Handelskommissarin Cecilia Malmström kommt den EU-Staaten mit neuen Vorschlägen entgegen. Bild: Imago
TTIP

Ein System, dem die Bürger trauen

Die Großkonzerne halten sie für notwendig, viele Politiker würden sie gerne abschaffen: An den internationalen Schiedsgerichten, vor denen Unternehmen Staaten verklagen können, scheiden sich die Geister. Für den Investitionsschutz im Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA hat die EU-Kommission am Mittwoch neue Vorschläge vorgelegt. Lob kommt dafür von Angelia Niebler.

„Die Europäische Kommission hat endlich anerkannt, dass das bisherige System der Schiedsverfahren ausgedient hat: Das TTIP-Abkommen wird keine Schiedsverfahren für Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) mehr beinhalten, stattdessen wird ein transparentes Verfahren zur Beilegung dieser Streitigkeiten eingeführt“,  stellte die Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Angelika Niebler, fest. Die bis zuletzt heftig umstrittenen Schiedsgerichte sollen in allen laufenden und noch anstehenden Verhandlungen über Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Staaten durch ein öffentliches, transparenteres und unabhängiges System der Streitbeilegung ersetzt werden. Diese öffentliche Investitionsgerichtsbarkeit soll aus einem Gericht erster Instanz sowie einer Berufungsinstanz bestehen. „Der aktuelle Vorschlag trägt nicht nur der Debatte Rechnung, die wir Abgeordnete über viele Monate in 15 Fachausschüssen des Europäischen Parlaments zu TTIP geführt haben, sondern auch dem immensen Druck einer breiten Öffentlichkeit“, so Niebler.

Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene neue System enthalte grundlegende Verbesserungen: Die Investitionsgerichtsbarkeit bestehe aus einem Gericht erster Instanz sowie einem Berufungsgerichts. Darüber werden die Urteile von öffentlich bestellten, hochqualifizierten Richterinnen und Richtern gefällt. Das Berufungsgericht soll nach ähnlichen Grundsätzen wie das WTO-Berufungsgremium arbeiten. Auch die Möglichkeiten für Investoren, einen Fall vor das neu geschaffene Gericht zu bringen, seien genau festgelegt und auf wenige Fälle bestimmt.

Zunächst wird die EU-Kommission mit dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten über ihren Vorschlag diskutieren, bevor sie diese in die Verhandlungen mit den USA einfließen lässt. „Die Kommission war gut beraten, unsere Beschlüsse in den Vorschlag aufgenommen zu haben. Denn die Position des Europäischen Parlaments ist von enormer Bedeutung, da internationale Handelsabkommen mit Drittstaaten nur in Kraft treten können, wenn das Europäischen Parlament diesen zustimmt“, so Niebler abschließend.

Knackpunkte

Das sogenannte Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) ist einer der größten Knackpunkte auf dem Weg zu dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Viele Länder Europas sehen in den Schiedsgerichten einen Angriff auf ihre Souveränität, weil die Gerichte mitunter nationales Recht aushebeln können. Unter anderem wird bemängelt, dass diese Gerichte nicht öffentlich tagen und mit Anwälten statt Richtern besetzt sind. Ein immer wieder gern genanntes Beispiel ist der Streit zwischen dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall und der Bundesrepublik. Die Firma, die auch in Deutschland Kernkraftwerke betreibt, verklagt Berlin bekanntlich vor einem Schiedsgericht wegen des beschlossenen Atomausstiegs auf 4,7 Milliarden Euro. Das Urteil steht noch aus.

Investitionsschutz: Ecuador schaut in die Röhre

Auch der amerikanische Öl-Konzern Chevron ist nicht zimperlich. Er wurde 2013 vom obersten Gericht Ecuadors zu einer Schadenersatzzahlung von 9,5 Milliarden US-Dollar verdonnert. Der Grund: 30 Jahre lang hatte der Texaco-Konzern, der 2001 von Chevron übernommen wurde, in dem Land Öl gefördert und dabei Böden und Gewässer verschmutzt. Vor einem Schiedsgericht drehte der Konzern den Spieß kurzerhand um und berief sich auf den Investitionsschutz des 1997 zwischen den USA und Ecuador unterzeichneten Freihandelsabkommens. Das Schiedsgericht verurteilte Ecuador 2014 zu einer Zahlung von 77 Millionen US-Dollar an Chevron, die Umweltschäden sind bis heute nicht reguliert.

EU-Kommission schlägt Handelsgerichte und zweite Instanz vor

Die EU-Kommission will bei den Verhandlungen zu TTIP nun neue Weg gehen und dieser vermeintlichen Willkür ein Ende setzen. Handels-Kommissarin Cecilia Malmström, die schon im Frühjahr vorgeschlagen hatte, die Schiedsgerichte mehr an traditionelle Gerichte anzupassen, will die urteilenden Richter in Zukunft in unabhängigen Verfahren auswählen lassen. Die Möglichkeiten für Investoren, vor noch einzurichtende neue Handels-Gerichte zu ziehen, sollen genau definiert werden. Außerdem schlägt die EU-Kommissarin einen „Investitionsgerichtshof“ als zweite Instanz vor. Vor ihm könnten Parteien Einspruch gegen Urteile erheben. „Wir wollen ein System einrichten, dem die Bürger trauen“, sagte Malmström.

Deutschland signalisiert Zustimmung

Die Kommission will ihren Vorschlag nun zunächst mit den EU-Staaten und dem EU-Parlament abstimmen. Erst danach soll mit den USA verhandelt werden. Die Bundesregierung signalisiert bereits Zustimmung, zumal bei der angestrebten Reform wesentliche Forderungen des Bundeswirtschaftsministeriums berücksichtigt sind.

DIHK fordert mehr Rücksicht auf kleine und mittlere Unternehmen

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hatte zuletzt auch gefordert, beim Investitionsschutz innerhalb TTIP mehr auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen einzugehen. „Eine Anpassung ist unter anderem deshalb notwendig, weil bisher in einem Verfahren für jede Partei Kosten von durchschnittlich drei Millionen Euro anfallen“, sagte Volker Treier, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von DIHK-International, dem Handelsblatt.