Freiheit, die junge Musliminnen meinen – und nicht verlieren wollen
Für junge Musliminnen bedeutet das Leben in der westlichen Welt großen Freiheitsgewinn. Aber jetzt erleben sie, dass auch in Deutschland und Europa der politische Islam an Einfluss gewinnt und mit ihm das frauenverachtende Islamverständis aus der Heimat ihrer Eltern. Große Schuld daran gibt die marokkanisch-stämmige Autorin Sineb El Masrar den hiesigen Islamverbänden und ihren Akteuren.
Islamverbände

Freiheit, die junge Musliminnen meinen – und nicht verlieren wollen

Für junge Musliminnen bedeutet das Leben in der westlichen Welt großen Freiheitsgewinn. Aber jetzt erleben sie, dass auch in Deutschland und Europa der politische Islam an Einfluss gewinnt und mit ihm das frauenverachtende Islamverständis aus der Heimat ihrer Eltern. Große Schuld daran gibt die marokkanisch-stämmige Autorin Sineb El Masrar den hiesigen Islamverbänden und ihren Akteuren.

Ich wage die Behauptung: Das muslimische Führungspersonal in Deutschland ist vor allem eines – unfähig. Und diese Unfähigkeit wirkt sich auch auf die Moscheevereine aus.

Das schreibt Sineb El Masrar in ihrem im Februar erschienenen Buch „Emanzipation im Islam – eine Abrechnung mit ihren Feinden“. Zu letzteren zählt El Masrar hierzulande eben vor allem die Vertreter der Moslemverbände. Kein Wunder: Dass die in Hannover geborene, charmante und sehr westlich dreinblickende 35-jährige Deutsch-Marokkanerin sich von den typischen Islamvertretern, wie man sie regelmäßig im deutschen Fernsehen erlebt, nichts sagen lassen will, versteht man sofort.

Auch wenn ihre Abrechnung dann doch eher munter-harmlos ausfällt, einigen der „Berufsmuslimen“, wie sie sie auch nennt, war schon das zu viel. Noch eine knappe Woche müssen darum El Masrar-Fans, die sie bestimmt hat, warten, bis sie ihr Buch wieder erwerben dürfen – und dann mit dreieinhalb geschwärzten Zeilen auf Seite 179. In der geschwärzten Passage, das berichtet die Wiener Tageszeitung Die Presse, sei der Vorwurf gestanden, die Islamische Gemeinschaft Milli-Görüs (IGMG) habe 2010 über drei Millionen Euro an Spendengeldern für die Terrorbewegung Hamas gesammelt. Gegen diese Formulierung im Indikativ hat Milli-Görüs Anfang April eine einstweilige Verfügung erwirkt. Am 28. April soll das Buch wieder im Handel sein. Amüsantes Detail: Juristisch vertreten wird Milli-Görüs in der Angelegenheit genau von jener Münchner Anwaltskanzlei, die gerade auch den türkischen Präsidenten Recep Erdogan gegen den Humoristen Böhmermann vertritt.

Die Islamverbände und der Islamismus

Islamkritik sei erlaubt, aber den „muslimischen Mitbürgern“ dürfe man nichts vorwerfen, sagen hier viele. Die bewusste Muslimin El Masrar  − „Ich bete, faste im Ramadan und besuche auch mal die Moschee. Ich praktiziere die Religion. Punkt.” − sieht es interessanterweise genau umgekehrt. In einem Rundfunkinterview hat sie es vor einem Jahr einmal erklärte: „Als Islamkritikerin kann ich schon mal nicht bezeichnet werden, weil ich den Islam so schon mal gar nicht kritisiere, sondern die Akteure. Also vielleicht Muslimkritikerin, das würde es vielleicht ein bisschen besser treffen.“ Sie will gar nicht den Islam kritisieren, sondern viele Muslime und vor allem jene Islamverbände mit ihren Funktionären und eben deren „Islamverständnis“.

