Freude am großen Thema: Die beiden Historiker Wolfgang Krieger (l.) und Horst Möller. Bild: HSS
Franz Josef Strauß

Der Blitzableiter der Republik

Horst Möller hat die erste echte Strauß-Biographie geschrieben. Mit seinem Historiker-Kollegen Wolfgang Krieger hat er bei der Hanns-Seidel-Stiftung einen spannend-unterhaltsamen Abend lang über Franz Josef Strauß und sein Buch gesprochen – und über angebliche Strauß-Skandale, die nie welche waren.

„Jetzt können wir alles andere zur Spiegel-Krise wegschmeißen. Lest den Möller, wirklich.“ Das war eine klare Ansage von Geschichtsprofessor Wolfgang Krieger im Gespräch mit Franz Josef Strauß-Biograph Horst Möller. Möller, ehemaliger Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, ist einer der renommiertesten – man darf auch sagen: einer der bedeutendsten – Historiker der Republik. Jetzt hat er die erste umfassende und eben wissenschaftliche Biographie über den großen CSU-Politiker vorgelegt.

In seinem 826 Seiten langen Opus magnum räumt Möller auf mit falschen Erinnerungsbildern und Verzerrungen aller Art. Dazu gehören die angeblichen Strauß-Skandale. Die Geschichten werden in den Medien unaufhörlich wiederholt. Aber wenn man genau hinschaut, und das hat Möller sehr intensiv getan, dann ist regelmäßig sehr wenig dran. In einem so faszinierenden wie locker-unterhaltsamen Historiker-Gespräch mit seinem Kollegen Krieger hat Möller in der Hanns-Seidel-Stiftung die angeblichen Strauß-Skandale denn auch schnell abgehandelt.

Affären, die gar keine waren

Der völlig untaugliche Schützenpanzer HS-30 ist tatsächlich nur nach Vorstellung eines Holzmodells bestellt worden – aber bevor Strauß am 16. Oktober 1956 Verteidigungsminister wurde.

Die sogenannte Fibag-Affäre um den Bau von mehreren Tausenden Wohnungen für Soldaten der US-Armee, war, so Möller „eine reine Luftnummer“. Anders als in der Presse behauptet wurde, hatte Strauß dem US-Verteidigungsminister die Firma Fibag nicht empfohlen, sondern lediglich gebeten, deren technische und finanzielle Kompetenz zu prüfen. Ein Untersuchungsausschuss kam denn auch zu dem Ergebnis, dass Strauß nichts vorzuwerfen war.

Strauß gehörte zu den wenigen, die nicht den Starfighter, sondern die französische Mirage wollten

Der Starfighter war tatsächlich eine bittere und teure Affäre für das Land, die noch dazu viele Leben kostete. Von 916 für die Bundeswehr beschafften Kampfflugzeugen vom Typ Lockheed F-104 Starfighter gingen 269 Maschinen durch Abstürze verloren, 116 Piloten kamen ums Leben. Nur: Strauß hatte daran keine Schuld. Als der Flieger für die Bundeswehr geordert wurde, war er zwar Verteidigungsminister. Aber zusammen mit Konrad Adenauer gehörte Strauß eben zu den wenigen, die nicht den Starfighter haben wollten, sondern das französische Konkurrenzmodell Dassault Mirage – schon um der deutsch-französischen Rüstungskooperation willen. Aber die gesamte Luftwaffenführung war wie ein Mann für den hypermodernen Superflieger F-104, ebenso wie die allermeisten Experten. Sogar die SPD-Zeitung Vorwärts schrieb begeistert über den Starfighter. Der  Verteidigungsausschuss stimmte mit 18:1 Stimmen für die Beschaffung des Starfighter – mit den Stimmen der SPD. Was später bestimmte Presseorgane nicht hinderte, aus dem Starfighter-Debakel eine Strauß-Affäre zu machen. Möller: „Eigentlich kann man erwarten, dass jemand der schreibt, bis 18 zählen kann.“ Von einem Alleingang von Verteidigungsminister Strauß, so Möller, konnte in der Starfighter-Geschichte wirklich keine Rede sein.

