Zu früh gefreut? EU-Gegner feiern den Brexit. (Bild: Imago/i Images/Andrew Parsons)
Brexit

Flächenbrand oder Neubeginn?

Kommentar Es ist nicht das Ende von Europa, aber ein trauriger Tag für den Kontinent. Mit ihrem Referendum haben sich die Briten für den Austritt aus der EU entschieden. Wie konnte es soweit kommen? Mehrere Faktoren haben den Brexit ermöglicht: Das Versagen von Cameron, der EU, von Merkel und von Multikulti. Auch die Briten selbst sind schuld. Am Ende aber könnten sie Europa eine neue Chance gegeben haben.

Großbritannien ist ausgestiegen aus dem Projekt, das wie kein anderes Frieden, Freiheit und Wohlstand auf dem Kontinent gesichert hat. Ein Menetekel?

Viele befürchten nun ein Dominospiel, dass weitere EU-Staaten ebenfalls abstimmen und austreten könnten. Nicht zu Unrecht: Schon kommen Forderungen der immer zahlreicheren Rechtspopulisten Europas nach neuen Abstimmungen auch in ihren Ländern, Geert Wilders in den Niederlanden, Marine Le Pen in Frankreich, Jaroslaw Kaczynski in Polen oder die AfD in Deutschland. Wer weiß schon, was die Deutschen und die Franzosen sagen würden, wenn man sie in gleicher Weise an die Wahlurnen riefe?

Zum Glück glauben nach dem letzten ZDF-Politbarometer nur 14 Prozent der Deutschen, dass bei der EU-Mitgliedschaft die Nachteile überwiegen würden. Aber für 38 Prozent gleichen sich Vor- und Nachteile aus. Wie diese 38 Prozent Skeptiker in einem Referendum abstimmen würden, kann niemand genau vorhersagen.

Fakt ist: Die Europäische Union verliert mit Großbritannien fast 20 Prozent ihrer Wirtschaftskraft, 13 Prozent ihrer Arbeitnehmer, 10 Prozent ihrer Soldaten und ihren größten Finanzplatz. Und dem EU-Haushalt ist über Nacht der drittgrößte Nettozahler abhandengekommen.

Wie konnte es soweit kommen?

Fünf Faktoren waren entscheidend für den Ausgang des Brexit-Referendums: der britische Premier David Cameron, die Briten selbst, Flüchtlinge und Multikulti-Ideologie, Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die EU.

Punkt 1: Camerons Spiel mit dem Feuer

„Cameron hat mit dem Feuer gespielt und sich nicht nur die Finger verbrannt, sondern einen Flächenbrand ausgelöst“, so der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber „Mit dem Votum steht David Cameron jetzt vor dem Scherbenhaufen, den er selbst zu verantworten hat.“ Das ist richtig. Cameron hatte das Referendum 2013 vorgeschlagen, um seine politische Karriere gegen konservative EU-Kritiker und die damals in Umfragen bei 18 Prozent stehende UKIP-Partei zu retten. Eine katastrophale Fehlleistung aus Eigennutz, die ihn jetzt das Amt kostete und möglicherweise die Existenz der gesamten EU gefährdet.

Wenn David Cameron zehn Jahre erklärt, wie schlecht Europa ist, kann er nicht in sechs Wochen erklären, warum man drinbleiben muss.

Elmar Brok

Hinzu kam, dass Cameron und viele andere britische Politiker seit Jahrzehnten, einige sogar seit dem EU-Beitritt, die EU immer nur als Ort der Machtübernahme über Großbritannien geißelten. Unvergessen der Satz von Camerons Vorvorgängerin Margaret Thatcher in Richtung Brüssel „I want my money back!“ Wer sollte Cameron und der britischen Politik jetzt den Kampf für die EU abnehmen? „Wenn David Cameron zehn Jahre erklärt, wie schlecht Europa ist, kann er nicht in sechs Wochen erklären, warum man drinbleiben muss. Das ist eine Glaubwürdigkeitslücke“, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU).