Als Islamkritikerin kann ich schon mal nicht bezeichnet werden, weil ich den Islam so schon mal gar nicht kritisiere, sondern die Akteure.

Sineb El Masrar

Tatsächlich schenkt El Masrar den deutschen Islamverbänden nichts. Sie wirft ihnen vor, „zum Teil“ Islamismus zu verbreiten und „Verbindungen zu islamistischen Gruppierungen“ zu unterhalten (der Bayernkurier berichtete). Von staatlicher Anerkennung von Islamvereinen als Religionsgemeinschaften rät sie Berlin oder den Landeshauptstädten dringend ab: „Ohne eine Auseinandersetzung der Verbände mit ihren extremistischen Rändern und ohne eine Aufarbeitung ihrer eigenen Rolle im Extremismus sowie ihrer salafistischen Inhalte sehe ich ihre Anerkennung zu dieser Stunde als eine gravierende Fehlentscheidung an, die vor allem uns Frauen und Mädchen langfristig viele Benachteiligungen bringen wird.“  El Masrar weiter: „Nur weil Verbände staatliche Gelder erhalten, wird deren Führungspersonal nicht kompetenter und ihr Denken frauenfreundlicher. Das Gedankengut bleibt dasselbe – es wird nur entlohnt.“

Wichtig für deutsche Integrationspolitiker sollte auch El Masrars Hinweis auf Veränderungen innerhalb der türkischen DITIB-Moscheevereine sein: Die DITIB (Türkische-Islamische Union der Anstalt für Religion) ist der türkischen Religionsbehörde DIYANET unterstellt. Seit der Regierungsübernahme der islamistischen AKP von Recep Erdogan in Ankara gewinnen in der Türkei die islamistischen Muslimbrüder an Einfluss. El Masrar, deutet an, dass das auch auf die DITIB – und damit eben auch auf deren Moscheevereine – abgefärbt habe.

Lebenswelt einer jungen Muslimin zwischen Marokko und Berlin

Es ist aufschlussreich, durch El Masrar etwas über die Lebenswelt einer jungen Muslimin zwischen Marokko und Berlin zu erfahren. Familiäre oder nachbarschaftliche Verbindungen in französische Banlieues und nach Belgien und in die Niederlande gehören dazu. El Masrar bestätigt, was man hierzulande in Schulen, auf der Straße oder im öffentlichen Leben vielfach erfährt: Anders als viele Angehörige des männlichen Teils der mohammedanischen Zuwanderungsgesellschaft empfinden junge muslimische Frauen, die hier aufwachsen, deutschen oder westeuropäischen way of life in aller Regel als großen Freiheitsgewinn, als regelrechte Befreiung. Umso härter trifft es sie, wenn sie jetzt auch in Deutschland frauenverachtendes Islamverständnis aus der Heimat ihrer Eltern einzuholen droht. Wenn Islamfunktionäre wie Tariq Ramadan in der Schweiz es nicht schaffen, etwa die vom islamischen Schariarecht gebotene Steinigung von Ehebrecherinnen für falsch zu erklären, dann ist das leider kein Einzelfall, sondern nur die Spitze eines islamistischen Eisbergs − mitten in Europa.

Um freie Entfaltung und Religionsfreiheit geht es hier schon lange nicht mehr, sondern um Etablierung des politischen Islam auf dem Rücken vieler muslimischer Mädchen und Frauen.

