Nürnberg: Podium des CSU-Zukunftskongresses "Demokratie". V.l.n.r.: Wolfram Schaecke, Jan Fleischhauer, Markus Blume, Ursula Münch, Franz-Josef-Radermacher. (Foto: Wolfram Göll)
CSU-Grundsatzprogramm

Das Gemeinwesen neu denken

Was hält unser Gemeinwesen im Innersten zusammen? Wer trägt die Demokratie? Und: Welche Grundbedingungen müssen erfüllt sein, damit die Politik überhaupt noch über wichtige Fragen der Zukunft entscheiden und gleichzeitig möglichst viele Bürger in die Entscheidungsprozesse einbeziehen kann? Diese Frage diskutierte der CSU-Zukunftskongress in Nürnberg mit Forschern und Publizisten.

Unter dem Eindruck der islamistischen Terroranschläge von Paris hat der CSU-Zukunftskongress in Nürnberg über die Frage „Demokratie – Die Renaissance des Staates: Wie wir das Gemeinwesen neu denken können“ diskutiert. Eingangs bat der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Markus Blume, um eine Schweigeminute für die Opfer der islamistischen Anschläge. Bei der Planung der Veranstaltung habe sich niemand vorstellen können, wie radikal sich gerade an diesem Tag die Frage der Zukunft der Demorkatie stellen würde. „Das ein Anschlag nicht nur auf Frankreich, sondern auf uns alle“, so Blume. „Es ist wichtig, dass wir uns gerade heute klarmachen, dass wir unsere Werte nicht in Frage stellen lassen. Dass wir uns klarmachen, wofür wir in Europa stehen.“

Wo sind die Leitplanken für die Massenmedien, die selbst Politik machen wollen?

Folgendermaßen umriss Blume die Probemstellung des Kongresses: „Wir leben heute in einer informierten Gesellschaft. Alle wesentlichen Informationen sind ständig im Internet verfügbar. Trotzdem nehmen immer weniger Menschen aktiv am Gemeinwesen teil.“ Grundsätzlich stelle sich die Frage: „Was macht gute Partizipation aus?“ Viele Massenmedien hätten begonnen, selbst Politk machen zu wollen, so Blume. Das gehe über ihre klassische Rolle als vierte Macht im Staate weit hinaus. „Da müssen wir überlegen, wo die Leitplanken zu setzen sind“, so Blume.

Sind wir überhaupt ein Staat, wenn wir die Grenzen nicht schützen können?

In den Kommentaren der Massenmedien sei beispielsweise Anfang September jeder, der reale Probleme bei der Bewältigung der Masseneinwanderung artikuliert habe, in die rechtsradikale Ecke gestellt worden, kritisierte Blume. Mit Blick auf das Internet sagte er, in den neuen Medien, vor allem in den sozialen Netzwerken, fänden sich viele abstruse und absurde Thesen sowie Verschwörungstheorien. „Jeder Teilnehmer findet heute im Internet seinen eigenen Meinungskanal, wo er nicht mehr mit abweichenden Meinungen konfrontiert, sondern nur noch bestätigt wird“, so Blume.

Sind wir überhaupt noch ein Staat? Üben wir Staatsgewalt überhaupt noch aus? Brauchen wir einen stärkeren Staat?

Markus Blume

Es stelle sich auch die Frage nach Erosionsprozessen im Hinblick auf die Staatlichkeit an sich, so der Chef der Grundsatzkommission. Unter Anspielung auf Behauptungen, Deutschland könne seine 3700 Kilometer Außengrenze gar nicht schützen, fragte Blume rhetorisch: „Sind wir überhaupt noch ein Staat? Üben wir Staatsgewalt überhaupt noch aus? Brauchen wir einen stärkeren Staat?“ Der Staat müsse Stabilität geben und wehrhaft sein. Und er müsse gleichzeitig vom Gros der Bürgegesellschaft getragen werden. Churchill habe gesagt, Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen, aber er kenne keine bessere.

