Alles Europa? Istanbul von der Galata-Brücke aus gesehen. (Bild: Fotolia/Dario Bajurin)
Visafreiheit

Kein Rabatt für die Türkei

Die als Gegenleistung für den EU-Flüchtlingspakt geplante Visafreiheit für Türken soll nicht unbeschränkt gelten. Das berichtet die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf EU-Diplomatenkreise. Erfüllt das Land die Rücknahmeverpflichtungen für Flüchtlinge nicht, kann die Reiseerleichterung suspendiert werden. Die Kritik an dieser Visafreiheit reißt jedoch nicht ab.

Entgegen der bisherigen Praxis sei mit Ankara ein außerordentliches Visaliberalisierungs-Abkommen mit einer Suspendierungsklausel vorgesehen, meldet die „WamS„. Diese werde aktiviert, wenn die Türkei sich nicht an die Vereinbarungen wie die ordnungsgemäße Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland, Schutz für bedürftige Flüchtlinge oder die Einhaltung von Menschenrechten hält. „Die neue Klausel würde dazu führen, dass die Visafreiheit nach einem geordneten Verfahren relativ schnell auch wieder aufgehoben werden kann“, zitierte das Blatt einen namentlich nicht genannten EU-Diplomaten.

Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen, sie wird aber in Kürze erwartet. Das Thema werde auch am Rande des Treffens der EU-Innenminister in Luxemburg am kommenden Donnerstag beraten.

72 Hürden

Ohnehin hängt die Visafreiheit an 72 Punkten, von denen laut dem CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber die Türkei noch etwa 40 nicht erfüllt hat. „Ich habe ein Riesenproblem mit den Visa-Erleichterungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die erste große Flüchtlingswelle aus dem West-Balkan bekamen, nachdem wir die Visumsfreiheit eingeführt hatten“, warnte Ferber im Bayernkurier. „Und eines ist klar: politischen Rabatt darf es in dieser Frage für die Türkei nicht geben. Es kann nicht sein, dass wir diese Entscheidung durchs Europaparlament peitschen müssen, nur weil Frau Merkel und Herr Juncker das so wollen.“

Es wird keinen Flüchtlingsrabatt für die Türkei geben.

Manfred Weber

„Die Kriterien sind klar. Es wird keinen Flüchtlingsrabatt für die Türkei geben, wenn es um die Anwendung der Visa-Spielregeln geht“, betonte auch EVP-Chef Manfred Weber (ebenfalls CSU). Das Land müsse die 72 Kriterien dafür erfüllen. Unter anderem muss die Türkei ihre Datenschutzsysteme und Passvorschriften an EU-Standards angleichen – beispielsweise müssen Pässe maschinenlesbar sein.

Visafreiheit könnte schwerwiegende Folgen haben

Auch innerhalb der EU ist die Visafreiheit für Türken heftig umstritten. Es wird befürchtet, dass sich auch zehntausende Kurden und von Erdogan angewiderte Türken auf den Weg nach Europa machen könnten. Diese würden allerdings wieder hauptsächlich nach Deutschland kommen, wo die meisten ihrer Landsleute außerhalb ihrer Heimat zu Hause sind. Damit hätte Kanzlerin Angela Merkel, auf die der Türkei-Deal hauptsächlich zurückgeht, ein klassisches Eigentor geschossen.

Dann werden uns Pro Asyl, die Linken und die Grünen mitteilen, dass es in der Türkei staatliche Verfolgung gibt. Und dann müssen wir bei jedem Türken im Einzelfall prüfen, ob er ein Kurde ist oder ob individuelle Verfolgung vorliegt.

Markus Ferber

Ferber weist aber gegenüber dem Bayernkurier auf ein weiteres Problem hin: „Für uns lautet dann Frage, sind wir in der Lage, den Menschen nach 90 Tagen, länger dürfen sie mit dem Visum nicht bleiben, zu sagen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen?“ Was geschieht also, wenn jemand nicht gehen möchte und Asyl in Deutschland beantragt? „Dann geht sofort die Diskussion los, ob die Türkei ein sicherer Herkunftsstaat ist. Dann werden uns Pro Asyl, die Linken und die Grünen mitteilen, dass es in der Türkei staatliche Verfolgung gibt. Und dann müssen wir bei jedem Türken im Einzelfall prüfen, ob er ein Kurde ist oder ob individuelle Verfolgung vorliegt“, erklärt Ferber. Dann kollabiere das Asylsystem nicht aufgrund syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern wegen der Türken, die visumsfrei in die EU gekommen sind.