Sineb El Masrar

Die Islamverbände und die „Berufsmuslime“, wie El Masrar sie nennt, spielen bei der Rückkehr zu orientalisch-islamischem Denken sozusagen die Rolle von Übermittlern und Transporteuren – etwa der Lehren des hyperpopulären, islamistischen Predigers Jussuf Qaradawi –  geistliches Oberhaupt der ägyptischen Muslimbrüder und sunnitischer Fernsehprediger mit vielhundertmillionenfacher TV-Gemeinde, auch hierzulande. Schuld an der beunruhigenden und integrationsfeindlichen Rückentwicklung sind auch die Deutschen, die sich von Islam-Vertretern allzu oft eine falsche Diskussion aufzwingen lassen, deutet El Masrar an: „Denn um freie Entfaltung und Religionsfreiheit geht es hier schon lange nicht mehr, sondern um Etablierung des politischen Islam auf dem Rücken vieler muslimischer Mädchen und Frauen.“

Bei El Masrar kann man sogar den Eindruck gewinnen, dass die Etablierung eben jenes politischen Islam in Deutschland und Europa bessere Fortschritte macht als alle Integrationsanstrengungen der Europäer: „Wenn sogar die junge Generation, die zum Teil selbst Eltern sind, das krude Denken dieser Männer bis heute nicht hinterfragt, dann steht es nicht gut um diese Generation.“ Und um deren Integration in eine zivilisierte westliche Gesellschaft, möchte man hinzufügen.

Weibliche Genitalverstümmelung, Polygamie, Ehe auf Zeit

Wohin das führen kann zeigt das Beispiel der weiblichen Genitalverstümmelung. Laut UNICEF müssen 90 Prozent der Ägypterinnen die abscheuliche Praxis über sich ergehen lassen. Man kann verstehen, dass es El Masrar entsetzt zu erleben, wie das Phänomen jetzt auch den Westen erreicht: „Besonders erschreckend wird es, wenn eine Muslima im Westen feststellen muss, dass Salafistenprediger nun auch hierzulande die Klitoris ins Visier ihrer Perversionen nehmen.“ Noch mehr erschrecken würde sie wahrscheinlich, wenn sie wüsste, dass vor einem Jahr der britische Premierminister hörbar schockiert von Tausenden Fällen von weiblicher Genitalverstümmelung berichtete – jedes Jahr mitten in England. Das böse Thema hat die Europäer längst erreicht und eben muslimische Einwanderinnen und Einwanderertöchter, die gehofft hatten, hier vor jener Scheußlichkeit aus der Heimat mancher ihrer Eltern sicher zu sein. Vergeblich. Bitter ist bei alledem, dass viele Integrationspolitiker hierzulande das Thema lieber meiden.

In einigen Regionen der Welt wird die Polygamie aber auch weiter notwendig sein, solange kein bedingungsloser Schutz der Frauen gewährleistet ist.

Sineb El Masrar

Interessant: Weil sie den Islam ja nicht kritisieren will, hat die „Frau und Muslima“ El Masrar fast ein wenig Verständnis für die Polygamie. Es ginge dabei darum, „den Schutz und die Versorgung der Frauen zu gewährleisten“. El Masrar: „In einigen Regionen der Welt wird die Polygamie aber auch weiter notwendig sein, solange kein bedingungsloser Schutz der Frauen gewährleistet ist.“ Sie sollte vielleicht einmal nachlesen, was etwa der Mittelost-Experte der New York Times, Thomas Friedman, kürzlich aus dem bettelarmen Sahelzonen- und Bevölkerungsexplosionsland Niger berichtete, wo die Vielehe besonders populär ist − und keineswegs zufällig auch die polygame Ehe mit sehr minderjährigen Mädchen. Dem Journalisten ist dort ein Nigerer begegnet, der nicht weiß, wie er seine drei Frauen und siebzehn Kinder ernähren soll.

Über die sogenannte Imam-Ehe, also eine lediglich von einem Imam vollzogene Trauung ohne zivilrechtliche Relevanz, sind Polygamie und Ehe auf Zeit auch in Deutschland geübte Praxis.