Punkt 2: Die Briten

Diese Bombardierung mit antieuropäischer Propaganda über Jahrzehnte hinweg musste in den Köpfen vieler Briten hängen bleiben. Sie leiden außerdem historisch bedingt als „niemals erobertes“ Inselvolk zum Teil fast unter dem Wahn, dass man in einer globalisierten Welt auch allein zurecht käme. Dass Europa angesichts der von Amerika, China und anderen Nationen dominierten neuen Welt zusammenstehen muss, wenn es eine gewisse (Ver-)Handlungsmacht behalten will, hatte ihnen kaum jemand mal erklärt. Bundespräsident Joachim Gauck sagte: „Renationalisierung ist in Anbetracht der Herausforderungen auf unserem Kontinent und in der Welt nicht der richtige Weg.“ Die Briten haben das anders gesehen.

Punkt 3: Multikulti und der Flüchtlingsansturm

Der Hauptgrund für dieses Votum, darin sind sich alle Analysten einig, war die Flüchtlingslawine der letzten zwei Jahre und die in vielen britischen Städten seit Jahrzehnten existierenden Probleme mit nicht zu integrierenden Migranten – fast allesamt Moslems, auch wenn das wieder viele nicht hören wollen. Denn die fatale Multikulti-Ideologie hat sich nicht nur in Deutschland breit gemacht. Was aber Sylvester in Köln für Deutschland war, das waren die Vergewaltigungsorgien meist pakistanischer Migranten an britischen Kindern in Rotherham für England: Ein Erweckungserlebnis!

Linke legen sich doch nicht mit denen an, von denen sie gewählt werden.

Die Behörden und die Polizei hatten jahrelang weggesehen, trotz zahlloser Hinweise, haben sich weggeduckt aus empörender politischer Korrektheit als linke „Bessermenschen“ in der Labour-geführten Stadt. „Labour legt sich doch nicht mit denen an, von denen es gewählt wird“, hieß es dort. Mehr als 1400 Kinder verloren deshalb ihre Unschuld an pakistanische Kinderschänderbanden, verloren ihr unbeschwertes Leben und wurden traumatisiert. Die meisten Briten dachten nach der Aufdeckung des Skandals: Rotherham ist vermutlich kein Einzelfall.

Punkt 4: Angela Merkels Alleingang

Und just in diesem Moment verstärkte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihren unnötigen und falschen Handlungen im Herbst 2015 in gewaltigem Ausmaß die Flüchtlingslawine aus Nahost und Afrika. Obendrein wollte sie dann auch noch ganz Europa dazu verpflichten, gemeinsam die Folgen ihres kurzsichtigen Alleingangs ausbaden zu müssen. Wieder sollten abertausende Flüchtlinge, in der großen Mehrheit Moslems, in Europa und eben auch in Großbritannien verteilt werden. Wie dumm hätten die Briten sein müssen, diesen als Angriff empfundenen Eingriff in ihre Souveränität angesichts von Rotherham zu akzeptieren? Noch dazu vom deutschen Hegemon? Auch die Franzosen verweigern sich diesem Schritt aus der Erfahrung ihrer Parallelgesellschaften heraus.

In England kann man das sehr gut am Beispiel von Dover ablesen, der Hafenstadt im Südosten Englands, die mit 60 Prozent für den Austritt stimmte. In Dover endet der Kanaltunnel aus Frankreich, über den seit Monaten Tausende Flüchtlinge auf die Insel fliehen wollen. Vom Kontinent kommt nichts Gutes, das war doch immer schon so.

Die britischen Wähler wollten wieder den Zugriff auf das Problem der Einwanderung haben, denn die EU hat hier kläglich versagt. Aber leider nicht nur hier.

Punkt 5: Der Ansehensverlust der EU

Überall in Europa ist die EU-Kommission mittlerweile nur noch ein völlig überdimensionierte Behörde, die die großen Probleme Europas nicht lösen kann, darunter vor allem die wirksame Kontrolle seiner Außengrenzen. Statt dessen ging man die kleinen Probleme an, die auf unteren staatlichen Ebenen besser zu lösen wären (der Bayernkurier berichtete). Die EU als Gesamtes gilt als elitär, überheblich, undemokratisch, überfordert und als allgegenwärtige Monsterbürokratie, die alles gleich macht, was ungleich bleiben kann.