Spiegel-Affäre

Noch erschreckender war für Möller die Beschäftigung mit der angeblichen Spiegel-Affäre. Tatsächlich haben Historiker – Möller: „sogar solide Historiker“ – Strauß vorgeworfen, er habe die Verhaftung eines Spiegel-Journalisten in Spanien veranlasst. Schon Sozialkundegrundkenntnisse hätten klar machen müssen, dass das nicht sein konnte: Ein Verteidigungsminister kann keine Haftbefehle ausstellen, jedenfalls nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern nur ein Haftrichter. Allenfalls eine Kompetenzüberschreitung war Strauß vorzuwerfen: Er hatte den deutschen Militärattaché in Madrid angerufen, damit die Botschaft sich um die Verfolgung eines bereits vorliegenden Haftbefehls bemühte. Der Anruf wäre in Ordnung gewesen – nur hätte der für die Botschaften verantwortliche Außenminister ihn tätigen müssen. Möller: „Es ging um Amtshilfe zur Vollstreckung eines bereits vorliegenden Haftbefehls – mehr war nicht.“ Was das Magazin Spiegel und andere Presseorgane nicht davon abhielt, über die sogenannte Spiegel-Affäre in regelrechte Anti-Strauß-Hysterie zu verfallen.

Überhaupt der Spiegel. Das Magazin mit seiner fast schon hasserfüllten jahrzehntelangen Strauß-Kritik kommt bei Möller nicht gut weg. Offenbar ist das kritische Hamburger Magazin aber selber etwas kritikempfindlich: Es findet Möllers Buch so Spiegel-kritisch, dass es darüber lieber gar nichts sagen oder schreiben will. Möller erzählt, dass er aus Hamburg eine entsprechende Auskunft erhalten hat.

Anti-Strauß-Hass der FDP

Warum hat sich solche kontrafaktische Anti-Strauß-Propaganda solange gehalten? Wolfgang Krieger hat gestaunt, bei Möller zum ersten Mal zu lesen, welche große Rolle die FDP bei der Verfestigung des Hass-Bildes gegen Strauß offenbar gespielt hat. Krieger, selbst ein ausgewiesener Strauß-Kenner und Experte bundesrepublikanischer Zeitgeschichte, bot eine interessante Erklärung an: Die FDP hatte damals die meisten Abgeordneten mit NS-Vergangenheit und NS-Belastung im Bundestag sitzen. Und Strauß war im konservativen Lager einer derjenigen, die besonders nachdrücklich dafür eintraten, das NS-Thema nicht unter den Teppich zu kehren, sondern sich ihm zu stellen. Dass habe ihm den Hass früher FDP-Politiker eingetragen, überlegt Krieger: „Da sehe ich eine Verbindung“.

Die These ging dem Strauß-Biographen Möller etwas zu weit. Es sei zwar richtig, dass die FDP einen großen Anteil NS-Belasteter gehabt haben. Bundespräsident Theodor Heuss habe sogar einmal von der „Nazi-FDP in Nordrhein-Westfalen“ gesprochen. Das sei „ein hartes Wort gewesen und überzeichnet“, so Möller, und Heuss habe es auch nicht öffentlich gesagt.

Blitzableiter für alle Kritiker der Westintegration und der Wiederbewaffnung

Entscheidender für die Anti-Strauß-Wut gerade der FDP sei ein deutschlandpolitischer Konflikt gewesen. Die FDP pflegte die ersten anderthalb, zwei Jahrzehnte der Bundesrepublik eine neutralistische Deutschlandpolitik und präsentierte immer wieder Deutschlandpläne, die auf die Neutralisierung Deutschlands hinausliefen. Strauß dagegen war zusammen mit Adenauer der große Exponent der Westintegration der Bundesrepublik und der Wiederbewaffnung. Die FDP focht damals gegen die Wiederbewaffnung und beschimpfte Strauß als „Rüstungsminister“, warf ihm Aufrüstung vor. Möller: „Aber was hätte ein Verteidigungsminister in der Lage denn damals anderes tun sollen?“ Der deutschlandpolitische Streit wäre nicht so schlimm gewesen, so Möller, „wenn nicht Hass und Diffamierung dazugekommen wären“. Strauß war und blieb also, so fasste es Krieger zusammen, sozusagen der „Blitzableiter“ für alle Kritiker der Wiederbewaffnung.