Richtigerweise kein Verständnis hat sie dagegen für die islamische Ehe auf Zeit – eine unter Schiiten und Sunniten gepflegte Form der Prostitution. Der Praxis fallen häufig minderjährige Mädchen zum Opfer, die, was El Masrar allerdings nicht schreibt, nicht selten von ihren Familien sozusagen in eine kurze Ehe auf Zeit verkauft werden. Wichtig ist ihr Hinweis, dass über die sogenannte Imam-Ehe, also eine lediglich von einem Imam vollzogene Trauung ohne zivilrechtliche Relevanz, Polygamie und Ehe auf Zeit auch in Deutschland geübte Praxis sind. Was sie nicht schreibt: Der deutsche Gesetzgeber selber hat dafür Tür und Tor geöffnet. Denn mit dem neuen Personenstandsrechtsreformgesetz, rechtskräftig seit dem 1. Januar 2009, wurde das Verbot der religiösen Voraustrauung aufgehoben. Seither haben religiöse Trauungen schlicht keine zivilrechtliche Bedeutung mehr und der Gesetzgeber interessiert sich nicht mehr. Nicht bedacht hat man dabei, dass auf diese Weise auch die Grenze des Heiratsmindestalters in Frage gestellt wurde: Wenn sich zwei Familien einig sind, können auch minderjährige Mädchen per Imam-Ehe getraut und zwangsverheiratet werden.

Islamistischer Terror hat eben doch mit dem Islam zu tun

El Masrar will nicht den Islam kritisieren. Aber beim Thema Terror ist sie nahe dran. Die Parole, islamistischer Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, kann sie nicht schlucken. „Ich meine, diese Menschen, diese Gruppen berufen sich ja auf die Religion“, erklärte sie vor einem Jahr im Interview mit dem Deutschlandfunk und fuhr fort: „Sie finden natürlich auch eine Herleitung, sie finden Gelehrte, die das gut heißen. Aber eben auch religiöse oder koranische Verse. Dann zu sagen, das hat mit der Religion nichts zu tun oder das ist das falsche Islamverständnis, da muss man sich dann schon fragen, was ist dann das richtige Islamverständnis?“ Es ist aufschlussreich zu lesen, dass die westlich geprägte Muslimin El Masrar an dieser Stelle mit ihrer Religion und mit ihrem Koran nicht ganz klar kommt. Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem „richtigen Islamverständnis” fällt ihr schwer: „Warum sagt jemand, das ist das falsche Islamverständnis, jemand anders aber, das ist das richtige Islamverständnis, den Leuten den Kopf abzuschlagen – und der andere sagt, nein. Aber beide können sich darauf berufen.“

Diese Menschen, diese Gruppen berufen sich ja auf die Religion. Sie finden natürlich auch eine Herleitung, sie finden Gelehrte, die das gut heißen. Aber eben auch religiöse oder koranische Verse.

Sineb El Masrar

In ihrem Buch fällt ihr zudem auf, dass, wenn es um Krieg und Terror geht, der Protest ihrer Mitmuslime hierzulande oft recht selektiv ausfällt. Beim letzten israelischen Krieg gegen die Hamas in Gaza vor zwei Jahren war an wütenden und manchmal auch gewalttätigen Muslim-Demonstrationen in europäischen Städten kein Mangel. Wenig später ließ das Schicksal der Palästinenser die Muslime in Europa dagegen völlig kalt, beobachtet El Masrar: „Als die IS-Brigaden palästinensische Flüchtlingscamps südlich von Damaskus angriffen, blieb nicht nur hier in Deutschland der Ottoman-Normal-Muslim schweigsam daheim. Offenbar sehen sich jene Demonstranten immer nur dann genötigt, empört auf die Straße zu gehen, wenn es um jegliche Nichtmuslime versus Palästinenser geht.“ El Masrar kratzt am Palästina- und Palästinenser-Mythos. Das werden ihr viele Glaubensgenossen – nicht nur in der Milli-Görüs-Bewegung, die jetzt gegen ihr Buch vorgegangen ist – womöglich noch mehr übel nehmen als andere Dinge, die sie sonst schreibt. El Masras muslimische Reise in den Westen ist vermutlich noch nicht zuende. Mal schauen, wohin sie sie noch führt.