Das Heizkraftwerk München-Nord aus der Luft. (Bild: Imago/Blickwinkel)
Kohlekraft

Noch nichts entschieden

Die Münchner haben für eine vorgezogene Abschaltung des Kohlekraftwerks im Norden der Stadt gestimmt. Bei einem Bürgerentscheid sprachen sich am Sonntag 60,2 Prozent der Wähler für den Kohle-Ausstieg bis 2022 aus. Entschieden wird aber andernorts.

Die Wahlbeteiligung beim Bürgerentscheid lag nur bei 17,8 Prozent. Damit die Abstimmung gültig ist, mussten mindestens zehn Prozent der mehr als eine Million Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Das Quorum ist damit erfüllt worden. Nur knapp 200.000 von 1,1 Millionen stimmberechtigten Münchnern haben über die Zukunft des Kohleblocks des Kraftwerks München-Nord abgestimmt. 110.862 Stimmen oder zehn Prozent der Stimmberechtigten war das Quorum für den Sieg, 118.513 Befürworter wurden es. 78.218 votierten gegen die Abschaltung. „Wenn zwölf Prozent der Wähler für einen Kohleausstieg stimmen, halte ich das für nicht unbedingt repräsentativ. Dennoch muss man das Votum respektieren“, erklärte CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl. Für das Bürgerbegehren „Raus aus der Steinkohle“ hatten ÖDP, Linke, Grüne, FW sowie Umweltorganisationen mehr als 52.000 Unterschriften gesammelt.

Ein Nullsummenspiel?

Nicht betroffen von der gewünschten Abschaltung sind die beiden anderen Blöcke, in denen Restmüll verbrannt wird. Rund 800.000 Tonnen Steinkohle verbrannte der Block 2 des Kraftwerks in Unterföhring pro Jahr für Strom und Fernwärme, laut Auskunft der Stadtwerke (SWM) entsprach das rund 1,7 Millionen Tonnen CO₂ (weniger als bei Braunkohle). Diese Menge wird nach der Abschaltung jedoch nicht voll eingespart, die fehlende Energie muss ja durch andere Anlagen aufgefangen werden, die auch CO₂ produzieren.

Und das wollen sie abschalten, während die Dreckschleudern in der ehemaligen DDR weiterlaufen!

Manuel Pretzl, CSU

Das Ganze könnte aber sogar ein Nullsummenspiel für die Erdatmosphäre sein: Die SWM müssen für den CO₂-Ausstoß im Kohleblock auf europäischer Ebene Zertifikate erwerben. Bei einer Abschaltung könnte also ein anderes Unternehmen diese Zertifikate kaufen und entsprechend viel CO₂ produzieren. Dann beträgt die Einsparung laut einer Studie von SWM und Öko-Institut null.

Die Kohle-Gegner

Mit dem Entscheid soll der Block 2 des Kraftwerks in Unterföhring bereits Ende 2022 vom Netz gehen, was die Stadtwerke bei der Bundesnetzagentur beantragen müssen. Die Gegner des Kohlekraftwerks kritisierten vor allem dessen CO₂-Emissionen. Diese seien größer als von allen Autos und Lastwagen in ganz München zusammen. Dieser Vergleich impliziert, man könne so viel CO₂ einsparen, wie der Verkehr produziere. Wie oben beschrieben, ist das jedoch nicht richtig. Außerdem sei die Kohleverbrennung ein finanzielles Risiko für die Stadt, sagten die Gegner.

Die andere Seite: Später abschalten

Die SWM sowie die große Mehrheit des Stadtrats sahen das anders: SPD, CSU und FDP sind zwar auch für einen Kohleausstieg, jedoch erst 2027 bis 2029. Das moderne Kraftwerk sei eines der emissionsärmsten Kohlekraftwerke Deutschlands. „Und das wollen sie abschalten, während die Dreckschleudern in der ehemaligen DDR weiterlaufen!“, kritisierte CSU-Fraktionschef Pretzl in der AZ. Er meint insbesondere die Kohlekraftwerke in der Lausitz. Eine Abschaltung ist zudem teuer für die Stadt. SWM-Boss Florian Bieberbach sprach von dreistelligen Millionenbeträgen. 300 Millionen Euro Gewinn würden den Münchnern auch durch das vorzeitige Ende entgehen. Ein von den Grünen als Ersatz ins Spiel gebrachtes Gaskraftwerk sei auf fremdem Gemeindegebiet – Unterföhring gehört nicht zur Stadt München – niemals bis zur Abschaltung 2022 fertig, so SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. „Sie lügen die Leute doch an!“ Gas ist zudem ebenfalls ein fossiler Brennstoff. FDP-Stadträtin Gabriele Neff ergänzte im Münchner Merkur: „Wir wollen alle raus aus der Steinkohle, aber bis 2022 können wir das nicht realisieren. Die Versorgungssicherheit wäre gefährdet und es fehlen Stromtrassen.“

Engpass bei Fernwärme

Zumindest bei der Fernwärme könnte es tatsächlich zu Engpässen kommen, da es noch nicht ausreichend Ersatz gibt. Außerdem werden Teile der Innenstadt mit einem auf sehr heißen Dampf ausgelegten Netz versorgt – wie dem aus Unterföhring. Die Rohre müssten nun ausgetauscht werden, um mit Geothermie versorgt zu werden. Bis 2022 ist laut Stadtwerken die Geothermie, die einmal die Grundlast an Fernwärme in München abdecken soll, noch nicht weit genug ausgebaut. Daher müssten übergangsweise Blockheizkraftwerke errichtet werden.

Die Entscheidung fällt woanders

Möglicherweise verpufft der teure Bürgerentscheid auch völlig wirkungslos, denn das letzte Wort spricht die Bundesnetzagentur. Sie könnte das Kraftwerk als systemrelevant für die Versorgung Süddeutschlands einordnen, da bis zur Fertigstellung der neuen Nord-Süd-Stromtrassen an Tagen mit hohem Strom- und Wärmeverbrauch schon jetzt Engpässe drohen. „Wir gaukeln den Leuten vor, dass sie entscheiden könnten, ob es abgeschaltet wird – und dann sagt die Bundesnetzagentur Nein!“, erklärte Simone Burger (SPD). „Ich glaube nicht, dass die Abschaltung genehmigt wird“, so CSU-Fraktionschef Pretzl. Auch SWM-Chef Bieberbach nannte es „sehr wahrscheinlich“, dass das Kraftwerk als systemrelevant eingeordnet werde. Wenn die Netzagentur die Abschaltung verweigert, müsste das Kraftwerk zumindest mit gedrosselter Kraft weiterlaufen, da es auf Dauerbetrieb ausgelegt ist und sonst Schaden nehmen könnte.

Die Fakten

Rund 40 Prozent des deutschen Stroms stammen aus Kohlekraftwerken. Das Problem bei einem Ausstieg auch aus der Kohle: Nach Abschaltung der Atomkraftwerke bis 2022 fehlen grundlastfähige Kraftwerke, also die, die unabhängig von unzuverlässigen Faktoren wie Wind und Sonne ständig Strom produzieren. Schaltet man nun auch die grundlastfähigen Kohlekraftwerke ab, könnte es zu Stromengpässen bei Flaute und Schlechtwetter kommen sowie zum Zukauf von „schmutzigem“ Strom aus dem Ausland. Nach einer emnid-Umfrage wollen 59 Prozent der Deutschen dennoch, dass sich die kommende Bundesregierung mit dem Kohleausstieg beschäftigt.