Huawei tüfteln an einem Nett, das eine Reaktionszeit von weniger als einer Millisekunde möglich macht. (Bild: imago/science photo libary)
Kommunikation

Das Netz der Zukunft

Selbstfahrende Autos und ferngesteuerte Roboter: Voraussetzung dafür ist ein ultra-schneller, universeller Kommunikationsstandard. Der chinesische Technologiekonzern Huawei arbeitet daran – unter anderem in seinem Europäischen Forschungszentrum in München.

Das weiße Fahrzeug unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von einem herkömmlichen Auto. Doch dann stechen die beiden knapp ein Meter langen Antennen ins Auge. Wie zwei Fühler ragen sie vom Dach in den Himmel. Daneben steht ein weiteres Fahrzeug, ebenfalls mit Antenne und Computern sowie Monitoren im Inneren ausgestattet. Wenn die beiden Autos durch die Straßen von München rollen, kann Joseph Eichinger auf dem Bildschirm in seinem Labor jedes ihrer Manöver verfolgen.

Eichinger ist einer von 500 Mitarbeitern des chinesischen Technologie- und Telekommunikationskonzerns Huawei in München. „Huawei“ bedeutet auf Deutsch „China kann was“. Der Konzern, der Mitte der Achtzigerjahre von dem früheren Armeegeneral Ren Zhengfei gegründet wurde, zählt neben Ericsson und Nokia zu den größten Netzwerkausrüstern der Welt. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung nutzt Infrastruktur des Telekomriesens. Auch große Teile des Datenverkehrs in Bayern laufen über Infrastruktur aus China. In der bayerischen Landeshauptstadt unterhält das Unternehmen aus Shenzhen den Hauptsitz seines Europäischen Forschungszentrums (ERC), das insgesamt 18 Einrichtungen in ganz Europa umfasst. München ist der größte Standort.

Huawei bedeutet auf Deutsch: China kann was.

Zu Eichingers Arbeitsschwerpunkten gehört die Kommunikation von Auto-Bordcomputern. Um zu verdeutlichen, worum es geht, zeigt er ein simuliertes Not-Manöver im Verkehr: Ein Kind rennt auf die Straße, das kleine Auto auf dem Bildschirm weicht automatisch aus. Doch was passiert mit dem nachfolgenden Fahrzeug oder denen auf der Nebenspur? Erhalten sie die Informationen über das Manöver zu spät, krachen die Fahrzeuge ineinander. Sollte der Traum von selbstfahrenden Autos auf unseren Straßen einmal Realität werden, dann brauchen die elektronischen Gehirne der Fahrzeuge permanent Unmengen an Informationen: Position, Streckenverlauf, Wetterlage und die Fahrmanöver anderer Autos müssen den Bordcomputer quasi in Echtzeit erreichen.

Etablierte Funksysteme sind dafür jedoch nicht wirklich geeignet. Sie sind auf Sprachübertragung ausgerichtet und leisten sich Verzögerungen von 20 bis zu 80 Millisekunden – zu viel für eine rechtzeitige Reaktion im Notfall. Technologiekonzerne wie Huawei tüfteln deshalb an einer Netz-Infrastruktur, die eine Reaktionszeit von weniger als einer Millisekunde möglich macht. An diesem neuen, 5G genannten Mobilfunknetz, arbeitet auch Eichinger. Er ist Chef der 5G-Forschungsgruppe von Huawei.

Die Zukunft heißt „5G“

Die Chinesen setzen bei der Entwicklung der neuen Telekommunikations-Technologie nicht nur auf ihre eigenen Simulationen und Algorithmen. Besonders wichtig ist ihnen die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, Instituten und Universitäten. So bekommen die Tüftler nicht nur Inspirationen. Sie verstehen auch, welche Dienste und Anwendungen die Industrie konkret braucht. Ende September hat Huawei deshalb gemeinsam mit Audi, BMW, Daimler, Ericsson, Intel, Nokia und Qualcomm einen Verein gegründet, die „5G Automotive Association“. Zusammen wollen die Firmen den 5G-Mobilfunkstandard voranbringen. Die neue Technik soll neben extrem niedrigen Verzögerungszeiten auch Übertragungsgeschwindigkeiten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde oder mehr möglich machen. Das wäre eine 30-fach höhere Datenrate als bei den heutigen LTE-Netzen. So könnte ein 5G-Smartphone mobil etwa 100 Mal schneller einen Film laden, als das derzeit über den leistungsfähigsten DSL-Anschluss möglich ist.

München ist durch die Nähe zu Autoherstellern, Instituten und Universitäten ein optimaler Standort für uns.

