Strengste Ausgabendisziplin
Deutschlands Staatsfinanzen sind in guter Verfassung. Aber schon mittelfristig gibt es Grund zur Sorge: Zinsen und Ausgaben werden steigen, Einnahmen sinken. Ex-Finanzminister Theo Waigel rät darum eindringlich zu solider Haushaltsführung.
Finanzpolitik

Strengste Ausgabendisziplin

Deutschlands Staatsfinanzen sind in guter Verfassung. Aber schon mittelfristig gibt es Grund zur Sorge: Zinsen und Ausgaben werden steigen, Einnahmen sinken. Ex-Finanzminister Theo Waigel rät darum eindringlich zu solider Haushaltsführung.

„Die durch Sonderfaktoren erzielten Haushaltsüberschüsse sollten auf keinen Fall für permanente Ausgabenerhöhungen verwendet werden.“ Das ist der wichtigste Satz in einer klugen Rede über „Finanzpolitik mit Perspektive“, die der Finanzminister der Wiedervereinigung, Theo Waigel, vor der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft gehalten hat. Denn Deutschlands Finanzlage ist derzeit zwar gut, wirklich gut. Aber schon mittelfristig gibt es Grund zur Sorge, warnt Waigel.

Auf dem Weg zur Maastricht-Grenze

Zunächst die gute Nachricht: 2016 hat Deutschland zum dritten Mal in Folge einen Haushaltsüberschuss erzielt, dieses Mal ein Plus von 23,7 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Was dazu geführt hat, dass die Staatsverschuldung seit 2010 von über 80 auf heute 68,3 Prozent gesunken ist. Das ist nicht mehr weit weg von den 60 Prozent, die der Maastrichter Vertrag den Euro-Ländern als Grenzwert vorschreibt. Nach der Planung der Bundesregierung soll Deutschlands Staatsverschuldung Ende 2020 wieder unter die Maastricht-Grenze fallen.

Der deutsche Staat dürfte zwischen 2008 und 2016 fast 260 Milliarden Euro an Zinsen eingespart haben.

Theo Waigel

Zurückzuführen ist die schöne Entwicklung „auf eine boomende Wirtschaft, niedrige Zinsen und eine demographische Atempause“, so Waigel. Durch die Niedrigzinspolitik der EZB hat der deutsche Staat seit 2008 etwa 260 Milliarden Euro an Zinsen eingespart. Allein 2016 waren es etwa 22 Milliarden oder 0,7 Prozent der BIP – fast das gesamte Haushaltsplus! Dazu kommen sprudelnde Steuereinnahmen: Dank der guten Konjunktur ist die Steuerquote seit 2010 von 20,6 auf heute 22,5 Prozent gewachsen. Die Einnahmen aus der Einkommensteuer sind seit 2005 um 84 Prozent gestiegen.

Belastungen in der Zukunft

Nun zu Waigels weniger guten Nachricht: „Die Zinsen werden wieder steigen, und eine alternde Gesellschaft wird die öffentlichen Finanzen ab Mitte der Zwanziger Jahre belasten, Steuern und Sozialbeiträge werden abnehmen.“ Schon heute beträgt Deutschlands „gesamte explizite und implizite Staatsverschuldung“ – also inklusive aller „heutigen Leistungszusagen des Staates unter anderem für Beamten-Pensionen und sozialen Sicherungsausgaben“ – nicht etwa 68,3 sondern beängstigende 161 Prozent. Langfristige Leistungszusagen der Gebietskörperschaften sind darin noch nicht enthalten.

Die Zinsen werden wieder steigen, Steuern und Sozialbeiträge werden abnehmen.

Theo Waigel

Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist schon heute defizitär: 2016 brauchte sie 82,6 Milliarden Euro an Finanzhilfen – aus einem Bundeshaushalt von 316,9 Milliarden Euro. Waigel: „Das ist fast ein Drittel der Jahresausgaben der gesetzlichen Rentenkasse“. 2018 werden diese Zuschüsse auf 94 Milliarden steigen und bis Ende 2021 auf 100 Milliarden. Bis 2060 könnten die mit der Alterung der Gesellschaft verbundenen Ausgaben von heute 25,8 auf 32,4 Prozent des BIP ansteigen. Waigel: „Das wären dann 60 Prozent der gesamtstaatlichen Ausgaben.“

Waigels „symmetrischer Dreiklang“

Was ist also zu tun, um die Gesundheit der deutschen Staatsfinanzen zu erhalten? Waigel rät dringend zu dem, was er den „symmetrischen Dreiklang der Finanzpolitik“ nennt. Erstens: Investitionen fördern und verstärken. Zweitens: Steuern senken. Drittens: Zukunftsrücklagen für die nächste Generation bilden.

Wachstumsfördernde Investitionen, „insbesondere in Bildung, Zukunftstechnologien und Infrastruktur sollten die erste Priorität besitzen“, um das durch die abnehmende Erwerbsbevölkerung sinkende Wachstumspotential zu kompensieren. Zudem sei „eine Steigerung der Erwerbsquote dringend notwendig“. Waigel weiter: „Darüber hinaus führt kein Weg daran vorbei, einen längeren Verbleib in der Erwerbstätigkeit zu fördern.“ Dazu könnten flexible Arbeitszeitmodelle einen Anreiz schaffen.

Zeit für Steuersenkungen

Zur Investitionsförderung gehört auch die Steuersenkung. In der Nullzinsphase, sagt Waigel, „finanzieren die Sparer die Finanzminister und sorgen für einen Rückgang der Verschuldung“. Waigel weiter: „Deshalb ist es auch an der Zeit, den Sparern und Geldanlegern von dem Geldsegen wieder etwas zurückzugeben“.

Bei der Lohn- und Einkommenssteuer ein jährliches Entlastungspotential von etwa 15 Milliarden Euro.

Theo Waigel

Ähnlich wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sieht Waigel „bei der Lohn- und Einkommenssteuer ein jährliches Entlastungspotential von etwa 15 Milliarden Euro.“  Dazu sollten kleine und mittlere Einkommen entlastet, die kalte Progression gemildert „und baldmöglichst der Solidaritätszuschlag stufenweise reduziert werden“.

Strengste Ausgabendisziplin

Im Zentrum einer „generationengerechten Finanzpolitik“ stehen für Waigel „Schuldentilgung, Rücklagenbildung und strukturelle Reformmaßnahmen im Sozialsystem“. Der ehemalige Finanzminister möchte dies „in einem Tilgungsplan zur Begrenzung der Zinslast für Deutschlands Staatsschulden festgeschrieben“ sehen.

Waigel schließt mit einer dringenden Ermahnung: „Auch in einer Zeit sprudelnder Steuereinnahmen sollte strengste Ausgabendisziplin und eine kluge Haushaltseffizienz stattfinden.“ Dass solch solide Finanzpolitik sogar in schwierigen Zeiten möglich ist, hat er selbst bewiesen: „In den schwierigen (Wiedervereinigungs-)Jahren  von 1991-1998 gelang es, das strukturelle Defizit von über 4 auf 0,5 Prozent zu senken.“