Die ÖVP gibt in Wien den Ton an
Europas bürgerliche Parteien im Aufwind. Auch die Österreichische Volkspartei profitiert und stellt auf ihrem Parteitag politische Weichen: Frauenquote, Mehrheitswahlrecht, Europa-Armee.
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Die ÖVP gibt in Wien den Ton an

Gastbeitrag Europas bürgerliche Parteien im Aufwind. Auch die Österreichische Volkspartei profitiert und stellt auf ihrem Parteitag politische Weichen: Frauenquote, Mehrheitswahlrecht, Europa-Armee.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die ÖVP nicht als eine konfessionelle Partei definiert, sondern bewusst als eine breite Volks-Partei gegründet. In ihrem Programm freilich bekannte sie sich klar zu den Grundsätzen der katholischen Soziallehre. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels wurde zu Beginn der 1970er Jahre eine Anpassung vorgenommen und man sprach ausdrücklich davon, offen für alle zu sein, die sich zu einem humanistischen, liberalen Weltbild bekennen. Die letzte Programmkorrektur erfolgte vor rund 20 Jahren und missglückte als Neu-Aufstellung. Was sich darin niederschlug, dass – mit Ausnahme der Regierungszeit unter Wolfgang Schüssel – die Volkspartei vom zweiten Platz nicht wegkam, zeitweise sogar nur an dritter Stelle lag.

Reinhold Mitterlehner schafft den Stimmungsumschwung

Mit dem erfolgten Wechsel an der Parteispitze im vergangenen Herbst änderte sich das Bild der ÖVP. Der neue Parteiobmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner schaffte zusammen mit seinem Team binnen kurzer Zeit einen Stimmungsumschwung. Es waren plötzlich die „Schwarzen“, die den Ton und Takt in der Regierungsarbeit vorgaben. Generalsekretär Gernot Blümel und Staatssekretär Harald Mahrer schließlich eröffneten einen Evolutionsprozess, um im Zuge einer breiten und offenen Diskussion das Profil der Partei zu schärfen, neue Positionen im Parteiprogramm festzuschreiben, die auch für eine entsprechende Attraktivität bei der Wählerschaft sorgen.

Zur Aufmerksamkeit trug zunächst bei, dass gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Respekt gezollt wird. Die Ausgewogenheit von Frauen und Männern in allen Gremien und Institutionen wurde als Auftrag verankert. Bei der Erstellung von Wahllisten bekennt man sich zum sogenannten Reißverschluss-System.

Die Mitbestimmung und Mitgestaltung durch die Bürger steht im Vordergrund. Neue digitale Technologien sollen als Instrumente für moderne Mitbestimmungs- und Partizipationsformen in den Parteialltag Eingang finden.

Modernes Wahlrecht: Außenminister Sebastian Kurz plädiert für ein Mehrheitswahlsystem

Außerdem setzt sich die ÖVP für ein Wahlrecht ein, das für klare politische Verhältnisse sorgt und die demokratischen Rechte der Opposition sichern soll: Außenminister Sebastian Kurz plädiert offen für ein Mehrheitswahlsystem anstelle des bisherigen Verhältniswahlrechts. Schluss gemacht werden soll, so die Leitlinien des neuen Parteiprogramms, mit dem sozialen Gießkannenprinzip. Die ÖVP plädiert für mehr Selbstbehalte im Gesundheitswesen bei gleichzeitig sinkenden Beiträgen.

Für Freude sorgt bei Othmar Karas, dem EU-Bannerträger der Volkspartei, das eindeutige und ausgewiesene Bekenntnis zu Europa. So wird die gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik sowie die Schaffung einer Europa-Armee als Ziel formuliert. Nach 60 Jahren wird damit einer neuen politischen Realität Tribut gezollt: Die Neutralität ist Geschichte, das gemeinsame Europa gewährt optimale Sicherheit.

Europäischer Trend: Mitte-Rechts-Parteien genießen das Vertrauen der Wähler

In den Medien findet der Evolutionsprozess der Volkspartei positive Kommentare. Die ÖVP hebt sich von ihren Konkurrenten sichtbar ab. Die SPÖ bleibt mit dem Vorwurf konfrontiert, notwendige Reformen aus reinem Parteidenken auf die lange Bank zu schieben. Die Grünen verharren in ihrem mittlerweile auch schon ergrauten Denkschema und kommen nicht vom Fleck. Die jungen NEOS haben das Image vom Hecht im Karpfenteich längst verloren. Die FPÖ wiederum bekommt – trotz des Abtauchens ihres Parteiführers – zunehmend zu spüren, dass ihr verstorbener Parteichef Jörg Haider der Drahtzieher des Hypo-Alpe-Adria-Debakels war, dessen Aufarbeitung jetzt zu Lasten der Steuerzahler geht.

Die gute öffentliche Positionierung der Volkspartei entspricht dem europäischen Trend. Zeigt sich doch, so zuletzt bei den Wahlen in Großbritannien, dass es vor allem die Mitte- und Mitte-Rechts-Parteien sind, die das Vertrauen der Wählerschaft genießen. Trotzdem gibt es aber auch einen klar formulierten Wunsch, der über das Parteiprogramm hinausgeht. Österreich hat derzeit in einigen wirtschaftlichen Bereichen Top-Positionen verloren. Von der ÖVP würde man sich daher neue innovative Ideen und vor allem Taten erwarten, die die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Österreich wieder verbessern und die Alpenrepublik auf Vordermann bringen.