Eine Gedenktafel im ehemaligen Führerhauptquartier Wolfsschanze erinnert an das Attentat vom 20. Juli. (Foto Picture Alliance/Andreas Keuchel)
Zeitgeschichte

Lichtgestalten in finsteren Zeiten

Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Vor 75 Jahren misslang das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Eine Würdigung des Widerstands gegen das Regime der Nationalsozialisten von Harald Bergsdorf.

Am 20. Juli jährt sich das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenbergs auf Hitler zum 75. Mal. Das Datum gehört zu den wichtigsten in der deutschen Geschichte. Der Jahrestag bietet einen guten Grund, an das Attentat zu erinnern, es zu würdigen und gegen wohlfeile Kritik bis heute zu verteidigen. Denn nicht nur Hitler und seine Helfer versuchten nach dem Attentat bekanntlich, die Verschwörer als „kleine Clique ehrgeiziger und gewissenloser Offiziere“ zu diskreditieren. Bis heute verbreiten gerade auch Extremisten und Populisten verschiedener Couleur diverse Lügen und Halbwahrheiten über das Attentat, die Attentäter und ihre Mitverschwörer. Erstens kritisieren sie bis heute den späten Zeitpunkt des Attentats, zweitens bezweifeln sie die moralischen Motive der Attentäter und drittens bemängeln sie demokratische Defizite der Verschwörer, die Hitler nach dem Attentat mehrheitlich töten und deren Familien er verfolgen ließ („Sippenhaft“).

Missglückte Versuche

Die Kritik am späten Zeitpunkt des Attentats übergeht und unterschätzt sowohl die diversen Versuche weit vor dem 20. Juli 1944, Hitler zu töten, als auch grundsätzliche Schwierigkeiten, mit Hitler den Diktator eines totalitären Regimes zu eliminieren. Zu den Persönlichkeiten, die Hitler töten wollten, gehörte Generalmajor Rudolph-Christoph Freiherr von Gersdorff. Er wollte sich im März 1943 auf einer Ausstellung über Beutewaffen im Berliner Zeughaus mit Hitler in die Luft sprengen. Das misslang, weil Hitler den Ort der geplanten Tat vorzeitig verlassen hatte. Später schmuggelten Oberleutnant Fabian von Schlabrendorff und Generalmajor Henning von Tresckow eine Zeitbombe in Hitlers Flugzeug. Doch der Zünder versagte. Eberhard von Breitenbuch wiederum wollte Hitler erschießen, gelangte aber nicht in seine Nähe – alles nur wenige Beispiele von vielen Versuchen, Hitler zu töten.

Grundsätzlich hegten viele Wehrmachtsoffiziere, darunter gerade auch solche mit zumindest temporärem Zugang zu Hitler, anfangs Bedenken, ihren Eid auf den „Führer“ zu brechen, den sie geschworen hatten. Hierbei verkannten sie, die natürlich keine Pazifisten waren, ihre Pflicht, soldatischen Gehorsam zu verweigern, wenn Wissen und Gewissen es verbieten, Befehle eines Verbrecher-Regimes zu befolgen. Auch zweifelten manche Offiziere am Anfang des Krieges, als Hitler militärisch von Erfolg zu Erfolg eilte und in der Bevölkerung viel Unterstützung genoss, dass überhaupt eine Chance besteht, einen Umsturz erfolgreich durchzuführen. Denn nie gab es in Deutschland – anders als in den besetzten Ländern – eine Massenbewegung gegen Hitler, die den Widerstand hätte ermutigen oder gar mitreißen können. Ebenfalls hemmte viele Militärs der Gedanke, ausgerechnet im Krieg gegen die totalitäre Sowjetunion die eigene Führung zu eliminieren. Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Weimarer Republik fürchteten sie eine neue Art von Dolchstoßlegende als gravierende Belastung einer neuen Republik. Umso wichtiger waren der Mut und die Tatkraft Stauffenbergs und seiner Mitstreiter, zu deren Kompass und Kraftquellen gerade auch ihr christlicher Glaube gehörte – während viele Deutsche wie ein Boot ohne Ruder auf offener See umherirrten.

