Bereits die Kleinen sollen sich für Mundart begeistern. (Bild: A. Schuchardt)
Dialekt

Bairisch für die Allerkleinsten

Mit einem Sprachkurs in einem Münchner Kindergarten will Ex-Erzieherin Erika Marschall bereits die Jüngsten für die Mundart begeistern. Das Bairische stärken soll auch der Dialektpreis, den die Staatsregierung an zehn Künstler verleiht.

Erika Marschall erkennt, ob es sich bei der Zahl „zwei“ um Kinder, Männer oder Frauen handelt. Allerdings nur, wenn Bairisch gesprochen wird: „Zwä“ ist männlich, „zwo“ ist weiblich und „zwoa“ ist sächlich, erklärt sie. Warum? Das weiß sie nicht, aber so hat sie es gelernt. Marschall ist im Bayerischen Wald aufgewachsen und hat von klein auf Dialekt statt Hochdeutsch gesprochen. Damit gehört sie zur Mehrheit der Bevölkerung. Laut Institut der Deutschen Sprache tun das 60 Prozent der Deutschen, in Bayern mit 86 Prozent sogar noch deutlich mehr.

Gefährdete Mundart

Trotzdem gehört Bairisch zu den bedrohten Sprachen. Wenn weniger als 30 Prozent der Kinder sie sprechen, ist das laut Unesco der Fall. Eine Studie dazu gibt es aus dem Jahr 1998. Danach sprachen in München nur rund eineinhalb Prozent der Kinder Bairisch. Marschall wundert das nicht. Die Kindergarten-Erzieherin hat in den vergangenen 16 Jahren nur ein Kind in der Gruppe gehabt, das Bairisch sprach. Das soll sich jetzt ändern. Im Kindergarten St. Franz Xaver im Stadtteil Trudering arbeitet Marschall an einer neuen Generation von Mundart-Sprechern.

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Zwä, zwo oder zwoa? Bairisch im Kindergarten

Einmal in der Woche gibt sie den Vier- bis Sechsjährigen einen Bairisch-Sprachkurs für eine halbe Stunde. Mit „Grias di“ begrüßen die Kleinen Marschall am Morgen. Heute lernen sie anhand der Bilderbuchgeschichte von Ottfried Fischer Woaßt du ibahapts, wia gern dass i di mog? was „Straicha“ sind. „Bäume“, sagen die Kinder. „Sträucher“, berichtigt Marschall. „Die großen Zusammenhänge verstehen sie, aber es ist nicht so einfach, wenn es um schwierige Begriffe geht, die muss ich dann natürlich immer erst einführen“, sagt Marschall.

Die Oma eines Kindes – selbst Mundartdichterin – gab den Anstoß zu dem Kurs. Mit ihr zusammen arbeitete Marschall eine Art Lehrplan aus, denn passende Bücher gibt es kaum. Inzwischen hat sie Bilderbücher, Auszählverse und Gedichte auf Bairisch gefunden. Die Kindergärtnerin aus Niederbayern übersetzt selbst, in Münchner Dialekt. Schließlich wohnt sie bereits seit 1974 in der bayerischen Landeshauptstadt.

Vorteil für Dialekt-Sprecher

Unterstützung bekommt sie bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit von Horst Münzinger, dem Vorsitzenden des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte. Für Kinder, die neben der Hochsprache noch einen Dialekt sprechen, ergäben sich viele Vorteile: Sie hätten Studien zufolge einen größeren Wortschatz, ein besseres Erinnerungsvermögen und seien konzentrierter, führt Münzinger an. „Man kann damit nie früh genug anfangen.“ Auch eines seiner Enkelkinder besucht den Kindergarten. Der Kurs läuft seit Marschalls Pensionierung im vergangenen Herbst. Das Projekt kommt bei Eltern und Kinder gut an. Seit Kursstart ist die Teilnehmerzahl auf 19 angewachsen.

In vielen ländlichen Gegenden Bayerns wird darüber diskutiert, wie viel Dialekt in Krippen und Schulen gesprochen werden soll. Lange Zeit war Mundart an höheren Schulen verpönt, gar verboten. Im Integrationsgesetz, das der bayerische Landtag wegen der zunehmenden Zahl an Flüchtlingen beschlossen hat, steht aber jetzt ausdrücklich, Flüchtlingskinder sollten die lokale Mundart lernen. „Mundarten sind unverzichtbarer Teil der Sprachkultur und tragen entscheidend zur Ausprägung der bayerischen Identität bei“, findet auch das bayerische Kultusministerium und verweist auf Verfassung und Erziehungs- und Unterrichtsgesetz des Freistaats. Dort heißt es: „Die Schüler sind […] in der Liebe zur bayerischen Heimat […] zu erziehen“.

