Dass der Mindestlohn bislang noch zu keinem massiven Stellenabbau führt, verdankt Deutschland nach Meinung des ifo Instituts „den vielfältigen alternativen Anpassungsreaktionen der Unternehmen und der guten konjunkturellen Arbeitsmarktlage“. Der flächendeckende Mindestlohn habe eine größere Reichweite entfaltet als im Vorfeld erwartet wurde, warnen die Experten der Dresdner Niederlassung des Münchner Wirtschaftsforschungs-Instituts. Diese Woche stellten sie die zentralen Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor. Sie beruhen auf dem ifo Konjunkturtest und einer gesonderten Betriebsbefragung in der gewerblichen Wirtschaft des Freistaates Sachsen.
Die Reichweite des Mindestlohns endet bereits heute nicht bei 8,50 Euro je Stunde. Der Kostendruck auf die Unternehmen dürfte demnach höher sein, als bislang in den maßgeblichen Schätzungen berücksichtigt wurde.
Michael Weber, Arbeitsmarktforscher beim ifo Institut
Diese Rechnung hatten die Genossen vor der Einführung des Mindestlohns offensichtlich nicht aufgemacht: Hebe ich den Lohn eines Mitarbeiters auf die gesetzlich vorgeschriebenen 8,50 Euro an, muss ich auch bei den Kollegen etwas drauflegen, die schon vor der Neuregelung mehr verdient hatten. Anderenfalls fühlen sie sich benachteiligt. Diese Annahme untermauert nun die Untersuchung des ifo Instituts: „Die Reichweite des Mindestlohns endet bereits heute nicht bei 8,50 Euro je Stunde. Der Kostendruck auf die Unternehmen dürfte demnach höher sein, als bislang in den maßgeblichen Schätzungen berücksichtigt wurde“, erläutert Michael Weber, Arbeitsmarktforscher in der Dresdner ifo Niederlassung.
Unternehmen haben Betroffenheit vom Mindestlohn unterschätzt
Viele Unternehmen sahen sich demnach genötigt, den Lohnabstand zwischen Hoch- und Geringqualifizierten auch nach der Einführung des Mindestlohns aufrechtzuerhalten. So habe in der Umfrage unter den gewerblichen Unternehmen Sachsens jeder dritte vom Mindestlohn betroffene Betrieb angegeben, auch Löhne oberhalb der Grenze von 8,50 Euro je Stunde „mindestlohnbedingt“ angehoben zu haben. Der ifo Konjunkturtest zeigte überdies, dass 13 Prozent der Ostdeutschen und sogar 17 Prozent der westdeutschen Unternehmen „die eigene Betroffenheit vom Mindestlohn vor der Einführung der Lohnuntergrenze unterschätzt haben“.
Firmen kürzen Arbeitszeiten und streichen Sonderzahlungen
Auf den Arbeitsmarkt hat das bekanntlich noch nicht durchgeschlagen, die Beschäftigten leiden dennoch: So erhöhten die Firmen laut ifo nicht nur ihre Preise und stellten Investitionen zurück, sie kürzten auch die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter oder strichen Sonderzahlungen. Und langfristig dürfte sich der Mindestlohn dann auch negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken: Bereits im ersten Jahr nach der Einführung seien „mindestlohnbedingte Rückgänge in der Einstellungsbereitschaft der Unternehmen zu beobachten“, heißt es aus Dresden. Am stärksten seien die „Beschäftigungswirkungen“ bei den Geringqualifizierten. Erhebliche Auswirkung hat die Mindestregelung bekanntlich auch auf Praktikanten. Für sie wird es immer schwerer, eine Stelle zu finden (der Bayernkurier berichtete).
SPD will Ausnahme für Langzeitarbeitslose streichen
Viele Geringqualifizierte sind bekanntlich auch Langzeitarbeitslose. Und die sieht die SPD mittlerweile mit dem bestehenden Mindestlohngesetz benachteiligt, weil ihnen in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung noch keine 8,50 Euro Stundenlohn bezahlt werden müssen. „Die Ausnahme vom Mindestlohn stigmatisiert Arbeitslose, wird in der Praxis kaum angewendet und verfehlt ihr Ziel, die Integration in das Erwerbsleben zu erleichtern“, erklärte dazu diese Woche die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Katja Mast. „Für uns ist daher klar, dass diese Regelung aus dem Gesetz gestrichen werden muss.“
Jobcenter wünschen sich Eingliederungszuschüsse
Bekanntlich wurden die Langzeitarbeitslosen vom Mindestlohn ausgenommen, damit sie leichter eine Beschäftigung finden. Die SPD beruft sich bei ihrer Forderung jetzt auf eine Studie des Forschungsinstituts IAB der Bundesagentur für Arbeit. Demnach habe die Ausnahmeregelung „bislang keine Wirkung auf dem deutschen Arbeitsmarkt entfaltet“. Sie werde nur in sehr geringem Umfang genutzt, und es gebe „keine Belege, dass Arbeitgeber aufgrund der Ausnahmeregelung verstärkt Langzeitarbeitslose unter Mindestlohn“ einstellen, heißt es. Die Jobcenter wünschen sich deshalb Eingliederungszuschüsse für Langzeitarbeitslose. Dabei übernimmt die Bundesagentur dann für bis zu zwölf Monate die Hälfte der Lohnkosten. Das halte man für ein „passgenaueres Förderinstrument“.