Offenheit als Stärke und Schwäche gleichzeitig

Die Offenheit der westlichen Gesellschaft sei auch auch ihr größtes Problem, sagte Prof. Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Sie mache anfällig für Terror und Störungen, wie man dieser Tage sehe. Die heutige Welt sei derart komplex, dass Politiker immer mehr Schwierigkeiten hätten, sich einen Überblick zu schaffen. Daher seien sie immer mehr angewiesen auf externe Expertise. „Das ist grundsätzlich einmal kein Problem, aber das schafft neue Abhängigkeiten. Und dadurch sinkt Autorität der politischen Akteure“, so Münch. Viele Bürger fragten sich daraufhin: „Warum wähle ich überhaupt, denn die Politiker können ja eh nichts mehr ändern.“

Die Politik darf aber auch keine falschen Erwartungen wecken.

Prof. Dr. Ursula Münch

Durch die Echtzeit-Überwachung der Politik durch das Internet stehe die Staatsgewalt viel stärker als früher unter Legitimationsdruck. „Die Regierung muss sich sehr gut überlegen, welche Instrumente sie einsetzt“, so Münch. Für die Partizipation der Bürger gebe es viele Möglichkeiten, viele davon hätten mit Information zu tun, allerdings ohne die Möglichkeit zu entscheiden. Vielfach zeige sich Partizipation erst im Protest gegen Infrastrukturmaßnahmen wie „Stuttgart 21“. Hier handle es sich häufig um die Angst, die Heimat zu verlieren, betonte Ursula Münch. Die Politik müsse sich sehr gut überlegen, wann und wie Bürger in Entscheidungs- und Diskussionsprozesse einbezogen werden sollten. „Die Politik darf aber auch keine falschen Erwartungen wecken“, warnte Münch.

Bürger und Nationalstaaten wollen keine Nachtwächter-EU

„Gute Partizipation darf die gesellschaftlichen Fliehkräfte auf keinen Fall noch weiter unterstützen, so dass die Gesellschaft noch weiter auseinanderstrebt“, forderte Ursula Münch. Als Lösung müsste die EU eigentlich deutlich stärker werden, vor allem mit Blick auf den Schutz der Außengrenzen und Verteidigung der Sicherheit. Aber das Problem dabei sei: „Weder die Bürger noch die Nationalstaaten wollen das.“

Außerdem funktioniere ein derartiges Modell, ein europäischer Nachtwächterstaat, nicht. Nur Sicherheitsaspekte zu betonen und den Rest den Nationalstaaten zu überlassen, könne nicht funktionieren. So sei die Flüchtlingskrise auch eine Kompetenz- und Verteilungskrise. „Die Standards zwischen den Mitgliedsstaaten klaffen zu weit auseinander, als dass es da eine gemeinsame Lösung geben könnte“, so Münch. Die Außengrenzen zu sichern bei gleichzeitiger Dezentralisierung im Innern, das werde schwierig.

Schnelle Hass-Postings an der Bushaltestelle

Der Spiegel-Kolumnist und Publizist Jan Fleischhauer berichtete, dass die Rückmeldungen des Publikums an die Massenmedien in Zeiten des Internets immer schärfer und radikaler würden. Wer früher einen Leserbrief geschrieben habe, der habe sich immerhin noch hinsetzen und ein wenig nachdenken müssen. Heute tippe mancher Internet-Nutzer voller Zorn an der Bushaltestelle rasch einige verletzende Worte in sein Smartphone und poste sie. Dabei bedenken viele nicht, dass auch diese Äußerungen dann im Internet weltweit verbreitet werden. „Die Kollegen von der Zeit haben das einmal umgedreht. Sie haben die Leute zurückgerufen und gefragt, ob denn das wirklich so gemeint sei. Die meisten waren zutiefst erschrocken. Da scheint sich eine Art von publizistischer Parallelwelt aufzutun“, so Fleischhauer.

Der Journalismus ist grosso modo nicht schlechter geworden.

Jan Fleischhauer, Publizist

Speziell bei Pegida in Dresden sei nur noch die Rede von der „Lügenpresse“, so Fleischhauer. Journalisten würden dort sogar tätlich angegriffen. „Ist der Journalismus tatsächlich schlechter geworden? Grosso modo: Nein“, so Fleischhauer. Große Medienhäuser wie FAZ oder Spiegel beschäftigten heute nicht weniger Leute als früher. Beispielsweise werde nach wie vor jeder Satz seiner eigenen Kolumne von den Kollegen im Archiv auf Richtigkeit abgeklopft, berichtete Fleischhauer.

