Flüchtlinge, die auf der Ägäis-Insel Chios gelandet sind, erreichen nach ihrem Transfer am vergangenen Montag den Hafen von Piräus. (Foto: Imago/Zuma Press)
EU-Bericht

Operation Poseidon versinkt in der Flüchtlingswelle

Bei unangekündigten Kontrollen auf den Ägäis-Inseln Chios und Samos stellen EU-Inspekteure fest: Grenzschutz und Küstenwache verfügen über zu wenig Beamte und zu schlechte Ausrüstung angesichts des Ansturms von Flüchtlingen über das Mittelmeer. Die EU-Kommission wirft Griechenland in ihrem Bericht "grobe Defizite bei der Grenzkontrolle" vor.

Mit ein paar hundert Mann gegen Tausende Flüchtlinge – der jüngste Bericht der EU-Kommission zur Situation in den griechischen Grenzgewässern zeichnet ein Bild von dramatischer Überforderung. Im vergangenen November haben Inspekteure der Europäischen Union unangekündigt die beiden Ägäis-Inseln Chios und Samos unweit der türkischen Küste besucht. Die Zahlen, die sie dort gesammelt haben, sprechen für sich: So setzen die griechischen Behörden im Rahmen der Operation „Poseidon Sea“ auf Chios insgesamt 289 Grenzbeamte und 122 Küstenwachen-Mitarbeiter ein, auf Samos 164 Grenzschützer und 113 Küstenwächter. In den Monaten Januar bis Oktober 2015 seien auf Chios jedoch 66.996 irreguläre Migranten an Land gegangen, auf Samos sogar 91.890. Etwa dreiviertel von ihnen Syrer, zu kleineren Teilen Afghanen, Iraker und andere Nationalitäten.

Retten statt Abwehren

Dem EU-Bericht zufolge können die Beamten angesichts des Ansturms nur mehr reagieren. „Die Küstengrenz-Überwachung hat sich von Grenzsicherung in Such- und Rettungs-Operationen verwandelt.“ Große Teile der Arbeit griechischen Beamten bestünden darin, die hohen Zahlen von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer zu fischen, sie später zu registrieren und unterzubringen. Die technische Ausrüstung und personelle Ausstattung seien selbst dafür nicht ausreichend. Syrer würden von den Grenzbeamten mit Papieren ausgestattet, die ihnen sechs Monate Bleiberecht in Griechenland einräumen. Aufgegriffene illegale Einwanderer bekämen ein „Freiwillige Rückkehr“-Dokument ausgehändigt, das ihnen 30 Tage Aufenthalt gewähre. „Dennoch findet keine einzige Rückkehr statt“, hält der Bericht fest.

Die beiden besuchten Inseln seien von zentraler Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Schengenraums, analysiert das Papier. Insgesamt sei die Ägäis das am stärksten von illegaler Migration betroffene Gebiet Europas, mit insgesamt 868.000 irregulären Grenzübertritten im Jahr 2015. Beim Besuch der Kontrolleure seien „grobe Defizite bei der Grenzkontrolle“ festgestellt worden. Diese Mängel „stellen eine ernste Bedrohung für die öffentliche Ordnung sowie die innere Sicherheit dar und gefährden die Funktionsfähigkeit des gesamten Schengenraums ohne innere Grenzkontrollen“. Griechenland, so der Vorwurf der EU-Beamten, vernachlässige seine Verpflichtungen. Vor allem für eine effektive Identifizierung der Zuwanderer werde mehr Personal und technische Ausrüstung benötigt.

Griechenland muss seine Hausaufgaben machen.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

Indirekt drohen EU-Verantwortliche Griechenland seit Tagen mit dem Ausschluss aus dem Schengenraum, wenn die Behörden die Probleme an Land und auf See nicht in den Griff bekommen. Sobald eine Mehrheit der 28 EU-Staaten den EU-Bericht gebilligt hat, erhalten die Griechen zunächst drei Monaten Zeit, die Missstände abzustellen. Sollte dies nicht gelingen, gebe es für die übrigen Schengen-Staaten „die Möglichkeit, ihre Grenzen vorübergehend zu schließen“, sagt EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte schon vergangene Woche: „Wir brauchen einen dauerhaften, spürbaren, nachhaltigen Rückgang der Flüchtlingszahlen.“ Auf die Regierung in Athen will er Einfluss ausüben, „dass Griechenland seine Hausaufgaben macht“.

Frontex-Budget verdoppelt

Die griechische Regierung forderte dagegen mehr Hilfe von den anderen EU-Staaten bei der Überwachung seiner unübersichtlichen Küstengewässer. Der Exekutivdirektor der EU-Grenzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, sagte dazu im ZDF: „Ich kann verstehen, dass Griechenland mehr Hilfe anfordert. Aber alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, sind überfordert.“ Das Frontex-Budget wurde für 2016 von zuletzt 142 auf 250 Millionen Euro fast verdoppelt. EU-Staaten haben Frontex 750 Grenzbeamte zur Verfügung gestellt, die Leggeri in Griechenland einsetzt. Davon waren im Zeitraum der unangekündigten EU-Kontrollen auf Chios 15 beschäftigt, auf Samos 11.

Mehr Personal sei jedoch nötig, bestätigte auch Leggeri. Griechenland solle Beamte aus anderen Bereichen an die Grenze versetzen, so sein Ratschlag. Notfalls müssten auch Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste unter Vertrag genommen werden.