Wegen der erneuerbaren Energien rentieren sich viele konventionelle Kraftwerke nicht mehr. Im Bild eine Biogas-Anlage nahe Bad Windsheim. (Foto: Wolfram Göll)
Teure Energiewende

Versorger wollen immer mehr Kraftwerke einmotten

Weil sich die klassischen Kohle- und Gas-Meiler wegen der Energiewende nicht mehr rentieren, wollen die deutschen Stromerzeuger immer mehr bestehende Kraftwerke stilllegen. Laut Bundesnetzagentur liegen derzeit bereits für 57 Kraftwerke sogenannte Stilllegungsanzeigen vor. Gleichzeitig müssen die Bürger immer mehr für die Energiewende zahlen.

Die Kosten der Energiewende belaufen sich für die Stromkunden auf 28 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Durchschnitts-Haushalt mit einem Stromverbrauch von 3500 Kilowattstunden zahlt rund 270 Euro im Jahr für die Umsetzung der Energiewende. Zu diesem Ergebnis kommen Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für das „Handelsblatt“.

Die Berechnungen beinhalten neben den Kosten für die Förderung der erneuerbaren Energien auch die durch die Energiewende verursachten Kosten des Netzausbaus. Auch die jüngsten Beschlüsse zur zusätzlichen Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und zum Aufbau einer Kapazitätsreserve sind berücksichtigt.

Wegen der Energiewende ist auch der Börsen-Strompreis sowie der Stromabsatz der konventionellen Kohle- und Gaskraftwerke drastisch eingebrochen. Nach der regelmäßig aktualisierten Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur stieg die Zahl der sogenannten Stilllegungsanzeigen allein seit Jahresbeginn bis Ende Juli um 9 auf 57 Kraftwerke.

Regierung: Kraftwerkskapazität immer noch bei 197 Gigawatt

Die Bundesregierung betonte aber, dass die Kapazitäten bei der Energieversorgung völlig ausreichend seien. Vielmehr gebe es in Deutschland und europaweit sogar Überkapazitäten, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums am Montag in Berlin. Die Versorgungssicherheit sei auch im kommenden Winter gewährleistet – „selbst in den kritischsten Situationen“, fügte sie hinzu.

Laut Bundesnetzagentur stehen bundesweit Kraftwerke mit einer Netto-Nennleistung von gut 197 Gigawatt bereit – davon gut 90 Gigawatt aus erneuerbaren Energien. Endgültig stillgelegte Anlagen sind dabei bereits abgezogen. Der tägliche Verbrauch liegt bei bundesweit 60 bis maximal gut 80 Gigawatt. Die Betreiber wollen vor allem Gas- und Steinkohle-Kraftwerke einmotten oder endgültig vom Netz nehmen. Der Börsenstrompreis ist innerhalb von zwei Jahren von etwa 50 auf rund 30 Euro pro Megawattstunde gefallen. Über die aktuellen Pläne der Betreiber hatte zunächst die „Bild“-Zeitung berichtet.

Energiebranche schlägt Alarm: „Besorgniserregend“

Die Energiebranche sorgt sich angesichts der stark geschrumpften Erlöse im Erzeugungsgeschäft vor allem um die nötigen Neubauten in den kommenden Jahren. Bundesweit sei jedes zweite Neubauprojekt gestoppt, sagte ein Sprecher des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Der Anteil der Kraftwerke, die rund um die Uhr Strom erzeugen können, wird in den nächsten Jahren weiter stark sinken“, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Müller. Hinzu kämen Verzögerungen beim dringend notwendigen Netzausbau. „In der Summe empfinden wir die Situation als besorgniserregend.“

„Insgesamt haben wir weiter eine ausreichende Erzeugungskapazität“, sagte ein Sprecher der Bundesnetzagentur. „Wo regional die Erzeugung nicht ausreichen könnte, werden wir den Stilllegungen weiter widersprechen.“ Dies ist meist südlich des Mains der Fall. Endgültigen Stilllegungen können die Netzbetreiber widersprechen, wenn sie die Versorgungssicherheit in Gefahr sehen. Wenn die Bundesnetzagentur dies bestätigt, müssen die Kraftwerke zum Erhalt der Netzstabilität weiterlaufen. Bisher ist das bei 11 der 57 angemeldeten Kraftwerke der Fall. Betroffen sind unter anderem Anlagen in Ingolstadt, Marbach am Neckar, Heilbronn und Großkrotzenburg in Hessen.

Sorgen des Handwerks

„Die Energiewende wird mit jeder Berechnung teurer. Das ist alarmierend“, betont der Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT), Georg Schlagbauer, mit Blick auf die vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) für das Handelsblatt ermittelten Zahlen. Die Fachleute des Instituts beziffern die jährlichen Kosten der Energiewende allein im Strombereich auf 28 Milliarden Euro. „Die hohe Kostenbelastung bedroht die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft. Besonders betroffen sind unsere kleinen und mittleren Betriebe, denen keine Ausnahmen bei Abgaben und Umlagen gewährt werden“, kritisiert der BHT-Präsident. Das bayerische Handwerk fordert, bei der Energiewende noch stärker auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Da 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO2-Emissionen auf den Gebäudebereich entfallen, müssen zuallererst dort Einsparungen vorgenommen werden. „Durch die energetische Sanierung von Gebäuden kann Energie gespart und der CO2-Ausstoß gesenkt werden. Eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung ist unverzichtbar, sonst laufen uns die Kosten für die Energiewende immer weiter davon“, sagt Schlagbauer. Ein Anfang werde beispielsweise mit dem „10.000-Häuser-Programm“ der Bayerischen Staatsregierung gemacht. Ebenso muss unter anderem die Entwicklung von Speichertechnologien sowie der Einsatz von Kraft-Wärmekopplungsanlagen gefördert werden. Allerdings darf die EEG-Umlagebeteiligung für Strom aus Blockheizkraftwerken zumindest nicht höher ausfallen als für Strom, der aus erneuerbaren Energien erzeugt wurde.

 

 

Handelsblatt/dpa/wog