„Medien machten schon in den 70er und 80er Jahren Politik“

Es sei auch nicht grundsätzlich so, dass Medien heute mehr Politik machten als früher. Fleischhauer erinnerte an die großen Auseinandersetzungen in den 1960er, 70er und 80er Jahren, gerade die „gewaltigen Kämpfe“ konservativer Politiker mit dem Spiegel. „Der Spiegel wollte 1980 mit allen Mitteln verhindern, dass Franz Josef Strauß Bundeskanzler wird“, so Fleischhauer. Und Bundeskanzler Helmut Kohl sei seinerzeit von der Übermacht der linken Medien auf alle möglich Weise verspottet worden – „in einem Ausmaß wie kein anderer Politiker je verspottet wurde“.

Die neuen Medien schüfen augenscheinlich auch eine neue Faktenbasis, so Fleischhauer. Wenn man in Sachsen herumfrage, warum dort so eine Abscheu gegen Moslems herrscht, obwohl doch dort prozentual viel weniger Moslems wohnen als etwa in Bayern, erhalte man etwa die Antwort, dies seien nur die offiziellen, geschönten Zahlen, und die Dunkelziffer sei erheblich. Mit der Quellenangabe „aus dem Netz“ könne man heute fast alles begründen. So habe einer seiner Gesprächspartner auf die Frage, woher er seine abstrusen Erkenntnisse über die Urheberschaft der Terroranschläge auf das Word Trade Center 2001 habe, geantwortet: „aus dem Netz“, berichtete Fleischhauer. „Das ist das Gegenteil der Habermas’schen Diskurs-Republik.“

Sind 0,058 Prozent jetzt schon die Mehrheit?

An dieser dramatischen Überbewertung von Äußerungen im Internet trügen die Massenmedien aber ihrerseits eine große Mitschuld. Jede Live-Sendung, schon beinah jede kleine Redaktion habe heute einen eigenen Web-Redakteur, der die Reaktionen im Netz zusammenfasse und als öffentliche Meinung wiedergebe. Kennzeichnend sei die Reaktion im Netzwerk Twitter auf die Merkel-Steinbrück-Debatte vor der Bundestagswahl 2013 gewesen. „175.000 Tweets wurden über diese Debatte abgesetzt. Ein Rekord, der rasch als öffentliche Meinung verkauft wurde“, so Fleischhauer.

Wenn sich heute 30 Leute zusammentun und im Internet lautstark krakeelen, können sie leicht einen Shitstorm auslösen.

Jan Fleischhauer, Publizist

Aber bei genauerem Hinschauen und Nachrechnen habe sich herausgestellt, dass die Anzahl derer, die sich da auf Twitter zu Wort gemeldet haben, nur genau 0,058 Prozent des Elektorats ausmache. „Wenn sich heute 30 Leute zusammentun und im Internet lautstark krakeelen, können sie leicht einen Shitstorm auslösen“, so Fleischhauer. So habe die an manchen Stellen reportierte „große öffentliche Empörung“ über Erika Steinbachs Tweet zum Tod Helmut Schmidts lediglich die Tweets von vier SPD-Abgeordneten als reale Grundlage gehabt.

„Vielleicht sind viele Leute auch so unzufrieden mit den Medien, weil sie zu viel ARD und ZDF schauen“, argwöhnte Fleischhauer. Konservative seien mit der FAZ und ihren Kommentaren zur Flüchtlingskrise in den letzten sechs Wochen gut bedient gewesen. Aber ARD und ZDF hätten sich als staatsnahe Wir-schaffen-das-Sender platziert. In jeder Talkshow gebe es genau einen Gast, der die CSU-Position vertrete, der Massenzuzug müsse begrenzt werden. „Auf den schlagen dann immer alle ein, alle Disputanten plus Moderator“, so Fleischhauer. Es sei kein Wunder, dass die Mehrheit der Bürger, die große Sorge habe angesichts der Masseneinwanderung, hier ein Störgefühl bekomme. „Und für das Staatsfernsehen werden wir Medien alle in Haft genommen“, so Fleischhauer. In den Zeitungen hingegen finde man alle Positionen. Etwa die Welt fahre seit vier bis sechs Wochen einen harten Anti-Merkel-Kurs. „Insgesamt ein relativ plurales Meinungsbild“, bilanzierte Fleischhauer.