Walter Weigel, Huawei

Ein solcher Highspeed-Mobilstandard könnte in vier Jahren fertig für die Markteinführung sein, schätzt Walter Weigel, Vizepräsident der europäischen Forschung von Huawei. Bis dahin sind schätzungsweise bis zu 100 Milliarden Geräte – viermal mehr als derzeit – weltweit miteinander vernetzt. Der chinesische Mobilfunkausrüster hat den Trend zur mobilen Kommunikation bereits vor Jahren erkannt. Inzwischen ist Huawei im Heimatland China Marktführer bei Smartphones und hat zuletzt auch in Europa viele Kunden gewonnen. So liegt das Unternehmen beim Smartphone-Marktanteil weltweit inzwischen auf Rang drei, hinter Samsung und Apple. Doch die Smartphones sind eigentlich nur Mittel zum Zweck. Sie erhöhen nämlich die Chance darauf, dass Huawei den vom Konzern entwickelten Kommunikationsstandard auch weltweit etablieren kann.

Kontakte sind wichtiger als Geld

„Wir untersuchen hier 5G im Hinblick auf Automotive, E-Health und Industrie 4.0. München ist durch die Nähe zu Autoherstellern, Instituten und Universitäten ein optimaler Standort für uns“, sagt Chef-Entwickler Weigel. Eine finanzielle Unterstützung vom Freistaat lehnte das Unternehmen bei seiner Ansiedlung ab.

Viel wichtiger sind den Chinesen die Kontakte zu bayerischen Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um etablierte Großkonzerne, sondern auch kleinere Unternehmen aus der Region. „Es hilft uns sehr, wenn wir mithilfe der Bayerischen Staatskanzlei mit Industrieunternehmen zusammen gebracht werden“, sagt der Vizepräsident. Denn mehrheitlich werde die Forschung bei Huawei vom Geschäft getrieben.

Dass die Kooperation mit der Politik am Standort München funktioniert, zeigen die Partnerschaften im Rahmen der innerstädtischen Testumgebung. Diese entwickelte der Konzern im Februar 2015 für verschiedene Anwendungsbereiche der fünften Stufe des Mobilfunks. Sowohl die Technische Universität München, der bayerische Netzbetreiber M-Net, als auch die Stadt und die Bayerische Staatsregierung beteiligen sich an der Forschungsarbeit. Auf Teststrecken und auf dem Universitätsgelände in Garching am Lehrstuhl für Robotik optimieren Wissenschaftler die Vernetzung von Prototypen. Am Klinikum rechts der Isar soll die 5G-Technologie bald auch im Bereich E-Health ausprobiert werden. Möglich werden könnten dadurch beispielsweise vom Chirurgen ferngesteuerte Operationen durch Roboter.

Ein Netz für alle Anwender

Im Unterschied zu anderen Technologiekonzernen experimentiert Huawei in Sachen Funk gleich in mehrere Richtungen. „Wer bei 5G als Lieferant erfolgreich sein will, muss Antennen beherrschen können“, sagt Stefan Feuchtinger, verantwortlich für den Bereich Antennenforschung bei Huawei. So kaufte sich das Unternehmen bereits vor zehn Jahren Antennentechnologie ein. In München arbeitet die Hälfte des 30-köpfigen Teams im Bereich Antenne an 5G. Sie testen beispielsweise, wie sich Funkenergie einsparen lässt. Inzwischen beliefert der Konzern ein Viertel des Weltmarktes mit Mobilfunkantennen. Der größte Konkurrent hat seinen Hauptsitz gleich um die Ecke: Kathrein in Rosenheim.

Eine weitere Innovation, die noch in den Kinderschuhen steckt, betreut Artur Hecker, Direktor Netzwerktechnologien der Zukunft. Derzeit gibt es für verschiedene Anwendungen eigene Kommunikationsnetze, etwa für Energieversorger oder Mobilfunkanbieter. Dabei bauen alle Netze auf speziellen Technologien auf. Hecker arbeitet mit seinem Team an einer Software für 5G-Netzwerke. Damit sollen innerhalb des Netzes verschiedene Dienste konfiguriert werden können. Autohersteller vernetzen ihre Autos, Energieversorger übermitteln Daten aus Stromzählern – alles über die gleiche Infrastruktur. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern auch Geld. Denn wer geringere Datenmengen übermittelt und nicht auf ultraschnelle Reaktionszeiten angewiesen ist, soll auch weniger zahlen müssen. Hauptsache, er bleibt mit seinen Daten im Netz von Huawei.

Huawei setzt auf Forschung

Hauptsitz des Unternehmens ist die Millionenstadt Shenzhen im Süden Chinas. Das einstige Fischerdorf Shenzhen, in unmittelbarer Nachbarschaft Hongkongs gelegen, gilt als Startpunkt des chinesischen Wirtschaftswunders. Ministerpräsident Horst Seehofer besuchte den Standort im November 2014 anlässlich seiner China-Reise. Zwei Monate später wurde die Testumgebung in München aufgebaut. Huawei ist in mehr als 170 Ländern aktiv, seit 2001 in Deutschland, und beschäftigt weltweit mehr als 170.000 Mitarbeiter. Knapp die Hälfte von ihnen arbeitet im Bereich Forschung und Entwicklung. Die 18 Forschungseinrichtungen – die größte unter ihnen ist München mit knapp 500 Mitarbeitern – verteilen sich auf acht europäische Länder. Dort arbeiten 1900 Wissenschaftler.