Mehr als 70 Jahre nach Hitlers Tod: "Mein Kampf. Eine kritische Edition", wie sie das Münchner Institut für Zeitgeschichte im Januar präsentierte. (Foto: Imago/epd)
Sachbuch

Forscherpreis für „Mein Kampf“-Edition

Die Leibniz-Gemeinschaft prämiert die historisch-kritische Ausgabe von Hitlers Propaganda-Machwerk, die das Münchner Institut für Zeitgeschichte Anfang des Jahres veröffentlicht hat. Mehr als 80.000 Exemplare davon hat das Institut bereits verkauft und sogar zwei Wochen lang die Spitze der Bestsellerliste erreicht - ausgerechnet im April.

Mehr als zwölf Millionen Mal wurde Adolf Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“ zwischen ihrer ersten Veröffentlichung 1925 und dem Ende des Dritten Reiches 1945 gedruckt und verbreitet. Seit Januar 2016 kamen in Deutschland noch einmal 80.000 verkaufte Exemplare hinzu – allerdings in einer so genannten kritischen Ausgabe, die das Institut für Zeitgeschichte in München erarbeitet und in Buchform publiziert hat. Dieses Werk erhält nun einen hoch dotierten Wissenschaftspreis. „Der Historiker Christian Hartmann und sein Team schließen mit der historisch-kritischen Edition von ‚Mein Kampf‘ eine große Lücke in der Forschung über den Nationalsozialismus in Deutschland“, teilt die Leibniz-Gesellschaft mit. Die Publikation zeige „Hitlers Falschaussagen und Verdrehungen auf“, korrigiere sachliche Fehler und erläutere den zeitgenössischen Kontext.

Viele Wochen in der Top Ten

Dass der Autor Hitler es wenig mehr als sieben Jahrzehnte nach seinem Tod noch einmal an die Spitze der deutschen Bestsellerlisten schaffen könnte, hatte Kritiker des Projekts Anfang des Jahres schwer erbost. Ausgerechnet im April war es dann tatsächlich soweit, zwei Wochen lang erklomm „Mein Kampf. Eine kritische Edition“ Platz 1 der Charts. „Das war aber eine rein zufällige Koinzidenz mit Hitlers Geburtsdatum am 20. April“, versichert Simone Paulmichl, Sprecherin des Instituts für Zeitgeschichte. Der Verkaufserfolg habe mit der Auslieferung einer neue Druckauflage des Bandes zu tun gehabt. Inzwischen liegt die Edition in der 5. Auflage vor. Allerdings hatte sie noch weitaus längere Zeit in der Top Ten der Buchcharts gestanden.

Die meisten Leser wären überfordert, wenn sie die Lügen alle selbst entdecken müssten. Es ist die Verantwortung des Historikers, das einmal alles richtigzustellen.

Christian Hartmann, Institut für Zeitgeschichte

Die Veröffentlichung der kommentierten Ausgabe hatte zur Jahreswende eine Debatte über den Umgang mit „Mein Kampf“ entfacht. Zum Ende 2015 waren die Urheberrechte ausgelaufen, die bis 70 Jahre nach dem Tod eines Autors gelten und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beim Freistaat Bayern lagen. Somit könnte nun grundsätzlich jeder das antisemitische und aggressiv hetzerische Buch nachdrucken. Ohnehin geistert es in verschiedenen Versionen seit langem im Netz herum. Unkommentiert von Historikern, umwabert vom Mythos eines verbotenen Buchs. Den düsteren Dunst um das aus zahlreichen obskuren Quellen zusammengetragene Werk wollte Chefforscher Hartmann lichten, indem er sie akribisch auflistet und erklärt. Insgesamt 3500 Anmerkungen hat seine Forschermannschaft zusammengetragen. „Die kritische Edition hat genau das Ziel, zur politischen Bildung beizutragen“, sagte er zur Veröffentlichung.

3500 Anmerkungen für 800 Seiten Text

Bayerns Bildungs- und Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle hingegen zog die anfängliche Unterstützung seines Ministeriums für das Forschungsprojekt vor der Drucklegung zurück. „Für die Bayerische Staatsregierung ist nach intensiven Gesprächen mit Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und deren Angehörigen klar, dass für diese eine Neuausgabe von ‚Mein Kampf‘ eine tiefe Verletzung darstellen würde“, erklärte der Minister Anfang Januar. Allerdings konzedierte Spaenle: „Eine historisch-kritische Quellenarbeit mit der Schandschrift ‚Mein Kampf‘ kann in der Verantwortung der Lehrkräfte mit entsprechender fachlicher und didaktischer Vorbereitung auch im Unterricht einen unmittelbaren Zugang von Schülern zu dieser Schlüsselquelle der Zeitgeschichte ermöglichen.“

‚Mein Kampf‘ beinhaltet als historische Quelle die ideologischen Grundlagen Hitlers für seine radikalen und menschenverachtenden Ziele.

Ludwig Spaenle, Bildungs- und Wissenschaftsminister

Sein Kultusministerium reagierte mit Broschüren und Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer an bayerischen Schulen auf die Veröffentlichung der nun von der Leibniz-Gemeinschaft prämierten kritischen Edition. Der mit 50.000 Euro dotierte Wissenschaftspreis wird am 23. November bei der Jahrestagung des Forschungsverbundes in Berlin verliehen.