Das Votum zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine war deutlich: Nee. Rund 61 Prozent der Wähler lehnten das EU-Abkommen in einer Volksabstimmung in den Niederlanden ab. Das Assoziierungsabkommen soll die Ukraine stärker an die EU binden. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen sollen gestärkt und die ehemalige Sowjetrepublik allmählich in den internen EU-Markt integriert werden. Doch bei dem Referendum ging es auch nur zum Teil um das über 300 Seiten umfassende Vertragswerk. Die beiden Europaskeptischen Initiativen, die das Referendum erzwangen, hofften vor allem auf ein Votum gegen die EU. Dieses Zeichen setzte eine deutliche Mehrheit der rund 32 Prozent der Wähler, die nach dem vorläufigen Endergebnis ihre Stimme abgaben. Damit war die gesetzlich vorgeschriebene 30-Prozent-Marke erreicht worden und das Referendum gültig. Nur etwa 38 Prozent stimmten dem Vertrag zu.
Das bereits in Kraft getretene Abkommen enthält auch eine Reformagenda für die Ukraine, die ihre Gesetzgebung an die EU-Normen angleichen soll. Außerdem sieht es Reformen zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor sowie zum Schutz der Menschenrechte und zur Korruptionsbekämpfung. Es wurde bereits von allen übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert. Insbesondere für die durch Russlands unerklärten Krieg geplagten Menschen in der Ukraine ist es der einzige Hoffnungsschimmer, sich vom russischen Joch endlich befreien zu können.
Weber will mehr Bürgerbeteiligung
EVP-Fraktionschef Manfred Weber forderte angesichts des Ergebnisses mehr Bürgerbeteiligung in der Europäischen Union. Es müsse Schluss sein mit Entscheidungen in Brüsseler Hinterzimmern, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Ministerpräsident Rutte müsse sich die Frage stellen, ob er die Menschen überzeugt habe. Weber betonte, das Abkommen mit der Ukraine sei extrem wichtig und existentiell für Kiew.
Die Populisten in den Niederlanden haben ihr Spiel gemacht.
Manfred Weber, EVP-Fraktionschef
Steht ein „Nexit“ bevor?
Für einen Teil der Holländer war es ein „erster Schritt zu einem Nexit“, wie sie sagten – ein Austritt der Niederlande aus der EU. Doch darüber dürfen sie gar nicht abstimmen. Das verbietet das neue Referendum-Gesetz. Das EU-Assoziierungsabkommen war daher für die Europaskeptiker ein willkommener Anlass, Zeichen zu setzen. Für die etablierten Parteien kann das deutliche Nein keine Überraschung sein. Im Volk herrscht schon länger Unmut. Erst kam die Griechenlandkrise, dann die lange Rezession und nun zuletzt der Zustrom der Flüchtlinge, gegen den sich viele Niederländer vor allem in der Provinz auch mit Gewalt zur Wehr setzten.
Viele Niederländer fühlen sich machtlos gegenüber den Mächtigen in Den Haag oder Brüssel. Sie haben den Eindruck, dass sie in ihrem Land, auch „kikkerlandje“ (Froschländchen) genannt, nicht mehr das Sagen haben. Von den Ohnmachtsgefühlen profitiert der Rechtspopulist Geert Wilders. Er hat nicht nur den Islam zum Feindbild erkoren, sondern ausdrücklich auch die „übermächtige EU“. Nachdem seine „Partei für die Freiheit“ bei den letzten vier Wahlen verloren hatte, ist er nun wieder im Aufwind – dank der Flüchtlingskrise. In den Umfragen ist er aufgestiegen zur stärksten politischen Kraft im Lande.
Niederlande stehen vor Blamage
Das deutliche Ergebnis der Volksabstimmung bringt die Regierung in eine Zwickmühle. Das Referendum ist zwar rechtlich nicht bindend, doch will die Regierung die Ratifizierung aussetzen. Die Regierung hatte den Vertrag bereits unterzeichnet. Auch beide Kammern des Parlaments hatten zugestimmt. Ministerpräsident Mark Rutte will sich nun mit seinem Kabinett und der EU in Brüssel beraten. „Wenn das Referendum gültig ist, dann können wir den Vertrag nicht einfach so ratifizieren“, sagte er. Rutte und auch sein sozialdemokratischer Koalitionspartner müssen handeln. Denn im nächsten Frühjahr wird ein neues Parlament gewählt und nach den Umfragen müssen die beiden Regierungsparteien mit großen Verlusten rechnen. Eine Entscheidung soll aber erst in mehreren Wochen fallen. Falls der rechtsliberale Premier seine Unterschrift zurück ziehen sollte und in Brüssel Neu-Verhandlungen forderte, wäre das eine Blamage für die Niederlande. Das Land hat zur Zeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.
Die Ukraine will auch nach dem Nein der Niederländer am Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union festhalten. Präsident Petro Poroschenko sagte bei einem Besuch in Tokio, sein Land werde sich weiter in Richtung EU bewegen.
Abkommen führte zu Ukraine-Krise
Das Abkommen gilt als Auslöser der politischen Krise in der Ukraine im November 2013 und des Konflikts mit Moskau. Denn zu dem Vertrag gehört ein Freihandelsabkommen. Die Vereinbarung sieht einen fast 100-prozentigen Verzicht beider Seiten auf Zölle vor. Die Ukraine passt dabei ihre Vorschriften an die der EU an, um den Handel zu vereinfachen. Auch die Niederlassung von Unternehmen wird erleichtert und der freie Kapitalverkehr garantiert. Für Unternehmen aus der EU wird der Zugang zu einem Absatzmarkt mit rund 45 Millionen Konsumenten deutlich einfacher. Durch den Wegfall von Zöllen können sie nach Berechnungen der EU-Kommission zudem jedes Jahr Kosten in dreistelliger Millionenhöhe einsparen. Moskau befürchtet Nachteile für die heimische Wirtschaft, weil zollfreie Importe aus dem Westen über die Ukraine auch nach Russland gelangen könnten. Nach den pro-europäischen Protesten auf dem Maidan im Zentrum der Hauptstadt Kiew fiel am Ende die Regierung des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch.
(dpa/AS)