen Deal für Großbritannien“ durchziehen zu wollen.

Die Entscheidung Farages, sich zumindest offiziell aus der ersten Reihe zu verabschieden, ist in jedem Fall ein Tiefschlag für die Brexit-Kampagne – und zeigt, dass der politische Umbruch, der das Königreich seit Ende Juni im Griff hat, auch vor jenen Parteien nicht halt macht, die den EU-Austritt immer wollten.