Milliarden-Kredit

War der von Strauß ausgehandelte berühmte Milliarden-Kredit für Honecker eine Kehrtwende? Immerhin war Strauß zuvor der vehementeste Kritiker der sozialliberalen Ostpolitik gewesen. Wieder zerlegte Möller hartnäckige Mythen. Natürlich war Helmut Kohl, eben Kanzler geworden, über alles im Bilde. Das Ost-Berliner Anliegen war schon an die Regierung von Helmut Schmidt herangetragen worden. Kohl wollte sich nur darauf einlassen gegen klare Bedingungen und für offene Gegenleistungen der DDR-Führung. Aber Strauß erwies sich hier als der gewieftere Taktiker und Verhandlungsführer.

Die DDR muss von uns so abhängig werden, wie der Süchtige vom Heroin.

Franz Josef Strauß

Wenn Bonn Bedingungen diktierte, wusste er, käme man mit Ost-Berlin keinen Schritt weiter. Natürlich sollte Honecker für den Milliardenkredit bezahlen. Aber Strauß wollte ihm nicht zumuten, öffentlich zuzugeben, „dass sie von uns abhängig sind“. Trotzdem würde die DDR eben genau das sein. Möller zitiert Strauß, so wie der sich die Beziehungen zum Honecker-Regime dachte: „Die DDR muss von uns so abhängig werden, wie der Süchtige vom Heroin.“ Dann würde man schon mittelfristig fast alles von ihr bekommen. Für den Milliardenkredit gab es dann fast sofort den Abbau der Selbstschussanlagen. Möller: „Das war mehr als die Regierung Brandt erreicht hatte.“

Geronnene Erinnerungsbilder, die sich verselbständigt haben

Warum schreibt man eine Biographie über Franz Josef Strauß? Das hat sich auch der Biograph selber gefragt und dann vor dem Publikum der Hanns-Seidel-Stiftung gleich mehrere Antworten gegeben. Strauß war eine Figur  von „überragender politischer Bedeutung für die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik“. Wenige Figuren üben noch immer eine solche Faszination aus. Kein bundesrepublikanischer Politiker wird noch heute so oft erwähnt wie eben Strauß und außer ihm noch Adenauer. Viele glauben, alles über Strauß zu wissen. Aber es gab bislang keine richtige Biographie über ihn, erst recht keine historisch-wissenschaftliche. Es hat Möller verblüfft zu sehen, dass praktisch all die vielen Bücher und Schriften, die sich mit Strauß befassen, ohne Quellen auskommen.

Die Strauß-Gegner wollten sich wohl durch Quellen nicht stören lassen.

Horst Möller

Sicher, manche Quellen waren noch nicht zugänglich. So hat Möller zum ersten Mal 300 Regalmeter schriftlichen Strauß-Nachlass sichten dürfen. Aber auch seit Jahrzehnten zugängliche und sogar schon gedruckte Quellen – Kabinettsprotokolle, Sitzungsprotokolle der CSU-Landesgruppe oder von CSU-Vorstandssitzungen, Konrad-Adenauer-Nachlass – wurden nicht ausgewertet. Die Strauß-Gegner wollten sich wohl durch Quellen nicht stören lassen, schmunzelte Möller.

Das hat eine Folge: Unser heutiges Strauß-Bild, so Möller, bestehe weitgehend, „aus geronnenen Erinnerungsbildern, die sich verselbständigt haben“. Vor die historische Realität der Person Strauß habe sich ein „Schleier von Erinnerungen“ gelegt. Möller: „Erinnerungen bilden einen wesentlichen Teil der Geschichte, aber sie sind nicht identisch mit ihr.“

Weil ich es selber wissen wollte.

Horst Möller

Noch einmal: Warum also schreibt man so ein Buch? Möller gibt die für den Leser vielversprechendste Antwort: „Weil ich es selber wissen wollte.“ Bestimmte Fragen könne man halt nur durch akribische Quellenarbeit klären. „Das ist mühsam, aber das muss man machen, wenn man einen objektiven Anspruch hat.“ Möller hat also mit dem besten aller Historiker-Motive geschrieben: Neugier. Und echte, unbefangene Historiker-Neugier schreibt immer die schönsten Bücher.