Sperrt die EU die Balkanroute?
Es könnte der entscheidende Gipfel in der Flüchtlingsfrage werden: Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel soll endlich jener Durchbruch zu einer europäischen Lösung geschafft werden, den sich Bundeskanzlerin Merkel erhofft. Doch hinsichtlich der Sperrung der Balkanroute zeigen sich die Teilnehmer uneins.
EU-Gipfel

Sperrt die EU die Balkanroute?

Es könnte der entscheidende Gipfel in der Flüchtlingsfrage werden: Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel soll endlich jener Durchbruch zu einer europäischen Lösung geschafft werden, den sich Bundeskanzlerin Merkel erhofft. Doch hinsichtlich der Sperrung der Balkanroute zeigen sich die Teilnehmer uneins.

Es ist die nächste Etappe auf dem von Bundeskanzlerin Angela Merkel angestrebten Weg zu einer europäischen Antwort auf die Flüchtlingskrise: Der EU-Gipfel in Brüssel soll dem monatelangen „Durchwinken“ hunderttausender Flüchtlinge von Griechenland nach Mitteleuropa einen Riegel vorschieben. So wollen die Teilnehmer die sogenannte Balkanroute für gesperrt erklären. In einer bereits im Vorfeld erarbeiteten Mitteilung, aus der die Deutsche Presse-Agentur zitiert, heißt es: „Diese Route ist jetzt geschlossen.“ Gegen diese Formulierung hat sich jedoch Bundeskanzlerin Merkel ausgesprochen. Die CDU-Politikerin sagte bei ihrer Ankunft am Tagungsort, es könne nicht sein, „dass irgendetwas geschlossen“  werde. Die Zahl der Flüchtlinge müsse nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine „nachhaltige Lösung“ gemeinsam mit der Türkei erforderlich.

Türkei soll Flüchtlinge zurücknehmen

Die EU-Chefs werden auch mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu zusammentreffen. Beim letzten EU-Gipfel hatte Davutoglu seine Teilnahme aufgrund des Bombenanschlags in Ankara kurzfristig abgesagt. Europa verlangt von der Türkei, sie solle Migranten, die keinen Asylanspruch in der EU haben, rasch zurücknehmen.

Wie dringend weitere Schritte in dieser Frage sind, zeigt die Situation an der griechisch-mazedonischen Grenze. Das Nicht-EU-Land Mazedonien lässt nur noch eine geringe Zahl von Menschen über die Grenze, Zehntausende sitzen daher auf griechischer Seite fest. Ein jüngst abgehaltener „Balkangipfel“, bei dem sich Österreich mit den Staaten Südosteuropas, aber nicht mit Griechenland, auf weitere Maßnahmen verständigt hatte, hatte außerdem zu diplomatischen Spannungen zwischen Wien und Athen geführt.

Außenminister Kurz: Migranten sollen Schutz in Griechenland suchen

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz verteidigte die Schließung der Balkanroute noch einmal nachdrücklich. Staaten wie Österreich, Deutschland oder Schweden könnten nicht alle Menschen aufnehmen, die hierher kommen wollen, sagte der ÖVP-Politiker in der ARD-Sendung „Anne Will“. Zu den Migranten an der mazedonischen Grenze erklärte er, sie könnten Schutz auch im EU-Staat Griechenland suchen. Griechenland habe pro Kopf gerechnet weit weniger Flüchtlinge im Land als etwa Österreich und könne zudem bald mit massiver EU-Unterstützung rechnen.

Der eintägige EU-Gipfel in Brüssel soll jetzt Fortschritte in der Zusammenarbeit mit der Türkei bringen. Die Staats- und Regierungschefs erhoffen sich Zusagen Ankaras für eine rasche Rücknahme von Migranten ohne Asylanspruch. Belastet wird das Zusammentreffen durch die staatliche Übernahme der regierungskritischen türkischen Zeitung Zaman am vergangenen Wochenende und dem generellen Umgang Ankaras mit Menschen- und Grundrechten wie der Pressefreiheit.

Merkels Vorgespräch mit Davutoglu

Im Vorfeld des Gipfels hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ahmet Davutoglu mehrere Stunden lang über Konsequenzen aus der Flüchtlingskrise beraten. Einzelheiten über die Inhalte des Gesprächs wurden bisher nicht bekannt. An dem Gespräch in der türkischen Botschaft in Brüssel nahm auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte teil. Die Niederlande haben derzeit die EU-Präsidentschaft inne.

Der eintägige Gipfel ist eine wichtige Wegmarke für Merkel. Sie hat in der Krise nur noch wenig europäische Verbündete. Auch innenpolitisch sind Ergebnisse wichtig für Merkel: Am kommenden Sonntag finden in drei deutschen Bundesländern Landtagswahlen statt.

Größere Zugeständnisse an die Türkei?

Die Türkei unterdessen versucht, der EU weitere Zugeständnisse abzuringen. Neben der zugesagten finanziellen Unterstützung in Höhe von drei Milliarden Euro melden mehrere Medien, die Türkei erhoffe sich auch weitere Schritte bei der von ihr angestrebten EU-Mitgliedschaft. Außerdem verlangt die Türkei nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu beim Sondergipfel mit der EU nicht nur Visaerleichterungen, sondern Visafreiheit. Unter Berufung auf ungenannte Quellen im Umfeld des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu berichtete Anadolu, Ankara fordere die Aufhebung der Visumspflicht für türkische Bürger für Reisen in die Europäische Union ab Juni. Zuvor hatte EU-Parlamentschef Martin Schulz gesagt, die von der EU in Aussicht gestellten Reiseerleichterungen sollen schneller kommen als zunächst geplant.

Schulz berichtete auch, die Türkei fordere von den Europäern bis 2018 weitere drei Milliarden Euro. „Drei Milliarden sind in der Debatte“, sagte Schulz in Brüssel am Rande des EU-Türkei-Gipfels. Aus den Reihen der EU-Staaten kamen sofort Bedenken. Die EU hatte bereits im vergangenen November drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei zugesagt.

Scheuer: Keine EU-Vollmitgliedschaft für die Türkei

Für die CSU meldete sich Generalsekretär Andreas Scheuer zu Wort. Er sagte, der erneute Gipfel sei „sehr wichtig“, die CSU unterstütze die Bemühungen der Kanzlerin, zu „wirksamen Ergebnissen“ zu kommen. Allerdings brauche man schnelle Lösungen, betonte Scheuer – „und die Türkei muss wissen, dass eine gute Zusammenarbeit keine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU“ bedeuten könne.