Was ist uns die Milch wert?
Erstmals liegt der Milchpreis unter 20 Cent. Zehntausende Bauern bangen um ihre Existenz. Beim "Milchgipfel" sollen Ende Mai Erzeuger, Molkereien und Händler an einen Tisch gebracht werden. Keine neue Milchquote, sondern ein Hilfspaket planen CDU und CSU. Auch Bürgschaften des Bundes für die Höfe soll es geben.
Landwirtschaft

Was ist uns die Milch wert?

Erstmals liegt der Milchpreis unter 20 Cent. Zehntausende Bauern bangen um ihre Existenz. Beim "Milchgipfel" sollen Ende Mai Erzeuger, Molkereien und Händler an einen Tisch gebracht werden. Keine neue Milchquote, sondern ein Hilfspaket planen CDU und CSU. Auch Bürgschaften des Bundes für die Höfe soll es geben.

Nur noch 18 bis 19 Cent bekommen Bauern von einigen Molkereien je Liter. Damit ist der Preis innerhalb weniger Wochen um weitere 30 Prozent gefallen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf Molkereivertreter berichtet. Im März hatten in Deutschland große Molkereien noch um die 24 Cent je Liter gezahlt. Die Überproduktion verursacht nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa einen Preissturz für frische Milch. Doch das Überangebot in der EU ist nur eine von vielen Ursachen für den Preissturz. Er ist auch in einer globalen Mehrproduktion, etwa in Neuseeland und Amerika, begründet.

Pleite für tausende Bauern

Die Lage der Milchbauern ist dramatisch. Nach Angaben des Alternativ-Bauernverbands (AbL) gaben in den vergangen Monaten 4000 Landwirte ihre Höfe auf. Etwa 75.000 Milchbauern gibt es hierzulande, etwa halb so viele wie noch vor zwanzig Jahren. Liegt der Milchpreis unterhalb von etwa 25 Cent für ältere Höfe und unter 30 Cent für Milchhöfe, die noch Kredite aus jüngeren Investitionen abzuzahlen haben, machen die Bauern mit der Milch Verlust.

Handel in der Verantwortung

Erst Anfang Mai hat der Discount-Marktführer Aldi die Preise für einen Liter frische Vollmilch von 59 auf 46 Cent heruntergesetzt – das hat Signalwirkung für den gesamten Handel. (Mehr dazu lesen Sie hier: „Abwarten und Milch trinken?“.) Die Erzeuger bekommen davon weniger als 30 Cent. Um kostendeckend wirtschaften zu können, müssten es nach eigener Darstellung aber 40 Cent sein. Als einzige Molkerei Deutschlands zahlt Berchtesgadener Land den Landwirten 38 Cent pro Liter Milch – der mit Abstand höchste Preis. Doch die 250 Millionen Liter Milch, die Berchtesgadener Land im Jahr verarbeitet, sind gerade mal 0,8 Prozent der Milch, die in Deutschland produziert wird. Marktführer sind etwa 40 Mal größer.

Unsere Milchprodukte sind mindestens doppelt so teuer wie die beim Discounter. Wir können unseren Bauern die 38 Cent nur deshalb bezahlen, weil die Verbraucher sie schätzen und bereit sind, entsprechend viel für sie zu bezahlen.

Bernhard Pointner, Geschäftsführer Berchtesgadener Land

Wieder eine Milchquote?

Seit Monaten können Milchbauern staatliche Notkredite bekommen. Das hat die EU beschlossen. Die Hilfen waren eine Reaktion auf den ersten Preissturz infolge des Importboykotts Russlands. Vor etwa eineinhalb Jahren sackte der Preis für einen Liter Frischmilch von rund 40 auf 28 Cent ab. Finanzielle Hilfen sind den Landwirten natürlich willkommen, aber die Geister scheiden sich beim Thema Milchquote. Während der Deutsche Bauernverband (DBV) ihr nicht nachtrauert, verlangt der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), finanzielle Zuschüsse an eine Verringerung der Produktion zu koppeln. Die jahrelang praktizierte EU-Milchquotenregelung war im vergangenen Jahr ausgelaufen. Zuletzt konnten die Bauern so viel melken wie sie wollten.

Im März hatte die EU den Weg für freiwillige, zeitlich begrenzte Mengenreduzierungen in den EU-Staaten für Milchprodukte freigemacht. Produzenten können sich nun absprechen, ohne kartellrechtlich in Schwierigkeiten zu geraten. Der BDM kritisiert allerdings, dass diese freiwillige Mengendrosselung nur einen Flickenteppich ergebe.

Hilfspaket statt Quote

Eine neue Milchquote kommt für Agrarminister Christian Schmidt (CSU) nicht in Frage. Für die Reduzierung der Milchmenge setzt er auf Freiwilligkeit.

Die Milchkrise muss im Markt gelöst werden.

Christian Schmidt (CSU), Agrarminister

Schon jetzt greift der Bund Bauern in Not finanziell unter die Arme. So planen CDU und CSU ein Hilfspaket von „100 Millionen Euro plus X“. Details stehen noch nicht fest, im Gespräch sind aber Zuschüsse zur Unfallversicherung, Bürgschaften, damit Banken den Landwirten weiter Geld leihen, und Freibeträge zum Abbau von Schulden. Am 30. Mai lädt Minister Schmidt zum „Milchgipfel“ – dort will er Erzeuger, Molkereien und den Handel an einen Tisch bringen.

„Milchgipfel ist Zusammenkunft von Schulterklopfern“

Kritik kommt vom BDM: Die Landwirte hätten „keine Zeit mehr für eine weitere Gesprächsrunde“. Außerdem seien nur Teilnehmer auf der politischen Linie des Ministers eingeladen. Sein Verband, der Hilfszahlungen an eine Reduktion der Milchmenge koppeln will, sei dort nicht erwünscht.

Im Grunde sind alle relativ einer Meinung: Wir brauchen wieder ein paar Millionen Euro Hilfsgelder, aber an das eigentliche Problem, die Milchmenge, wollen wir nicht ran.

Hans Foldenauer, Verbandssprecher des BDM

Der Deutsche Bauernverband teilt die Meinung des Agrarministers:

Staatliche Mengenregulierungen sind nicht zielführend, da sie in offenen Märkten keine Wirkungen haben.

Joachim Rukwied, Präsident DBV

Auch auf EU-Ebene gibt es derzeit keine Mehrheit für stärkere Regulierungen. Deutschland und etliche andere Länder, vor allem in Mittel- und Nordeuropa, sehen darin vielmehr Rückschritte. Eine Reihe von Ländern habe außerdem noch nicht die vollen Beträge aus dem September-Hilfspaket abgerufen, heißt es in Brüssel. Bis zum Sommer ist nicht mit weiteren Entscheidungen zu rechnen. Erst soll beurteilt werden, wie die im März verabschiedeten Maßnahmen wirken. Ende Juni ist ein weiteres Treffen der EU-Landwirtschaftsminister geplant.

Grüne Landwirtschaft als Wettbewerbsvorteil

Bis Ende des Jahres will Schmidt zudem ein „Grünbuch“ ausarbeiten lassen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Es beinhaltet die Grundzüge seiner „marktorientierten“ Agrarpolitik. Deutsche Bauern hätten demnach drei Chancen, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten: Regionalisierung und Spezialisierung der Produkte sowie tierfreundliche Haltungsformen.

dpa/FAZ/AS