Demokratie braucht gemeinsames Wohlstands- und Bildungsniveau

Die unkonventionellsten Positionen aller Disputanten bezog Prof. Franz-Josef Radermacher von der Universität Ulm. Er leitet das Institut für Datenbanken und Künstliche Intelligenz sowie das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung. „Demokratie kann nur funktionieren, wenn alle wesentlichen Fragen vorher geklärt sind“, so Radermacher. Man könne nicht ganz reiche und ganz arme Länder in einem Gemeinwesen zusammenkoppeln. Auch der Bildungsstand innerhalb eines Gemeinwesens müsse einigermaßen einheitlich sein.

Demokratie kann nur funktionieren, wenn alle wesentlichen Fragen vorher geklärt sind.

Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher

Radermacher formulierte eine seiner Thesen so: Die Gruppe, die das Eigentum kontrolliere, wolle die Demokratie immer so haben, dass ihre Machtposition und ihr Eigentum niemals wirklich in Frage gestellt werde. „Das wird der Mehrheit immer mehr bewusst. Daher kommt das Diktum: Ein Prozent gegen 99 Prozent“, so Radermacher. Die große Mehrheit der 99 Prozent werde zwar formal gefragt, aber könne nichts Wesentliches verändern. Der frühere US-Vizepräsident Al Gore habe die USA bereits als Plutokratie definiert, die einer Demokratie nicht mehr viel zu tun habe.

PC-Diktatur verbietet das Aussprechen der Wahrheit

Dazu komme die Ideologie der „political correctness“, die den Menschen verbiete, Dinge so zu bezeichnen, wie sie sie sehen. „Helmut Schmidts Beliebtheit hat viel damit zu tun, dass er Dinge ausgesprochen hat, die andere nicht mehr sagen durften“, so Radermacher. Viele Dinge würden in westlichen Medien nicht ausreichend thematisiert, beispielswiese der Landdiebstahl an den Palästinensern, die Ungerechtigkeit des militärischen Eingreifens im Irak auf Seiten der Schiiten und die daraus folgende Zurückdrängung der Sunniten. „Dass die radikalen Sunniten sich dann irgendwann zusammentun und zurückschlagen, und sei es mit Terror, konnte man doch eigentlich erwarten“, so Radermacher.

Ich habe Medien immer interessengesteuert aufgefasst.

Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher

Er drückte seine Verwunderung über die Naivität der in Deutschland weitverbreiteten Annahme aus, dass die Medien irgendwie objektiv sein könnten oder sollten. „Ich habe Medien immer interessengesteuert aufgefasst“, so der Ulmer Professor. In der Mathematik gebe es den „Satz vom Diktator“. Der besage – vereinfacht ausgedrückt –, dass die Interessen vieler Individuen logisch nicht zu einem einzigem Interesse einer Gemeinschaft zusammengefügt werden könnten, außer man wähle einen Diktator.

Wenn zehn Professoren drei Tage über einem Problem brüteten, kämen sie niemals auf einen gemeinsamen Nenner – nicht, weil sie sich nicht genügend einbrächten, sondern weil sie allesamt sehr unterschiedliche Positionen einnähmen, so Radermacher. „Und dieser Prozess wird umso schwieriger, je mehr Teilnehmer es gibt. Wenn zehn Professoren das nicht schaffen, wie sollen wir uns dann zu 80 Millionen einigen?“ Wenn sich immer noch mehr Leute in den Prozess einbrächten, werde dies immer schwerer. Man dürfe die Beteiligungsthematik im demokratischen Prozess nicht überfrachten.

