So wie hier in Thüringen sitzt die AfD inzwischen in zehn deutschen Landtagen. (Foto: Imago/Pictureteam)
AfD

Entzaubern, aber nicht Verteufeln

Gastbeitrag Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: In der Auseinandersetzung mit der AfD kommt es darauf an, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und bestehende Probleme zu lösen. Eine Zusammenarbeit darf es nicht geben. Eine Analyse von Politikwissenschaftler Harald Bergsdorf.

Bei den Wahlen in diesem Jahr gelang es der AfD, beträchtliche Erfolge zu erzielen. Sie schaffte nicht nur den Sprung in fünf Landesparlamente, es gelang ihr teilweise sogar, die etablierten Volksparteien hinter sich zulassen: In Mecklenburg-Vorpommern kam sie vor der CDU, in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg vor der SPD ins Ziel. Inzwischen agiert die AfD in zehn Landtagen und im Europaparlament.

Die AfD-Wahlerfolge bedeuten eine strategische Herausforderung für die herkömmliche Parteienlandschaft. Einerseits gewinnt die AfD bislang von fast allen anderen Parteien (und aus dem Nichtwähler-„Lager“) mehr oder minder nennenswerte Stimmenanteile: sowohl von CDU/CSU und FDP als auch von SPD und Linkspartei. Andererseits erschweren Wahlerfolge der nicht-koalitionsfähigen AfD die Regierungsbildung. Dadurch steigt auf Bundesebene und in vielen Ländern die Wahrscheinlichkeit Großer Koalitionen oder gar heterogener Dreier-Bündnisse, von denen die AfD wiederum stark profitieren könnte. Das unterminierte die Stabilität der Parteienlandschaft und erschwerte sowohl die Regierungsbildung als auch das Regieren.

Zehn Punkte gegen die AfD

Umso wichtiger ist die politische Auseinandersetzung mit der AfD. Im Kern geht es weniger darum, AfD-Funktionäre, sondern primär AfD-Sympathisanten, deren Denken weniger verhärtet ist, für gemäßigte Politik zu gewinnen ­- mit gelassener Entschlossenheit gleichermaßen jenseits von Verteufelung und Verharmlosung der Partei. Zehn Punkte sind dabei besonders bedeutsam:

Aus Sicht der großen Mehrheit der Deutschen überfordert der Massenzuzug der letzten Monate die Bundesrepublik.

Harald Bergsdorf

1. Sorgen ernst nehmen: Zwar ist die AfD keine Formation der Differenzierung, sondern eher der Ressentiments, der Stimmungsmache und der Pauschalurteile – gegen Europa, gegen die USA, gegen Muslime, gegen Fremde und gegen „die Altparteien“. Doch es wäre wenig hilfreich, die AfD deshalb pauschal rechtsextrem zu nennen. Denn dadurch würden lupenreine Neonationalsozialisten und andere Antidemokraten verharmlost. Eine solche Agitation könnte bei AfD-Anhängern obendrein den Eindruck erwecken oder verstärken, sie sollten mundtot gemacht werden von Leuten, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrer Partei scheuen. Vielmehr ist es wichtig, die Sorgen von potenziellen AfD-Wählern ernst zu nehmen und zwar nicht nur durch die Analyse von Umfragen, sondern auch durch den direkten Dialog vor Ort mit frustrierten Wutbürgern, darunter ein hoher Anteil „kleiner Leute“ mit sozialen Abstiegsängsten.

Mehr sichere Herkunftsstaaten

2. Topthema Massenzuzug: Aus Sicht der großen Mehrheit der Deutschen überfordert der Massenzuzug der letzten Monate die Bundesrepublik. Tatsächlich handelt es sich bei der Mehrheit der Flüchtlinge um kaum qualifizierte Männer aus fremden Kulturkreisen mit schlechten Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Mehr noch: Viele Flüchtlinge stammen aus Ländern mit keinem hohen Maß an Juden- und Frauenfreundlichkeit. Schon heute gibt es in Deutschland viele schlecht integrierte Migranten, die einen hohen Prozentsatz an Langzeitarbeitslosen und Intensivtätern beisteuern. Umso wichtiger ist es, den Zuzug weiterhin deutlich zu senken. Dadurch entstehen bessere Voraussetzungen, um reale Probleme vor Ort zu lösen oder zu lindern und die Bedingungen für Integration zu verbessern. Das fordern gerade auch „kleine Leute“ und integrierte Migranten.

Mehrheitsfähig scheint nach wie vor eine abgewogene Asylpolitik, die weder weiteren Massenzuzug ermöglicht, noch eine Quasi-Komplett-Abschottung Deutschlands propagiert.

