Beispiel für eine erfolgreiche Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes: die Passionsspiele Oberammergau. (Foto: imago / Rudolf Gigler)
Immaterielles Kulturerbe

Gemeinsames Ziel: erfolgreiche Bewerbung

Das Bayerische Kultusministerium informiert derzeit zusammen mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V. über die Aufnahme in die Liste „Immaterielles Kulturerbe“. Die Veranstaltung soll des gegenseitigen Austauschs mit Trägern jener Kulturrichtung dienen sowie Ratschläge für die Antragsstellung liefern.

Die weltweite kulturelle Vielfalt auf internationaler Ebene dokumentiert die UNESCO seit 2003 über die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“. Zum sogenannten „immateriellen Kulturerbe“ zählen darstellende Ausdrucksformen, Rituale, Feste, Wissen im Umgang mit der Natur und über traditionelle Handwerkstechniken. 2013 ist auch Deutschland dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes beigetreten. Auf nationaler Ebene wird seither der kulturelle Reichtum durch ein bundesweites Verzeichnis sichtbar gemacht. Dem haben sich die Bundesländer angeschlossen und dafür jeweils ein Landesverzeichnis auf den Weg gebracht, über dessen Instanz die bundesweite Aufnahme gehen muss.

Strenge Kriterien für die Aufnahme in die Verzeichnisse

Für die Bewerbung für das bayernweite Verzeichnis warben nun in der Landeshauptstadt München – rund drei Wochen nach Nürnberg – Vertreter des internationalen, nationalen sowie bayerischen Komitees für immaterielles Kulturerbe (IKE). Hintergrund der Veranstaltungen ist laut den Ausrichtern – dem Bayerischen Kultusministerium und dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V. – , über die Aufnahme von Trägern immateriellen Kulturerbes in jenes Verzeichnis zu informieren. Denn die Kriterien für die Aufnahme der jeweiligen kulturellen Ausdrucksformen seien – nach den Vorgaben des UNESCO-Übereinkommens – streng definiert, erklärte Elmar Walter, Mitglied des Expertenkomitees IKE der Deutschen UNESCO-Kommission.

Es geht beim immateriellen Kulturerbe um die konkrete praktizierte Ausdrucksform und ihre Bedeutung für die jeweiligen Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen.

UNESCO-Bestimmungen

So seien Voraussetzungen für die Verzeichnis-Aufnahme der jeweiligen in Frage kommenden kulturellen Ausdruckformen deren Kontinuität, deren gesellschaftliche Verankerung, ein breiter Kreis der Träger, die Praxis und Anwendung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und die Weitergabe von einer Generation zur nächsten. Überhaupt spielten beim immateriellen Kulturerbe die Menschen eine Schlüsselrolle, so Walter: „Es geht beim immateriellen Kulturerbe um die konkrete praktizierte Ausdrucksform und ihre Bedeutung für die jeweiligen Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen“, zitierte Walter die UNESCO-Bestimmungen.

Ausschlusskriterium: kommerzielle Seite

Ein Ausschlusskriterium sei die kommerzielle Seite, wenn diese zum Primärzweck werde, ergänzte Daniel Drascek, Vorsitzender des Bayerischen Expertenkomitees IKE. Eine religiöse Komponente sei dagegen an und für sich kein Ausschlusskriterium, sofern sie nicht „ausschließend“ sei, erklärte der Volkskunde-Professor weiter. Im Prinzip habe jede Gemeinschaft die Möglichkeit, ihre kulturelle Ausdrucksform in das Verzeichnis aufnehmen zu lassen, so Drascek. Für Drascek ist das UNESCO-Übereinkommen aus dem Jahr 2003 „ein großer Schritt – auch vor dem Hintergrund, dass wir uns in einem Zeitalter zunehmender Digitalisierung auf post-traditionelle Welten zubewegen“. Für ihn und sein Team seien daher alle Bewerbungen wertvoll und „spannend“, auch wenn er hinsichtlich der Bewerbung zugibt: „Es ist ein gewisser Aufwand; aber es ist ein machbarer Aufwand.“

Positives Beispiel: Passionsspiele Oberammergau

Als Beispiel für eine erfolgreiche Aufnahme nicht nur in die bayernweite, sondern auch in die bundesweite Liste nannte Walter die Oberammergauer Passionsspiele. Sie hätten alle Kriterien, auch die formalen, erfüllt. So repräsentieren sie, laut Walter, darstellende Künste, verweisen auf Oberammergau als Trägergemeinschaft und haben als Antragsteller die Gemeinde Oberammergau. Auch habe Oberammergau, so Walter, die kritischen Punkte, die in einem Antrag ebenfalls deutlich zu machen seien, zum Ausdruck gebracht, berichtete Walter. Im Fall von Oberammergau seien dies Antijudaismus, Nationalsozialismus, die Geburts- oder 20-Jahre-Wohnort-Regel und der Haar- und Barterlass gewesen. Genau jene problematischen Punkte gelte es – auch als Teil der eigenen geschichtlichen Aufarbeitung – explizit in einem Antrag zu thematisieren, ohne dass sie per se ein Ausschlusskriterium darstellten. Hinsichtlich einer Ablehnung eines Antrags wollte Walter verdeutlicht wissen: „Die Ablehnung eines Antrags ist nicht eine Ablehnung oder gar Be- oder Abwertung der zum Antrag gebrachten kulturellen Ausdrucksform, sondern lediglich des Antrags.“

Eigene Beratungsstelle in Bayern

Einen solchen Antrag auszufüllen, sei eben nicht ganz leicht, bestätigten alle anwesenden Experten. Daher habe das Bayerische Kultusministerium am 1. Februar diesen Jahres als eines der ersten und bislang einzigen Bundesländer eine eigene Beratungsstelle hierfür geschaffen, wie dessen Leiter Andreas Schmidt erklärte. Diese soll schon vor der Antragsstellung eine grundlegende Beratung geben beziehungsweise auf die Bezirksheimatpfleger für eine allererste Beratung verweisen. Außerdem könne die Beratungsstelle, so Schmidt, den Antragsprozess, falls gewünscht, begleiten und dabei auch eine Endkorrektur vornehmen. Was die Beratungsstelle jedoch nicht könne, sei, so Schmidt, bei der Themenfindung zu helfen. Außerdem müssten die Antragssteller schon in die Materie eingearbeitet und in der Lage sein, aufzeigen zu können, wo und welche Probleme es konkret beim Ausfüllen des Antrags gebe.

