Britische Faszination für's Dritte Reich: Plakatwerbung für Harris' neuen Roman beim London Book Fair. (Foto: Imago/B.Strenske)
Thriller

Rückkehr ins Reich

Mit dem Krimi "München" reist Bestsellerautor Robert Harris retour in die Epoche, in der schon sein Welterfolg "Vaterland" spielte: ins Dritte Reich. Rund um die Münchner Konferenz von 1938 planen darin Verschwörer die Beseitigung Hitlers.

Eine einzige Sache irritierte den britischen Bestsellerautor Nick Hornby anfangs an seinem Schwager, dem britischen Bestsellerautor Robert Harris: „Sein enormes Bücherregal, das fast vollständig mit Büchern über das Dritte Reich gefüllt war. In seinem Appartment gab es mehr Hakenkreuze als im gesamten besetzten Frankreich.“ Als dem Ehemann von Hornbys Schwester Gill jedoch 1992 mit dem Nazi-Noir-Krimi „Vaterland“ sein erster Welterfolg gelang, lösten sich die innerfamiliären Zweifel wegen Harris‘ Obsession mit Hitler-Deutschland auf.

Römer, Briten und wieder Nazis

Seit dem Buch-Hit hat Harris das Thema, so gut es einem Besessenen möglich ist, umgangen. Er hat Werke über das Römische Imperium („Pompeji“, eine Cicero-Trilogie), Tony Blairs Großbritannien („Ghost“), den Vatikan („Konklave“) verfasst – um nun ein Vierteljahrhundert später doch wieder zur braunen Diktatur zurückzukehren. Very british. Harris neuer Roman heißt „München“, er handelt von der Münchner Konferenz 1938, bei der Adolf Hitler dem britischen Premierminister Neville Chamberlain und dessen französischem Kollegen Edouard Daladier das Sudetenland abpresste.

Für die Rahmenhandlung des Politthrillers haucht der Autor einer eher den Connaisseuren bekannten Volte der NS-Geschichte neues fiktionales Leben ein: der „Septemberverschwörung“, bei der sich rund um die Münchner Konferenz eine Gruppe von Berliner Ministerialen und Militärs zur Beseitigung oder Festnahme Hitlers verabredet hatte, sollte dieser einen Krieg beginnen. Da Chamberlains Appeasement-Politik aber noch einmal den Frieden rettete, zerfiel die Gruppe mitsamt ihrem Plan. Wie dramatisch das abgelaufen sein könnte, schildert Harris anhand zweier erfundener Konferenz-Teilnehmer: des Außenamtsmitarbeiters Paul von Hartmann und des Chamberlain-Sekretärs Hugh Legat.

Hartmann und Legat kennen einander vom Studium in Oxford vor 1933. Der Deutsche versucht dem Briten während der Tagung im „Führerbau“ brisantes Material über die wahren, unfriedlichen Intentionen des Diktators zuzuspielen. In sich immer heftiger überschlagenden Ereignissen, während derer im Hintergrund des Romans die Konferenz abläuft, wird Hartmann beinahe von Gestapo und SS festgenommen. Legat werden die durchgestochenen Papiere geklaut, und nur eine noch turbulentere Wendung verhindert die Katastrophe beider Freunde.

Ich liebe München, bin hier seit Jahrzehnten regelmäßig – und ich bin nicht besessen.

Robert Harris, Schriftsteller

Dass der Ex-Journalist Harris ein begeisterter Rechercheur und Originalschauplatz-Besichtiger ist, beweist er auch mit „München“. Während der Arbeit hat der Autor die Stadt auf den Spuren von 1938 erkundet. Am Maximiliansplatz hat er die Zentrale des Versicherungsunternehmens LV 1871 besucht. Im Foyer der recht schmucklosen Immobilie ist noch spürbar, dass sie einst das Regina-Palast-Hotel war, in dem Premier Chamberlain logierte. Harris ist die Wege über den Karolinen- zum Königsplatz abgelaufen. Ausgiebig hat er die Musikhochschule inspiziert, die heute im einstigen „Führerbau“ ist, und mithilfe alter Film- und Fotoaufnahmen, Protokolle, Zeitungsausschnitte den Ablauf und die Atmosphäre der Konferenz rekonstruiert. Und er hat die Münchner Behörden überzeugt, dass er in der Polizeiinspektion am Prinzregentenplatz die vormalige Privatwohnung Hitlers besichtigen kann.

Sightseeing im Dritten Reich

So schildert Harris seinen Krimi-Plot vor historisch präzise recherchierten Kulissen. Und dennoch erzeugt er nicht wie in seinem Bestseller „Vaterland“ diese großartigen Bilder im Kopf seiner Leser. Zwar rasen Hartmann und Legat in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Auto zum Konzentrationslager nach Dachau, sicherlich nicht die gebotene Sightseeing-Aktion für einen britischen Diplomaten im Jahr 1938. Die beiden starren ins Licht der Scheinwerfer vom Wachturm. Einige Dutzend Seiten später treffen sie sich als Mitglieder der deutschen respektive der britischen Delegation in Hitlers Wohnung wieder. Legat beschreibt die muffige Stimmung in den Räumen. Doch aus solchen Szenen folgt für die Handlung des Romans wenig. Eher wirken die Hauptfiguren so, als wären sie wie ihr Autor fasziniert, auch einmal diese Gruselorte der Geschichte zu begehen.

Die Spannung von Hartmanns geheimen Machenschaften baut Harris freilich mitreißend auf. Zudem gelingt ihm ein Porträt des Politikers Chamberlain in mildem Licht, dessen Friedensbemühungen viele Historiker wenig gnädig aburteilen. Statt eines weltpolitischen Naivlings sieht Harris in ihm einen entschlossenen Demokraten, der auch mit Autokraten um jedes Komma eines Vertrags ringt, um den „Frieden in unserer Zeit“ zu sichern. Dass sich das Wissen seiner Figuren sehr offensichtlich aus seinen heutigen Recherchen speist, lässt jedoch vieles in „München“ lexikalisch und recht papieren wirken. So spekuliert Hartmann im Ton des intimen Kenners über Hitlers Sex mit Eva Braun, mutmaßt Legat über Hitlers Affäre mit seiner Nichte Angela Raubal. Aber das alles in einem expliziten Jargon, der für Herren in den 1930er-Jahren eher unwahrscheinlich klingt. Saftige Details aus Hitlers Horizontale, wie sie auch britische Boulevardzeitungen ungerne verschweigen.

Die WWW-Spekulation

Am Laufen hält den Roman die Was-wäre-wenn-Spekulation. Hätte eine geglückte Septemberverschwörung den Lauf der Geschichte verändert? Eine leider allzu hypothetische Frage, denn im Gegensatz zu Stauffenbergs „Unternehmen Walküre“ vom Juli 1944 reifte sie nie vom Plan zur Tat. Auch das trägt dazu bei, dass „München“ zwar ein spannender Roman geworden ist, der aber nicht an frühere seines Verfassers heranreicht. Eher ein weiteres Nebenwerk in den Regalen der schier unüberschaubaren Weltbibliothek zum Thema „Drittes Reich“. Schwager Hornby muss sich nicht allzu sehr darüber wundern.