Harald Bergsdorf

3. Ausgewogene Asylpolitik: Jetzt geht es unter anderem darum, auch Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um Asylverfahren – bei minimalen Anerkennungsquoten – zu beschleunigen und das Asylrecht noch stärker auf wirklich Verfolgte zu konzentrieren. Grundsätzlich bleibt es bedeutsam, differenzierte Kritik am Massenzuzug nicht abzuqualifizieren und in der Asyldebatte weder Flüchtlinge zu verunglimpfen oder pauschal zu verurteilen noch gravierende Probleme zu vertuschen oder zu verniedlichen, darunter Bildungsdefizite, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Extremismus.

In der Asyldebatte zählen Fakten

Mehrheitsfähig scheint nach wie vor eine abgewogene Asylpolitik, die weder weiteren Massenzuzug ermöglicht, noch eine Quasi-Komplett-Abschottung Deutschlands propagiert, sondern ohne Über- oder Untertreibungen auf Maß und Mitte setzt. Die zerstrittene AfD hingegen kann kaum ein Interesse an weniger Zuwanderung und mehr Integration haben, weil sie dadurch ihr wichtigstes Mobilisierungsthema verlöre. Daher spricht sie aktuell auch wenig über die jüngsten Verschärfungen des Asylrechts und die – seit 2015 – stark rückläufigen Asylbewerberzahlen. Umso wichtiger ist es, in der Asyldebatte auf die relevanten Fakten zu verweisen.

4. Bedarf an Zuwanderung: Deutschland braucht weiterhin (qualifizierte) Zuwanderung. So fehlen bereits heute Alten- und Krankenpfleger. Gefragt sind unter anderem ebenfalls Ingenieure und Computerexperten. Seit langer Zeit bereichert die große Mehrheit der Migranten Deutschland – materiell und immateriell. Ohne Kräfte aus Polen, Rumänien und Bulgarien gäbe wahrscheinlich kaum einheimisches Obst und Gemüse, die sich nicht von selbst ernten; ohne ausländische Reinigungskräfte erstickten wir im Müll; ohne ausländische Ärzte und Priester gäbe es vielenorts schon heute mehr medizinische und seelsorgerische Unterversorgung.

No-Go-Areas müssen verhindert werden

5. Kampf gegen Kriminalität: Hohe Kriminalität von Aus- und Inländern ist vielenorts nicht nur ein subjektives, sondern auch ein objektives Problem. Deshalb ist es bedeutsam, Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen. Das gehört zu den Hauptaufgaben von freiheitlicher Politik, gerade in einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. Vor allem im schwachen Staat erklingen Rufe nach einem „starken Mann“. Sicherheit ist eine Voraussetzung für Freiheit – und kein grundsätzlicher Gegensatz zu ihr. Freiheit ohne Sicherheit mündete letztlich in Anarchie und Sozialdarwinismus. Parallel- oder gar Gegengesellschaften sind daher ebenso zu verhindern wie no-go-areas für gesetzestreue Bürger. Ein hohes Niveau an öffentlicher Sicherheit fördert letztlich Zusammenhalt und Lebensqualität eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens.

Gerade Schwache – Kinder, Frauen und Ältere – leiden, wenn der Staat im Kampf gegen Kriminelle Schwäche zeigt.

Harald Bergsdorf

6. Bedeutung öffentlicher Sicherheit für „kleine Leute“: Von hoher Kriminalität sind „kleine Leute“ besonders betroffen. Denn während der Klinikchef abends nach dem Kinobesuch mit dem Taxi oder seinem Auto (oder gar einem Fahrer) nach Hause fährt, muss die normale Krankenschwester oder Kellnerin nach der Spätschicht den ÖPNV nutzen oder zu Fuß beziehungsweise mit dem Fahrrad unsichere Orte überwinden. Gegen das Recht des Stärkeren gilt es deshalb, die Stärke des Rechts durchzusetzen. Gerade Schwache – Kinder, Frauen und Ältere – leiden, wenn der Staat im Kampf gegen Kriminelle Schwäche zeigt.

Kampf gegen Kriminalität ist zentral

Im Kontrast zur Rhetorik mancher Politiker fürchtet sich die Mehrzahl der Wahlberechtigten mehr vor (privaten) Verbrechern als vor einem angeblichen Überwachungsstaat. Die meisten Wahlberechtigten entscheiden sich im Zweifel eher für ihre körperliche Unversehrtheit als für informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz. Kampf gegen Kriminalität ist insgesamt kein Randthema, sondern ein Zentralthema der politischen Mitte, gerade auch in Zeiten wie diesen.

Gerade durch seine EU-Mitgliedschaft ist Deutschland heute ein starkes Land.

Harald Bergsdorf

7. Wider einseitige EU-Kritik: Obwohl das EU-Thema in AfD-Einlassungen inzwischen in den Hintergrund gerückt ist, kritisiert die Partei immer noch die europäische Integration, insbesondere den Euro. Tatsächlich ist der Euro heute viel stabiler als es die D-Mark in langen Perioden war, etwa in den 70er Jahren und anfangs der 1980er Jahre. Die Kritik von AfD & Co., die EU-Kommission unterjoche die Nationalstaaten, ignoriert den Hauptakteur in der EU, den Europäischen Rat aus demokratisch legitimierten Regierungschefs ebenjener Nationalstaaten.

