Harte Kartell-Vorwürfe
Haben deutsche Autobauer sich illegal abgesprochen? Diesen Vorwurf erhebt der Spiegel gegen mehrere Unternehmen. Die Aktien der Konzerne brechen nach der Berichterstattung ein. Klar ist: Die Aufklärung der Vorwürfe wird komplex und langwierig.
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Harte Kartell-Vorwürfe

Haben deutsche Autobauer sich illegal abgesprochen? Diesen Vorwurf erhebt der Spiegel gegen mehrere Unternehmen. Die Aktien der Konzerne brechen nach der Berichterstattung ein. Klar ist: Die Aufklärung der Vorwürfe wird komplex und langwierig.

Sind BMW, Daimler und der Volkswagen-Konzern nur zum Schein Wettbewerber und eigentlich ein großes Kartell? Der Verband der Automobilindustrie (VDA) warnte vor Vorverurteilungen. Die Autobranche steht bereits wegen der VW-Abgasaffäre und zu hoher Diesel-Emissionen unter Druck – nun könnten ihnen Milliardenstrafen drohen. Das belastet die Aktienkurse.

Die Anleger reagierten auf jüngste Veröffentlichungen des Spiegel mehr als verschreckt, berichtet der Münchner Merkur am Dienstag auf seiner Webseite. Demnach verlor die im Dax notierte VW-Aktie seit der ersten Meldung über den Kartellverdacht acht Prozent. Das stehe für einen Wertverlust von 2,4 Milliarden Euro.

Der Münchner Merkur schlüsselte auf: Die VW-Stammaktien, über die die Großaktionäre ihre Beteiligung halten, verloren sogar drei Milliarden Euro an Wert. Mache bei Volkswagen einen Einbruch der Marktkapitalisierung um 5,4 Milliarden Euro an nur einem Wochenende. Nicht viel besser sehe es demnach bei den Konkurrenten aus. Die BMW-Stammaktien erlitten einen Wertverlust von 3,2 Milliarden Euro. Mit den Vorzugsaktien betrage er sogar 3,5 Milliarden Euro. Und bei Daimler seien es 4,3 Milliarden Euro.

Woher rührt der Einbruch?

Nach den Kartellvorwürfen gegen die deutsche Autoindustrie übernehmen die Wettbewerbshüter der EU-Kommission die Federführung bei der Aufklärung. Das teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Die Untersuchung sei aber komplex und langwierig.

„Wenn die EU-Kommission einen begründeten Verdacht entwickelt, schickt sie den Unternehmen die konkreten Vorwürfe zu“, sagte ein Sprecher in Brüssel der Deutschen Presseagentur (dpa).

Noch mehr Druck auf die Branche

Der weltweit größte Autobauer Volkswagen rief seine Aufsichtsräte zu einer Sondersitzung am Mittwoch zusammen. Das Bundeskartellamt erklärte, es führe kein Verfahren. Aber es lägen „Informationen“ zu möglichen Absprachen im technischen Bereich vor. Auch die EU-Kommission habe Einblick.

Der Spiegel hatte über ein seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich über Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Diesel-Abgasen abgesprochen. Danach sollen sie sich auch verständigt haben, kleinere, billigere Tanks für Harnstoff (AdBlue) einzubauen, der gefährliche Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Vor einem Jahr sollen der Volkswagen-Konzern und Daimler Selbstanzeigen bei den Wettbewerbsbehörden erstattet haben.

Verfahren laufen

Das Bundeskartellamt hatte just vor einem Jahr mehrere Autohersteller und Zulieferer wegen möglicher Absprachen beim Einkauf von Stahl durchsucht. Hierzu laufe ein Verfahren, teilte es in Bonn mit.

Die stellvertretende Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland, Sylvia Schwab, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Grundsätzlich ist es ja üblich, dass sich Unternehmen in Verbänden zusammensetzen und gemeinsame Interessen und Vorhaben besprechen.“ Problematisch werde es erst, wenn das den technischen Fortschritt behindere, nicht fair und transparent zugehe und den Kunden schade.

Langwierige Prüfungen

Laut VDA prüfen die Behörden jetzt, „ob und in welchem Umfang die Abstimmung zwischen den Herstellern rechtlich zulässig war oder nicht“. Schon das Ausnutzen von Grauzonen wäre inakzeptabel. Aber „der Stand des Verfahrens legt es gleichzeitig nahe, mit Vorverurteilungen zurückhaltend umzugehen. Standardisierungs- und Normierungsaktivitäten sind pauschal weder schädlich noch illegal.“ Vor einigen Monaten hätten die Autokonzerne den Verband gebeten, „Entwicklungs-, Normungs- und Standardisierungsthemen in den VDA zu integrieren“, um „bisherige herstellereigene Strukturen aufzulösen“.

Einen Feldzug gegen die Automobilindustrie lasse ich nicht zu.

Horst Seehofer

Unionsfraktionschef Volker Kauder rief die Autokonzerne auf, „reinen Tisch“ zu machen. Sollten sich die Kartellverstöße bewahrheiten, wofür vieles spreche, „muss man schon den klaren Satz sagen: Recht und Gesetz gelten auch für die Auto-Industrie“, sagte der CDU-Politiker im ARD-Morgenmagazin. Auch CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer bezog Stellung: Fehler der Autoindustrie müsse diese bezahlen und nicht der Kunde, sowohl bei der Abgasaffäre, als auch bei möglichen Kartellverstößen. Aber die Autoindustrie sei ein Rückgrat der bayerischen Wirtschaft, mahnte Seehofer am Wochenende beim Bezirksparteitag in Oberbayern. „Einen Feldzug gegen die Automobilindustrie lasse ich nicht zu.“ Sowohl Wirtschafts- als auch Verkehrsministerium gaben an, erst am Freitag aus den Medien von dem Thema erfahren zu haben.

Bei Vorwürfen hofft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt auf mögliche Erkenntnisse der EU-Kommission. Er habe bei EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager per Brief angefragt, welche Art von Informationen sie in Zusammenhang mit dem geplanten Diesel-Gipfel mitteilen könne, sagte der CSU-Politiker am Dienstag in Berlin.

Autobauer wehren sich

Daimler hatte von „Spekulationen“, VW-Chef Matthias Müller in der Rheinischen Post von „Sachverhaltsvermutungen“ gesprochen. BMW äußerte sich nicht zum Kartellvorwurf, stellte nur bezüglich der Abgasaffäre klar: „Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Euro-6-Diesel-Fahrzeugen der BMW Group erfolgt, weist das Unternehmen entschieden zurück.“

Der BMW-Betriebsrat erklärte, er gehe davon aus, dass sich das Management bei allen Entscheidungen an Recht und Gesetz gehalten habe. Der Betriebsrat erwarte umfassende Information. Auch die Betriebsräte von Daimler und des VW-Konzerns forderten Aufklärung. „Arbeitsplätze dürfen nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden“, sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht.

Klagewelle könnte drohen

Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller rechnet wegen des möglichen Auto-Kartells mit einer Klagewelle. Zehntausende Autokäufer könnten Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen, wenn sie wegen Absprachen der Hersteller zu viel für ihre Fahrzeuge gezahlt hätten, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der Süddeutschen Zeitung.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) erwägt bereits Klagen gegen die Autokonzerne wegen möglicher Verstöße gegen Ad-hoc-Pflichten. Die Finanzaufsicht (Bafin) teilte mit: „Wir schauen uns den Sachverhalt derzeit an und entscheiden dann, wie wir weiter verfahren.“

(dpa)