Die Franziskaner-Schwestern von Ursberg versuchten, sich gegen die Deportationen von Behinderten zu wehren, allerdings vergeblich. (Foto: Dominikus-Ringeisen-Werk)
Gedenkakt

Keine Chance dem Rassismus

In einer bewegenden Gedenkveranstaltung im schwäbischen Ursberg hat der Landtag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, besonders an die Opfer des NS-Euthanasieprogramms. Die Gedenkrede hielt der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel.

„Die Geschichte und unsere Grundauffassung von der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen gebietet es, allen Versuchen von verfehltem Nationalismus, Rassismus und totalitärem Denken entschieden zu begegnen, die Feinde der Demokratie zu entlarven und für unsere freiheitliche Demokratie einzutreten. Das sind wir den Opfern der Diktatur schuldig“, betonte der frühere Bundesfinanzminister und CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel in seiner Gedenkrede im schwäbischen Ursberg. Auf Einladung von Landtagspräsidentin Barbara Stamm und des Direktors der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, waren zahlreiche Vertreter aus Politik, Kirche, Zentralrat der Juden und NS-Opfer-Organisationen zu dem Gedenkakt gekommen.

Es gilt jedes einzelnen Menschen zu gedenken, dessen unantastbare Würde durch ein menschenverachtendes Regime verletzt und mit Füßen getreten wurde.

Theo Waigel, früherer Bundesfinanzminister und CSU-Ehrenvorsitzender

Der Gedenkakt erinnerte vor allem an die 379 Ursberger Opfer und die europaweit 300.000 Opfer des Nazi-Euthanasieprogramms „Aktion T4“. 519 behinderte Bewohner des katholischen Dominikus-Ringeisen-Werks Ursberg waren zwischen 1939 und 1945 verschleppt worden, 379 der Deportierten wurden ermordet. Ein Teil dieser Menschen wurde vergast, einen weiteren Teil ließen die NS-Schergen verhungern, weitere starben bei medizinischen Experimenten. Die Ursberger Franziskaner-Schwestern, die die Behinderten betreut hatten, sowie mehrere Geistliche leisteten Widerstand gegen die Deportationen, konnten sich aber letztlich nicht gegen die Nazi-Schergen durchsetzen.

Wir wollen keinen Hass und keine Gewalt in unserer Gesellschaft. Egal, wodurch sie motiviert ist.

Karl Freller (CSU), Stiftungsdirektor

„Es ist der Sinn eines solchen Gedenkens, den grausamen Mord an so vielen darzustellen, um den Nachgeborenen vor Augen zu führen, wohin Nationalismus, Rassismus und Diktatur führen können“, betonte Theo Waigel. „Es gilt jedes einzelnen Menschen zu gedenken, dessen unantastbare Würde durch ein menschenverachtendes Regime verletzt und mit Füßen getreten wurde. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung waren sich dessen bewusst und haben diese unantastbare Menschenwürde in den Mittelpunkt der Grundrechte gestellt.“

Warnung vor Populisten und Radikalen

Karl Freller erklärte, der Mensch an sich sei in der Nazizeit nichts wert gewesen. „Menschenrechte wurden mit Füßen getreten und die Ideologie machte vor nichts Halt. Sie missbrauchte auch die Medizin für ihre Zwecke – die sich leider auch leicht missbrauchen ließ.“ Man stehe vor der Frage, was in der damaligen Gesellschaft passiert sei, dass sie die Verfolgung und Ermordung von Mitmenschen zugelassen hat. Wichtig, so der Stiftungsdirektor, sei insbesondere die Mahnung für heutige Generation: „Erinnern soll vor allem auch zum Nachdenken über unsere heutige Gesellschaft führen und darüber, wie wir unser Land jetzt und in Zukunft vor Populisten, Antisemiten sowie radikalen und menschenverachtenden Strömungen schützen können. Wir wollen keinen Hass und keine Gewalt in unserer Gesellschaft. Egal, wodurch sie motiviert ist.“

Wenn Menschen sich über Gott stellen, dann geschieht entsetzliches Unrecht und unvorstellbares Leid.

Barbara Stamm (CSU), Landtagspräsidentin

Landtagspräsidentin Barbara Stamm würdigte den Mut der Franziskaner-Schwestern und Priester, die versuchten, die Deportationen zu verhindern: „Auch damals gab es beherzte Menschen, die sich der Grausamkeit entgegenstellten, auch hier in dieser Einrichtung in Ursberg. Für diesen Mut sind wir bis heute dankbar.“ Die behinderten Menschen, die im Euthanasieprogramm gequält und ermordet wurden, nannte Stamm „die Schwächsten von allen, die man hätte schützen müssen“. Stattdessen hätten ihnen die Nazis ihr Mensch-Sein abgesprochen. „Sie wurden auf das Entsetzlichste gedemütigt und grausam zu Grunde gerichtet.“

Blaupause für den Holocaust

Die Mörder „in den Tötungsanstalten und an den Schreibtischen“ seien einer „zutiefst menschenverachtenden Logik“ gefolgt: „Sie begriffen ihre Morde nicht als Verbrechen, sondern als Dienst an der Gemeinschaft“, so Stamm. „Es ist für uns unvorstellbar. Es ist unerträglich.“ Die Durchführung des Euthanasieprogramms, habe den Nazis „als Muster für den späteren Massenmord in den Vernichtungslagern, den Holocaust“ gedient. Stamm betonte: „Wenn Menschen glauben, die Entscheidung treffen zu dürfen: ,Du sollst leben, und du nicht‘, wenn Menschen sich über Gott stellen, dann geschieht entsetzliches Unrecht und unvorstellbares Leid.“

Für ein ,Nie wieder‘ dürfen wir das dunkelste Kapitel unserer Geschichte nicht verdrängen oder vergessen.

Joachim Herrmann (CSU), Innenminister

Auch Innenminister Joachim Herrmann verwies auf die NS-Ideologie und die sogenannte „Rassenhygiene“: „Vom NS-Regime als ,Ballastexistenzen‘ verunglimpft, galt es diesem als staatliche Pflicht, sich der Behinderten und Kranken zu entledigen. Ihr Tod wurde als Einsparung für jeden ,gesunden Volksgenossen‘ verkauft.“ Man könne heute nicht wiedergutmachen, welch unsagbares Leid diesen Menschen zugefügt wurde, so Herrmann. „Was geschehen ist, können wir nicht ungeschehen machen. Aber wir setzen damit ein sichtbares Zeichen im Umgang mit unserer Geschichte und halten die Erinnerung daran wach. Denn für ein ,Nie wieder‘ dürfen wir das dunkelste Kapitel unserer Geschichte nicht verdrängen oder gar vergessen.“

Auch Behinderte, die vom Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg betreut werden, sowie Schüler des örtlichen Ringeisen-Gymnasiums gestalteten den Gedenkakt mit. Ein Gebärdenchor aus Behinderten und Nichtbehinderten sang das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ vom evangelischen Pfarrer und NS-Opfer Dietrich Bonhoeffer.