Keine Angst vor der automobilen Zukunft
Bayerns Automobilindustrie vor dem Wandel: Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung und neue Mobilitätsmodelle verändern alle Bedingungen. Bayern ist gut aufgestellt und auf den technologischen Zukunftsfeldern schon jetzt stärker als andere.
Mobilität

Keine Angst vor der automobilen Zukunft

Bayerns Automobilindustrie vor dem Wandel: Elektromobilität, autonomes Fahren, Vernetzung und neue Mobilitätsmodelle verändern alle Bedingungen. Bayern ist gut aufgestellt und auf den technologischen Zukunftsfeldern schon jetzt stärker als andere.

Das Autoland Bayern muss keine Angst haben vor der automobilen Zukunft mit Elektromobilität und autonomen Fahren. Das ist die Botschaft aus zwei hochkarätigen Studien, welche die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat anfertigen lassen.

Bayerns Leitindustrie

Für den Freistaat steht viel auf dem Spiel. Im Jahr 2016 erwirtschaftete seine Automobilindustrie mit gut 40 Milliarden Euro über acht Prozent der bayerischen Wirtschaftsleistung. 340.000 Arbeitsplätze hängen unmittelbar an der Automobilindustrie. Rechnet man alle Beschäftigung hinzu, die von der Automobilindustrie und ihren Beschäftigten angestoßen werden, sind es sehr viel mehr: Insgesamt hängt im Freistaat jeder 15. Arbeitsplatz direkt oder indirekt am sogenannten Auto-Cluster. Die Automobilindustrie ist Bayerns – und Deutschlands – Leitindustrie.

Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie und einer der wichtigsten Investitions-, Wachstums- und Innovationstreiber in Deutschland und Bayern.

Alfred Gaffal, vbw-Präsident

„Wir leben von der Automobilindustrie, die sich in großen Schritten grundlegend ändert“, warnt denn auch der Duisburger Ökonom und Verkehrswissenschaftler Ferdinand Dudenhöffer. Tatsächlich kommen genau jetzt vier große Herausforderungen gleichzeitig auf Bayerns und Deutschlands Automobilindustrie zu: die Entwicklung emissionsärmerer Antriebssysteme, zunehmende Automatisierung und Vernetzung der Fahrzeuge sowie neue Nutzungskonzepte wie etwa das Car Sharing. „Jede dieser Herausforderungen für sich könnte den Markt umkrempeln“, sieht denn auch vbw-Präsident Alfred Gaffal.

Langsame Elektrifizierung

So schnell wird das zum Glück nicht passieren. Auch dann nicht wenn, wie in manchen Ländern angekündigt, im Jahr 2030 – also schon in 12 Jahren! –  oder 2040 die Zulassung von Pkw mit Verbrennungsmotoren verboten würde. Bis 2030 wird die jährliche Automobilproduktion weltweit in jedem Fall von heute etwa 90 Millionen auf 116 Millionen Fahrzeuge ansteigen. Die Produktion von Autos mit Verbrennungsmotoren wird zwar von 87 Millionen auf etwa 46,5 Millionen fallen. Aber die Verbrenner werden auch 2030 weltweit immer noch einen Anteil von 40 Prozent haben.

Der konventionelle Verbrennungsantrieb steht also nicht vor dem Aus, sondern es wird eine sehr lange Anpassungszeit mit relativ hohen Marktanteilen geben.

Karl Lichtblau, Instituts der Deutschen Wirtschaft, Köln

Die jährliche Produktion von Hybridfahrzeugen mit Verbrennungs- und Elektromotoren wird bis zum Jahr 2013 von 2,52 Millionen auf 45,3 Millionen steigen. Der Anteil reiner Elektrofahrzeuge wird von heute 0,6 auf weltweit 24,4 Millionen oder eben doch nur 21 Prozent der jährlichen Produktion steigen. So die Zahlen einer Studie des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), die in München Karl Lichtblau vorstellte: „Veränderungen der bayerischen Automobilindustrie durch automobile Megatrends.“ Lichtblaus Schlussfolgerung: „Der konventionelle Verbrennungsantrieb steht also nicht vor dem Aus, sondern es wird eine sehr lange Anpassungszeit mit relativ hohen Marktanteilen geben.“ Wovon das Autoland Bayern entsprechend profitieren wird: mit weiteren Absatzsteigerungen und weiter wachsender Beschäftigung.

Autonomes Fahren

Bis 2030. Dann setzt eine Trendwende ein, befeuert durch (mancherorts erzwungene) Elektromobilität und womöglich noch mehr durch autonomes Fahren. In seiner Studie über „Zukünftige Herausforderungen für die bayerische Automobilindustrie“ sieht Dudenhöffer ab 2030 bis dato wachsende Märkte stagnieren und gesättigte Märkte schrumpfen.

Das autonome Fahren wird bei seiner Marktdurchdringung für viele Menschen das eigene Auto überflüssig machen.