Bürger durchschauen die Ohnmacht der Politik genau

Zu recht argwöhnten die Bürger, dass Regierung, Parlament, ja die ganze EU keinen Einfluss mehr auf die Klärung wichtiger Fragen haben, so der Ulmer Professor. Radermachers Beispiel: Deutschland als Exportweltmeister gäbe es nicht, wenn es nicht die multilateralen internationalen Verträge wie etwa die Welthandelsorganisation WTO und bald das TTIP mit den USA gebe.

Andererseits könne weder Deutschland noch die ganze EU verhindern, das in Europa Kleidung verkauft werden dürfe, die in Bangladesch von Kindern unter Bedingungen der Sklavenarbeit hergestellt wurde. „Wir dürfen wegen der WTO den Verkauf nicht stoppen. Die Bürger hassen dieses System.“ Weder Bundestag noch Bundesregierung noch die EU könnten daran etwas ändern, da man das auf WTO-Ebene unterschrieben habe. Ähnlich sei es mit der Bekämpfung der Steuerflucht multinationaler Konzerne wie Google und Facebook. Das sei auf Grundlage der geltenden internationalen Verträge sowie wegen mancher US-Gesetze nicht möglich.

Deutschland müsse einen Diskurs über die wirklich wichtigen Fragen führen, forderte Radermacher. Aber das sei nicht möglich, weil sich heute zu jedem Thema „hunderte, ja tausende kleiner Parallelwelten online“ bilden, das gebe ein „Riesen-Durcheinander“. Das nenne man „Framing der Debatte“. Etwa ein Prozent der Diskursteilnehmer wolle indes genau dies, um Lösungen zu verhindern.

Deutsche Politik kann etwas Wichtiges nur im Krisenmodus ändern

Radermacher riet der CSU, am Leitbild einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft festzuhalten. Die „Green and inclusive Economy“ sei seit der Finanzkrise auch der Standpunkt der OECD. Wer aber dieses Vokabular aus einer Machtposition heraus benutze, der wolle in Wirklichkeit genau das nicht, sondern der wolle Regeln, die seine Position nicht untergraben. „Dann wird Welt endgültig zur Zweiklassengesellschaft“, sagte der Professor.

Zwar leide Bayern unter dem überbordenden Finanzausgleich, aber dieser sei im Grundsatz schon nötig, so Radermacher: „Deutschland ist auch deshalb so ein gutes Land, weil wir Finanzausgleich haben. Sie können nicht auf der Spitze der Wohlstandspyramide sitzen und glauben, das bleibt schon alles so, wenn Sie den anderen nichts abgeben.“

Wir Bürger handeln auch erst, wenn der Bagger schon im Wohnzimmer steht.

Prof. Dr. Franz-Josef Radermacher

Ein große Problem sei, dass Deutschland nur im Krisenmodus etwas an seinen Regeln ändere. „Wir hätten sehr viel früher über sinnvolle Einwanderungs-Regelung diskutieren müssen, aber das können wir erst, wenn eine Krise da ist“, so Radermacher. Nur in der Krise könne der Staat handeln. „Wir Bürger handeln auch erst, wenn der Bagger schon im Wohnzimmer steht.“ Es sei sinnvoll von Kanzlerin Merkel gewesen, erst einmal eine positive Grundhaltung zu den Flüchtlingen einzunehmen und dann die Rechtsgrundlagen zu verändern. Letzteres wäre sonst nicht möglich gewesen, ohne international das Bild des „hässlichen Deutschen“ zu kreieren.

Radermacher nannte dies einen komplizierten Prozess: „Es gibt viele, die jetzt in ihrer Position überschäumen. Aber im Ergebnis wird das dann Veränderungen bewirken.“ Leider sei es so, dass es neben einigen Gewinnern der Flüchtlingskrise wie Immobilienunternehmern und Ruhestands-Beamten unstrittig einige Verlierer geben werde. „Die Leute am unteren Ende der sozialen Skala werden Nachteile haben“, so Radermacher: Auf dem Wohnungsmarkt, auf der Straße, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Sozialamt. „Die Leute, die nun in den Medien an den rechten Rand gestellt werden, haben vielfach einfach die Sorge, dass sie Verlierer sein werden. Und sie werden die Verlierer sein“, warnte Radermacher abschließend.