Die Karosserien werden im Audiwerk montiert - wird Fließband bald Vergangenheit? (Bild: Imago/Sven Simon)
Automobilindustrie

Autos wie Maßanzüge

Montageinseln statt Fließband. Damit will Audi-Vorstand Hubert Waltl die Industrie revolutionieren. Die modulare Fertigung soll nicht nur Geld sparen, sondern auch den Mitarbeitern zugutekommen.

Henry Ford war gestern. Adieu Fließband? Wenn es nach Audi-Vorstand Hubert Waltl geht, sollen Autos bereits auf dem Weg durch die Fabrik digital vernetzt und autonom unterwegs sein. Denn nur mit immer gleichen Produkten ergebe Fließband-Fertigung Sinn, rechtfertigt Waltl seine Vision.

Nur mit dem einen, immer gleichen Produkt ergab die Fließband-Fertigung vor 100 Jahren Sinn.

Hubert Waltl, Audi-Vorstand

Heute wollen Kunden genau das Gegenteil: Jeder Audi solle so einzigartig sein wie ein Maßanzug, sagt Waltl. So bieten die Autobauer immer mehr Modelle, Motoren, Varianten und Ausstattungen an. In der Oberklasse laufen quasi keine identischen Fahrzeuge mehr vom Band. Beim 7er BMW gibt es inzwischen zehn Millionen Möglichkeiten.

Montageinseln statt Fließband

Fehlt aber das richtige Bauteil am Band, fällt eine Maschine aus oder muss die Linie für eine neue Modellvariante umgebaut werden, dann stehe gleich die ganze Produktion still, sagt Christoph Stürmer von der Unternehmensberatung PwC. Waltls neuer Ansatz sei deshalb „beeindruckend und zukunftsweisend“.

Im Audi-Werk in Ingolstadt soll es künftig statt Fließband 200 Montageinseln geben. Die Karosserie wird von Robotern auf einen Transportwagen gepackt, der sich selbst seinen Weg zu den verschiedenen Inseln sucht. An der einen Station sollen Türdichtungen angebracht werden, an der anderen wird die Antenne angeschraubt. Es gibt keine vorgegebene Reihenfolge mehr, keinen immer gleichen Takt, in dem sich die Autos auf einem Fließband vorwärts bewegen.

Smarte Steuerung der Karossen

Die vernetzten Fahrzeuge funktionieren dabei wie Kunden vor den Kassen im Supermarkt. Sie steuern die kürzesten Warteschlangen an. So sollen auch die Karossen immer dort hinfahren, wo die Auslastung gerade niedrig ist. Und anders als auf dem Fließband durchfährt das Fahrzeug auch nicht mehr jede Station. Hat der Kunde in Afrika beispielsweise die Sitzheizung abbestellt, umfährt das Fahrzeug die Einbaustation.

Am Ende des Tages haben wir mehr Fahrzeuge produziert.

Fabian Rusitschka, Audi

Die Türdichtungen sind im Zweitürer schneller montiert als im Viertürer. „Das Fahrzeug verlässt die Station also schneller, die gesamte Auslastung wird höher – am Ende des Tages haben wir mehr Fahrzeuge produziert“, sagt Ingenieur und Innovationsmanager Fabian Rusitschka. Seit Anfang dieses Jahres entwickelt er die Methode der modularen Fertigung in einem Start-up mit dem Namen Arculus, an dem Audi beteiligt ist. Beim Bau des Sportwagens R8 in Neckarsulm hat diese Art der Montage das Fließband schon abgelöst, als nächstes soll sie im ungarischen Motorenwerk Györ getestet werden und eine Vormontage in Ingolstadt folgen.

Weniger Stress durch Montage-System

Audi-Vorstand Waltl rechnet mit einem Effizienzgewinn von etwa 20 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre. Für die Mitarbeiter bedeute das innovative Montage-System weniger Stress. An manchen Bändern im VW-Konzern werde ein 60-Sekunden-Takt gefahren. Auf der Montageinsel aber können auch ältere und behinderte Mitarbeiter mithalten. Der Druck sei geringer, andere aufzuhalten oder gar einen Bandstopp zu verursachen. „Psychologen sagen, das ist positiv für die Gesundheit der Mitarbeiter“, sagt Rusitschka. Ziel sei nicht, die Zahl der Mitarbeiter zu reduzieren, sondern sie zu entlasten.

Schachspiel der Computer

Die größte Herausforderung sei es dabei, Herr über das Wirrwarr von möglichen Wegen zu werden. Verschiedene Wege, wie jedes Fahrzeug auf dem effizientesten Weg durch die Produktion geschleust werde, erklärt der Ingenieur. „Das Verkehrsaufkommen zu organisieren, ist wie ein Schachspiel“, sagt Rusitschka der Frankfurter Allgemeinen. Zuständig für die Schachzüge sind allerdings nicht Menschen, sondern lernende Computer. Die Programmierung übernehmen die Mitarbeiter von Arculus. Die Gründer des Start-ups hoffen, dass sich die modulare Fertigung in Zukunft nicht nur an Audi verkaufen lässt, sondern dass auch andere Autohersteller und Unternehmen anderer Branchen aufspringen.

Das Montagesystem ist nicht das einzige Projekt, das die Automobilindustrie revolutionieren könnte. Roboterwagen transportieren schon heute Getriebelager zu den Produktionsstationen. Gabelstapler ohne Fahrer werden ab nächstem Jahr bei Audi erstmals eingesetzt, laut Frankfurter Allgemeinen. Sie sind zwar teurer in der Anschaffung, aber ihre Arbeit rechnet sich. Ohne Fahrer sind sie rund um die Uhr das ganze Jahr über einsatzbereit. Auch Drohnen testet Audi im Stammwerk Ingolstadt – im Notfall könnten sie kleinere Bauteile rasch an Ort und Stelle bringen. Denn auf dem Boden der Fabrikhalle herrscht bereits viel Verkehr. Bis wann die neuen Technologien in allen Werken implementiert sind, darauf will sich Waltl noch nicht festlegen. Aber in zehn Jahren sehe die Produktion völlig anders aus, prophezeit er.

Waren für die Masse

Bereits im späten 15. Jahrhundert wurden in Venedig Schiffe fließbandartig gefertigt. Anno 1913 mechanisierte Henry Ford das Prinzip und führte in seiner Autofabrik in Detroit das Fließband ein. Damit konnte er die Produktion verachtfachen und machte das Auto so erstmals auch für die Masse erschwinglich. Ohne diese revolutionäre Idee würden heute keine 90 Millionen Autos jährlich gebaut. Inzwischen arbeiten Roboter und Menschen in der Autoproduktion Hand in Hand. Geblieben ist bislang das Prinzip der immer gleichen Reihenfolge der einzelnen Arbeitsschritte, die im immer gleichen Tempo ausgeführt werden müssen. Das will der Ingolstädter Autohersteller Audi mit der sogenannten modularen Fertigung demnächst ändern.

 dpa/FAZ/AS