Haltlose Kritik an den Verschwörern

Andere Kritiker unterstellen den Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Merz von Quirnheim, Werner von Haeften, Ludwig Beck und Henning von Tresckow, sie hätten Hitler lediglich deshalb umbringen wollen, weil Deutschland unter Hitler 1944 eine militärische Niederlage drohte. Im Widerspruch dazu gab es eben viele Attentatsversuche. Im Kern ging es den Verschwörern darum, Hitlers Herrschaft des Verbrechens zu beseitigen, seine singulären Massenmorde an Juden und anderen Minderheiten zu beenden und die Diktatur zu stürzen. Schon der erste Satz des Entwurfs einer Regierungserklärung der Verschwörer für die Zeit nach einem Sturz des NS-Regimes betont: „Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts.“ Weiter heißt es im Text: „Die zerbrochene Freiheit des Geistes, des Gewissens, des Glaubens und der Meinung wird wiederhergestellt.“ Verschiedene Denkschriften der Verschwörer fordern die Achtung unveräußerlicher Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit. Sie wollten die Herrschaft des Unrechts durch eine Herrschaft des Rechts ersetzen – mit der Menschenwürde an der Spitze. Sie kämpften gegen das NS-Verbrecherregime und für Rechtsstaatlichkeit.

Axel von dem Bussche, damals 24 Jahre alt und ein Hauptprotagonist des Widerstands, motivierten – wie viele andere Mitverschwörer – vor allem die monströsen Massenverbrechen des Hitler-Regimes zur Tat. Anfang Oktober 1942 hatte er in der Ukraine beobachtet, wie Hitlers Helfer Tausende Juden exekutierten. Daraufhin erklärte er, er wolle sich mit dem Diktator bei der Vorführung neuer Uniformen in die Luft sprengen. Doch Hitler ließ den Termin mehrfach verlegen. Von dem Bussche ging danach zurück an die Front, erlitt später eine schwere Verwundung, verlor ein Bein und konnte daher keinen weiteren Vorstoß mehr wagen. Später sprach Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit dem jungen Ewald Heinrich von Kleist darüber, Hitler bei einer Uniformvorführung in die Luft zu sprengen. Von Kleist überlegte, das Attentat selbst auszuführen, erbat sich aber noch Bedenkzeit, um sich mit seinem Vater zu beraten, der befand: „Ja, das musst Du tun. Wer in einem solchen Moment versagt, wird nie wieder froh in seinem Leben.“ Doch Hitler ließ auch diese Uniformvorführung mehrfach absagen. Hitlers Massenmorde und seinen Vernichtungskrieg zu beenden, gehörte zu den Hauptmotiven des Widerstands.

Den entscheidenden Wurf wagen

Heute wäre es falsch, schlicht zu behaupten, das Attentat vom 20. Juli 1944 sei gescheitert – immerhin hatte sich Goebbels kurz nach dem Attentat schon Zyankali organisiert. Zwar misslang es, Hitler zu töten und Deutschland aus seinem Innern heraus von der NS-Diktatur zu befreien. Doch mit ihrer aufopferungsvollen und mutigen Tat, zu der sie sich durchgerungen hatten, gelang es den Verschwörern, der Welt zu zeigen, wie absurd es gewesen wäre, Deutschland als monolithisch-homogenes Land von Fanatikern, Kollaborateuren und Mitläufern abzuqualifizieren. Worum es den Verschwörern ging und wie sie die Chancen eines Attentats einschätzten, formulierte Henning von Tresckow kurz vor dem 20. Juli 1944: „Das Attentat muss erfolgen … Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“