Für das kleine Griechenland wurden Gesetze gebogen und gebrochen und jeder hat es gesehen.

Die europäischen Kompromisszwänge und Kuhhandel wie bei der Visafreiheit stoßen die Menschen ab. Nationale Alleingänge vieler EU-Staaten meist aus dem Süden Europas, die nur nehmen, aber möglichst nichts geben wollen, haben die Bürger verärgert – nicht nur in Großbritannien. Und: Sie wollen gefragt werden, ob sie Länder wie die Türkei in die EU aufnehmen wollen, ob sie Banken und südeuropäische Schuldenländer mit Milliardensummen stützen wollen. Für das kleine Griechenland, das überhaupt nur dank rot-grüner Unterstützung Mitglied des Euro-Raumes wurde, wurden Gesetze gebogen und gebrochen und jeder hat es gesehen. Diese Politik wurde dann auch noch als „alternativlos“ erklärt, was viele Bürger ganz anders sahen.

Wenn man sich im Raumschiff Brüssel einen Restsinn für Wirklichkeit bewahrt hat, müssten heute die Alarmanlagen schrillen.

Gabor Steingart, im Handelsblatt

Europas Politiker haben es nicht geschafft, den Bürgern zu vermitteln, was die großen Erfolge der EU waren und sind. Wir leben in Frieden, mehr oder weniger grenzenlos und in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen – und keinen interessiert es. Denn all dies ist selbstverständlich geworden. Die EU ist für so viele Bürger keine Herzensangelegenheit mehr und daran ist sie selber schuld.

„Wenn man sich im Raumschiff Brüssel einen Restsinn für Wirklichkeit bewahrt hat, müssten heute die Alarmanlagen schrillen. Es wird Zeit für die Erkenntnis, die viele tapfere Vorkämpfer des europäischen Projekts als Zumutung empfinden werden: Nirgends ist man weiter weg von Europa als in Brüssel“, so kommentiert es Gabor Steingart im Handelsblatt.

Der ‪‎Brexit bleibt möglicherweise kein Einzelfall, wenn sich nichts in Europa ändert. Die Briten haben eben diese EU schon abgewählt.

Was jetzt?

Was Großbritannien in den kommenden Jahren durchmachen wird, kann als lehrreiches Beispiel dafür dienen, dass Alleingänge nicht die bessere Lösung sind. Ob es so ist, wird die Zukunft zeigen. Die Zeit für Britenrabatte und Rosinenpickerei ist jedenfalls vorbei. Aber man sollte dennoch so viele Brücken wie möglich ins Inselreich bauen. Die europäische Idee ist zu groß, um beleidigte Leberwurst zu spielen.

Der Nationalstaat ist kein Auslaufmodell.

Wie die Zukunft der EU aussieht, kann niemand sagen. Aber die Rest-EU sollte sich jetzt an einen Tisch setzen und eine Reform mit dem Motto „Weniger ist mehr“ starten. Ihre Grundpfeiler Frieden, Freiheit, Sicherheit, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Wohlstand müssen nicht angetastet werden. Aber sie sollte beschließen, dass sie nur noch für die großen Fragen, nicht aber für die kleinen Dinge zuständig ist, die man vor Ort besser lösen kann oder für die es keine einheitliche Lösung braucht. Genau das ist eben auch Freiheit. Den Rest kann sie auf die Nationen zurückverlagern. Denn wichtig ist auch die Erkenntnis: Der Nationalstaat ist kein Auslaufmodell, sondern eine wichtige sinnstiftende Ergänzung zur EU für sehr viele Menschen – außerhalb der Grünen Jugend.

Nur so wäre der Brexit am Ende genau das Signal, das das schläfrige und schlaffe Europa gebraucht hat. Das Signal für ein besseres, bürgernäheres, dezentraleres, transparenteres und demokratischeres Europa mit weniger Gleichmacherei und mehr Vielfalt. Dann wäre Camerons gescheitertes Vabanque-Spiel sogar noch eine echte Chance.