Ferdinand Dudenhöffer, Universität Duisburg-Essen

Der Automobil-Experte macht allein für Deutschland eine spannende Rechnung auf: In den 20 größten deutschen Städte mit insgesamt 15 Millionen Einwohnern sind heute etwa 7,5 Millionen Fahrzeuge zugelassen. Wenn im Jahr 2030 dort ein autonom fahrendes Fahrzeug per Car Sharing zehn normale Pkws ersetzte, blieben 750.000 Fahrzeuge übrig. Dudenhöffer: „Das heißt, dass es in Deutschland 6,75 Millionen weniger Fahrzeuge geben wird, was ca. 15 Prozent des Fahrzeugbestands im Jahr 2030 ausmacht.“

Problem für die Zulieferer

Was bedeutet das für den Automobilstandort Bayern? Die Automobilhersteller werden in jedem Fall liefern: Hybridfahrzeuge, Elektroautos, immer autonomer fahrende Autos. In einer schwierigen Lage sind dagegen womöglich schon in wenigen Jahren die Zulieferer. Sie sollen weiter für den Verbrenner produzieren. Aber gleichzeitig sollen sie auch umstellen auf Technologien und Komponenten für Elektromobilität und autonomes Fahren. Ein Problem, sagt Dudenhöfer: „Sie müssen investieren, ohne aktuell schon einen großen Mehrwert aus der Investition generieren zu können.“ Weil Elektrofahrzeuge eben noch sehr wenig nachgefragt werden.

Der Druck des Wandels hin zur Elektromobilität wird von den Herstellern direkt an die Automobilzulieferer weitergegeben.

Ferdinand Dudenhöffer

Aber die Trendwende wird unerbittlich sein. Dudenhöffer errechnet für die Zulieferer im Jahr 2040 Umsatzverluste von bis zu 50 Milliarden Euro – wenn sie nicht rechtzeitig transformieren und weiter nur für die Verbrenner produzieren. Was dann auch zu Arbeitsplatzverlusten in fünfstelliger Höhe führen würde.

Bayern gut aufgestellt

Dazu muss es nicht kommen, beruhigt das IW in Köln. Denn Bayerns Automobilindustrie startet von einer günstigen Ausgangslage aus in den großen Strukturwandel: Bayern ist genau auf denjenigen Feldern stark, in denen weltweit mit überdurchschnittlichem Wachstum zu rechnen ist – etwa in Elektro- und Hybridantrieben, Automatisierung und Vernetzung. Dafür hat Bayerns Automobilindustrie just dort relativ niedrige Umsatzanteile, wo die Wachstumsaussichten weniger gut sind – bei den konventionellen Antrieben, die bayerische Hersteller gerne in Werken im Ausland fertigen lassen.

Die bayerische Automobilindustrie hat im weltweiten Vergleich einen Strukturvorteil, den es allerdings zu nutzen gilt.

Bertram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer

In Bayern entfallen 21,3 Prozent der Produktionswerte des gesamten Auto-Clusters auf konventionelle Antriebe – weltweit sind es 25,8 Prozent. 3,5 Prozent des Marktvolumens sind den Elektroantrieben zuzurechnen – global sind es nur 1,6 Prozent. Auf die Automatisierung entfallen 4 Prozent, und auf die Vernetzung 4,4 Prozent der Volumen. Weltweit liegen die Vergleichswerte bei 2,0 und 1,9 Prozent.

Problemfeld: Batterietechnologie

Starken Nachholbedarf hat Bayern allerdings bei jener Technologie mit dem absolut größten Wachstumspotential: Batterien. Dudenhöffer sieht die Wertschöpfung in der automobilen Batterietechnologie bis zum Jahr 2040 weltweit auf 860 Milliarden Euro wachsen. Die soll nicht Asien oder asiatischen Konzernen überlassen werden. Dudenhöffer rät darum zu Investitionen vor allem in die Herstellung von Batteriematerialien, weniger in die Zellenfertigung: „In die Forschung auf diesen Gebieten sollte besonders investiert werden.“ Ansonsten werde ein Großteil der Wertschöpfung des Autos der Zukunft in Asien beziehungsweise von asiatischen Konzernen erbracht werden.

Gefordert ist auch die Politik. Sie muss die „Rahmenbedingungen für  unsere Leitindustrie schaffen, die möglichst alle Unternehmen im Wandel mitnehmen“, betont vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Das gehe „vom innovationsfreundlichen Rechtsrahmen für autonomes Fahren über eine Förderung der Erforschung und Entwicklung von neuen Antriebstechnologien bis zum Verzicht auf eine überschießende Klimaschutzregulierung in Berlin und Brüssel.“

Faktor Kunde

Wenig berücksichtig ist in den Kalkulationen beider Studien ein womöglich nicht völlig unwichtiger Faktor: der Kunde und Käufer. Ab 2022 würden die Elektroautos billiger, meint Dudenhöffer. Dagegen spricht jahrzehntelange Erfahrung: Autos wurden noch nie billiger, immer nur teurer. „Die Systeme werden teurer, die Fahrzeuge werden wertiger“, sagt denn auch Florian Herrmann, Ko-Autor der IW-Studie, mit Blick auf immer autonomer fahrende Elektrofahrzeuge.

Die Systeme werden teurer, die Fahrzeuge werden wertiger.

Florian Herrmann, Fraunhofer IAO, Stuttgart

Was bedeutet: Die Kunden sollen also doppelt oder dreimal so hohe Preise zahlen für Elektro-Autos, die noch lange weniger gut fahren werden als ihre alten Verbrenner. Ob das funktioniert, muss sich zeigen.