Preise für Brauchtumspfleger

Damit sich wieder mehr junge Leute zum Dialekt bekennen, haben Heimatminister Markus Söder und Kultusminister Ludwig Spaenle am 20. März zum ersten Mal Dialektpreise in München verliehen. Zehn Filmemacher, Musiker und Komödianten erhielten für „Besondere Verdienste in Dialektpflege und Dialektologie“ die Ehrung, die mit je 1000 Euro dotiert war.

Die Preisträger tragen dazu bei, die regionale Vielfalt der heimischen Dialekte zu pflegen und für die kommenden Generationen zu erhalten.

Markus Söder, bayerischer Heimatminister

Die Preisträger kommen aus allen Regionen Bayerns und vertreten damit unterschiedliche bayerische Mundarten. Vorgeschlagen wurden sie von den Bezirksheimatpflegern. Aus Oberbayern wurde etwa die Drehbuchautorin Karin Michalke („Beste Zeit“) geehrt, aus Mittelfranken der Schriftsteller Fitzgerald Kusz.

Aufnahme in die Europäische Charta?

Eine Aufnahme des Bairischen in die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, wie Münzinger es sich wünscht, ist aber wohl unwahrscheinlich: Das Ministerium hatte 2015 Sprachwissenschaftler um eine entsprechende Bewertung gebeten. Demnach sei keine der in Bayern gesprochenen Mundarten, darunter auch das Bairische, eine Regionalsprache im Sinn der Charta, sondern sie seien als „Dialekte der deutschen Amtssprache“ zu sehen. In der Charta werden für Deutschland etwa Nordfriesisch und Sorbisch als Sprachen aufgeführt.

Bairisch als Integrationshilfe

Für Sepp Obermeier vom Bund Bairische Sprache hat Bairisch ohnehin nur noch auf dem Dorf eine Chance. Wo es weniger als die Hälfte der Kinder von Haus aus sprächen, seien auch Kurse wie der in Trudering „folkloristisches Beiwerk“. Wo sich aber Zugezogene einer Bairisch sprechenden Mehrheit anschlössen, könne die Heimatsprache durchaus ein Integrationsfaktor sein.

Man integriert Fremde, indem man sie in die Sprachgruppe einbezieht.

Anthony Rowley, Sprachforscher

Auch Anthony Rowley, Dienststellenleiter der Kommission für Mundartforschung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sieht im Dialekt eine Chance, Fremde zu integrieren. Rowley erzählt von einem Pizzabäcker, der nicht richtig Deutsch schreiben konnte – aber den Bayreuther Stadtdialekt perfekt sprach. „So ist ihm Integration gelungen“, sagt der 63-Jährige. Ob Kindergartenkurse tatsächlich ein Erfolg werden, müsse abgewartet werden, findet er. In Städten könne die Sprache wohl eher nicht wieder verankert werden, glaubt Rowley.

Sprachpfleger Münzinger hofft dennoch, dass das Truderinger Modell Nachahmer in weiteren Kindergärten findet. Ist all das Bemühen aber nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? „Das kann man so sehen, wenn man Pessimist ist“, räumt Münzinger ein. Um anzufügen: „Bayern san Optimisten.“

Wer spricht Bairisch?

Die Menschen in Bayern sprechen nicht nur bairische Dialekte, sondern auch schwäbisch-alemannische, ost­fränkische und um Aschaffenburg sogar rhein­fränkische. Das Bairische ist die am weitesten verbreitete deutsche Mundart, dabei vor allem in Österreich. Dort sprechen rund sechs Millionen Österreicher den Dialekt, in Altbayern etwa fünf Millionen.

Der bairische Dialektraum wird in Süd-, Mittel- und Nordbairisch gegliedert. Dabei liegt das Kerngebiet des konservativen Südbairischen gar nicht innerhalb Bayerns, sondern in Tirol und in Kärnten. Zum mittel­bairischen Dialektraum gehört der Großteil von Oberbayern und Niederbayern mit Donau-, Isar- und Inntal sowie östliche Teile Bayerisch-Schwabens. Das Nordbairische wird in der Oberpfalz und in angrenzenden Gebieten Mittel- und Oberfrankens gesprochen. Der nordbairische Sprachraum reicht im Süden bis zur Donau.

Das Bayerische Wörterbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) erforscht und dokumentiert den gesamten bairischen Wortschatz aus Oberbayern, Niederbayern, der Oberpfalz und den angrenzenden bairischen Gebieten Bayerisch-Schwabens sowie Mittel- und Oberfrankens. Das Wörterbuch ist eines der ältesten Forschungsprojekte an der BAdW. Geplant ist, die Bände des Bayerischen Wörterbuchs nicht nur in Buchform, sondern auch im Internet zu veröffentlichen.

Bairisch oder Bayerisch?

Übrigens: Wenn die Rede vom Dialekt ist, wird bairisch mit „i“ geschrieben. Das Wort „bayerisch“ bezeichnet Geographisches und Politisches im Freistaat. Die Schreibweise ist ein Überbleibsel von König Ludwig I., der aus Begeisterung für das Griechische das „Y“ in Bayern einführte.