Wer die europäische Integration – wie AfD & Co. – insgesamt schwächen will, schwächt Deutschland, das viele Herausforderungen (Umwelt, Kriminalität, Wirtschaft) eben nur im engen Austausch mit anderen EU-Ländern meistern kann. Gerade durch seine EU-Mitgliedschaft ist Deutschland heute ein starkes Land. Umgekehrt würde ein Rückzug ins nationale Schneckenhaus Deutschland international isolieren und schwächen. Das wäre eine Katastrophe für Wirtschaft und Arbeitsplätze in Deutschland.

Widersprüche der Afd aufdecken

8. AfD in TV-Debatten inhaltlich widerlegen: Seit Monaten präsentieren sich AfD-Vertreter häufig in Talkshows. Wenn AfD-Politiker im Fernsehen diskutieren, ist es wichtig, ihre Parolen sachkundig und sachlich zu widerlegen – ohne Hysterie, ohne Naivität oder eine Mischung aus beidem. Thematisiert gehört zum Beispiel das Lob der Partei für die Innere Sicherheit in der SED-Diktatur. Ebenfalls stärker diskutiert gehört die AfD-Forderung, im schulischen Geschichtsunterricht stärker das 19. und damit weniger das 20. Jahrhundert zu behandeln, um dadurch mutmaßlich NS- und SED-Nostalgiker zu erfreuen – eine Art Politik mit verdeckten Signalen, die nur geübte Ohren verstehen. Solche Andeutungen sind stärker zu decodieren und zu entschlüsseln.

Stärker widerlegt gehört auch die antimuslimische Pauschalkritik der kirchenfeindlichen und antiwestlichen AfD, die Wasser auf die Mühlen von Islamisten und ihre Opfer-Rhetorik leitet. Daneben ist es wichtig, die antisemitischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Agitationsmuster stärker zu entlarven, die AfD-Führungspersonen regelmäßig als mehr oder minder wohlkalkulierte Provokationen absondern (u.a. antisemitische Äußerungen; angebliches Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern; Agitation gegen farbige Deutsche; „Schießbefehl“ an deutschen Grenzen gegen Flüchtlinge; Versuche, den NS-Begriff „völkisch“ positiv zu konnotieren). Wenn Rechtspopulisten schließlich einerseits gegen „die Lügenpresse“ agitieren, um andererseits Putin zu heroisieren, gehören auch solche Widersprüche stärker aufdeckt.

Wenn demokratische Parteien populistischen und extremistischen Formationen Koalitionsfähigkeit zubilligen, gewinnen solche Kräfte die Chance, für sich sogar als potentielle Regierungsparteien zu werben.

Harald Bergsdorf

9. Keine Koalitionen mit der AfD: Gemäßigte Parteien und demokratische Politik dürfen sich keinesfalls von Populisten und Extremisten abhängig machen. Es darf vor allem keine Koalitionen mit der AfD geben, auch wenn es irgendwo und irgendwann noch so schwer fallen mag, Mehrheiten zu bilden. Wenn demokratische Parteien populistischen und extremistischen Formationen Koalitionsfähigkeit zubilligen, gewinnen solche Kräfte die Chance, für sich sogar als potentielle Regierungsparteien zu werben.

Probleme klar benennen

Zwar heißt es immer wieder, populistische und extremistische Parteien, die nirgendwo Regierungsverantwortung tragen (müssen), sollten in Exekutiven zeigen, was sie (nicht) können. Doch wer solche Parteien und Politiker in Regierungen nimmt, um sie zu „entzaubern“ und/oder als Mehrheitsbeschaffer zu nutzen, hilft möglicherweise, solche Kräfte zu akkreditieren und zu banalisieren, gibt ihnen bessere Chancen, die eigene Klientel zu bedienen, erleichtert ihnen den Zugang zu den Massenmedien und unterschätzt ihre Fähigkeit beziehungsweise Bereitschaft, sowohl die Regierungspartei als auch Fundamentalopposition zu mimen.

10. In Auseinandersetzungen mit Populisten und Extremisten ist schließlich eine bürgerfreundliche Sprache wichtig – also kein Politsprech nach dem Motto: „Eine solide Grundlage liefert eine hervorragende Voraussetzung für eine gute Basis“. Vielmehr geht es darum, sowohl die Kunst zur Differenzierung zu beweisen als auch zur Klarheit (Beispiel: „Fremdenfreundlichkeit ja, Verbrecherfreundlichkeit nein“). Die Herausforderung besteht darin, die Komplexität der Probleme in einer möglichst einfachen Sprache zu benennen, die auch Leute verstehen, deren Hauptbeschäftigung nicht Politik ist.

Zum Autor:

Harald Bergsdorf ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher aus Bonn.