Kurz nach Niederschlagung des Umsturzversuchs bilanzierte von Tresckow: „Wenn ich in wenigen Stunden vor den Richterstuhl Gottes treten werde, um Rechenschaft abzulegen über mein Tun und Unterlassen, so glaube ich mit gutem Gewissen das vertreten zu können, was ich im Kampf gegen Hitler getan habe. Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Wer in unseren Kreis eingetreten ist, hat damit das Nessushemd angezogen.“

Vorbilder bis heute

Tatsächlich erleichterte das Attentat nach dem Ende der „Hitlerei“ (Sebastian Haffner) die Rückkehr Westdeutschlands in den Kreis der westlichen Demokratien. So anerkannte nach dem Krieg unter anderem Winston Churchill das Attentat, das er im Krieg noch als „dog eats dog-affaire“ geschmäht hatte. Die Mehrheit der Westdeutschen würdigte Geist und Tat des Attentats nach dem Krieg erst allmählich. Gerade in den 50er-Jahren galten Stauffenberg und seine Mitverschwörer vielen Bundesbürgern als Verräter. Unter solchen Kritikern befanden sich seinerzeit viele frühere Mitläufer oder gar -täter.

Schließlich erklingt bis heute immer wieder die ahistorische und unpolitische Kritik aus dem Elfenbeinturm, wonach Stauffenberg und seine Mitstreiter keine Demokraten im Sinne der heutigen Bundesrepu­blik gewesen seien. Tatsächlich gab es unter den Verschwörern einige Protagonisten, die Hitlers Machtantritt anfangs unkritisch perzipiert oder gar freudig begrüßt hatten, weil sie sich – wie viele Deutsche – von seiner Propaganda, seinen Lügen und Scheinerfolgen hatten blenden lassen, darunter seine Wendung gegen den Versailler Vertrag.  Einige der späteren Verschwörer entwickelten nach dem 30. Januar 1933 erst allmählich eine kritischere Sicht auf Hitler und sein Regime, das viele Adelige ohnehin frühzeitig als gossenhaft empfanden. Grundsätzlich betrachteten Teile des Widerstands – nach dem Scheitern der Weimarer Republik –  die Demokratie lange Zeit skeptisch, die Aufstieg und Machteroberung Hitlers ermöglicht hatte.

Grundlage für die Demokratie

Später wollten viele von ihnen im Kampf gegen Hitler alte politische Gräben überwinden. So agierte mit und hinter Stauffenberg – neben weiteren Militärs – eine große Vielfalt an Persönlichkeiten, darunter Katholiken wie Alfred Delp und Joseph Wirmer, Protestanten wie Dietrich Bonhoeffer und Eugen Gerstenmaier und Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie Julius Leber und Wilhelm Leuschner. Sie kamen aus vielen Schichten und Regionen Deutschlands; sie überwanden viele jener Gegensätze, die sowohl zum Abstieg der Republik als auch zum Aufstieg der NSDAP beigetragen hatten. Dadurch legten sie, wie Helmut Kohl im Juli 2004 zum 60. Jahrestag des Attentats betonte, gute Grundlagen für den demokratischen Grundkonsens der Bundesrepublik, auf dessen Basis konstruktiver Parteienwettbewerb gedeiht.

Die tapferen Verschwörer des 20. Juli 1944 handelten wie „Lichtgestalten in finsteren Zeiten“ (Horst Möller). Ihre Tat war nicht erfolglos, sondern fungiert bis heute als Vorbild. Der 75. Jahrestag des mutigen Attentats mahnt, sich stets für die rechtsstaatliche Demokratie und gegen ihre Zerstörer aller Richtungen zu engagieren. Wachsamkeit gegenüber jeglichen Feinden der Freiheit bleibt eine wichtige Zukunftsaufgabe für alle Demokraten der unterschiedlichen Überzeugungen.

Harald Bergsdorf ist Politikwissenschaftler und Zeithistoriker.