Komplex und zeitaufwendig, aber machbar

Dass die Antragsstellung nicht ganz unproblematisch sei – davon konnten die bereits erfolgreichen anwesenden Antragssteller ein Lied singen. Eine gesamte Arbeitswoche habe sein Verein dafür benötigt, den Antrag auszufüllen, erzählte Ernst Pöschl, 1. Vorsitzender des Vereins „Die Förderer“ e.V. zur Förderung der Landshuter Hochzeit. Dies in der doch verhältnismäßig kurzen Zeit, wie Pöschl zugab, bewerkstelligt zu haben, sei aber nur möglich gewesen, weil in seinem Verein ein Philosoph sei, der über die Landshuter Hochzeit als immaterielles Kulturerbe promoviert habe. Damit habe die gesamte Geschichte der Landshuter Hochzeit bereits aufgearbeitet vorgelegen. Andere Vereine und Verbände müssten dagegen erst noch ihre Geschichte aufarbeiten, wie sich bei der Diskussionsrunde zeigte und auch Schmidt wusste: So gebe es Vereine, denen drei oder vier Jahrzehnte Historie fehlten. Auf eine lückenlose Geschichte lege aber gerade Bayern viel wert, wusste Schmidt von dem bayerischen Expertenkomitee.

Realistisch sei daher ein viel größerer Bearbeitungszeitraum für die Antragsstellung, so Schmidt. Eines könne er aber hinsichtlich des zeitlichen Aufwands versichern: Wenn man jetzt mit der Bewerbung beginne, schaffe man es auf jeden Fall bis zum nächsten Bewerbungszeitraum 2017, der vermutlich wieder vom Frühsommer bis zum Herbst laufe. Und: Je eher die Anträge fertig seien, desto eher könne er sie auf Wunsch vor der Bewerbung durchsehen. Denn erfahrungsgemäß möchten alle Antragssteller kurz vor Abgabe ihres Antrags diesen prüfen lassen. In dieser Zeit könne er dann keinen Termin unter drei oder vier Wochen anbieten. Je eher man also mit dem Antrag beginne, desto besser, so Schmidt. Denn eines wusste Schmidt auch aus der Praxis zu berichten: „Wenn Sie einmal anfangen, in der Historie zu stochern, tun sich Fässer auf.“

Bislang 27 bundesweite Einträge

Doch das soll laut Schmidt niemanden von einer Bewerbung abhalten. Ganz im Gegenteil gelte es, das bayern- wie bundesweite Verzeichnis kontinuierlich zu erweitern. Man stehe noch am Anfang des Registrierens des immateriellen Kulturgutes. Erst 2013, dem Jahr des deutschen Anschlusses an das UNESCO-Übereinkommen, hatte die bundesweite Vereinigung zur Bewerbung aufgerufen.

Bis Ende November 2013 waren daraufhin nach Angaben des deutschen IKE-Komitees 128 Vorschläge in den 16 Bundesländern eingegangen. Dort war wiederum bis Mitte April 2014 eine Vorauswahl in Form von 83 Dossiers getroffen worden, die an das Expertenkomitee der Deutschen UNESCO-Kommission weitergeleitet wurde. Das Komitee nahm daraufhin wiederum eine fachliche Evaluierung vor und traf 27 Auswahlempfehlungen, die schließlich im Dezember 2014 durch die Kultusministerkonferenz und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien einvernehmlich bestätigt wurden. In den kommenden Jahren soll das Verzeichnis kontinuierlich erweitert werden.

Bewerbung für die Aufnahme in die Liste „Immaterielles Kulturerbe“:

  • Die Bewerbungsrunde findet immer im Zwei-Jahres-Turnus statt. Die aktuelle Bewerbungsrunde für die Aufnahme in das bayerische und das bundesweite Verzeichnis läuft noch bis zum 30. Oktober 2015. Die nächste Bewerbungsrunde wird in einem ähnlichen Zeitraum 2017 sein.
  • Nähere Informationen zur Bewerbung gibt es in Bayern bei der Beratungsstelle Immaterielles Kulturerbe, Ludwigstraße 23, 80593 München. Ansprechpartner ist Andreas Schmidt M.A.
  • Bis jetzt listet das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes 27 Einträge auf, darunter die sächsischen Knabenchöre, die schwäbisch-alemannische Fastnacht, den rheinischen Karneval, die Genossenschaftsidee, die deutsche Brotkultur, Orgelbau und -musik und das Reetdachdeckerhandwerk. Aufgelistete ausschließliche bayerische Phänomene sind die Passionsspiele in Oberammergau und die Lindenkirchweih in Limmersdorf. Eingang in das bayernweite Verzeichnis fanden zum Beispiel die Landshuter Hochzeit oder die Almwirtschaft im Allgäu.
  • Die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes ist, laut Deutsche UNESCO-Kommission, „eine öffentlich sichtbare Anerkennung der kulturellen Ausdrucksform und ihrer Träger“.