Strategien gegen den Populismus (v.l.): Ursula Männle, der frühere tschechische Premier Vladimir Spidla, Ordrej Matejka, Claudia Stamm, Robert Zurek und Grigorij Meseznikow. (Foto: Wolfram Göll)
Populismus

Klartext und direkter Kontakt

Über Ursachen des Populismus und demokratische Gegenstrategien haben Experten aus sechs mitteleuropäischen Staaten in Brünn beraten: Persönliche Ansprache der Wähler, klare Aussagen und Positionen der Parteien sind gute Instrumente. Zum „Dialog in der Mitte Europas“ hatte die Ackermann-Gemeinde nach Mähren geladen.

Persönlicher Kontakt der Politiker mit den Wählern, aktive Bürgerbeteiligung, klare Aussagen der Machthaber statt technokratisch-gestelzter Phrasen, aber auch sachliche und faire Berichterstattung in den Medien: Das sind nach Auffassung von Experten aus sechs Ländern die besten Mittel der Demokraten, den Populisten das Wasser abzugraben.

Nötig sind möglichst kleine Wahlkreise und die Möglichkeit, einzelne Politiker auf den Listen nach vorn zu wählen.

Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung

Beim „Dialog in der Mitte Europas“ in der mährischen Hauptstadt Brünn (Brno) hatten sich mehr als 300 Bürger, Politiker, Politikwissenschaftler, Kirchenleute und Publizisten getroffen, um über den Populismus in Europa zu beraten. Organisator der Veranstaltung war der Bundesvorsitzende der sudetendeutschen Ackermann-Gemeinde, der frühere CSU-Europaparlamentarier Martin Kastler.

Persönlicher Kontakt ist wichtig

„Wir haben in einer Studie festgestellt, dass Politiker allgemein von immer mehr Bürgern für unfähig, korrupt und so weiter gehalten werden“, berichtete die CSU-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), Ursula Männle. „Aber: Die konkreten Politiker vor Ort, die die Bürger persönlich kannten, wurden viel, viel positiver beurteilt. Das bedeutet, dass die Politiker dringend ihre Wahlkreisarbeit verstärken und den persönlichen Kontakt mit den Wählern intensivieren müssen.“

Klartext, profilierte Parteien, flexibles Wahlrecht

Dazu, dass sich die Wähler wieder ernst genommen fühlen, könne auch ein flexibles Wahlrecht beitragen – wie etwa in Bayern, so Männle weiter: „Wenn ich nur Listen wählen kann, auf deren Reihung ich keinen Einfluss nehmen kann, fühle ich mich machtlos. Nötig sind also möglichst kleine Wahlkreise und die Möglichkeit, einzelne Politiker auf den Listen nach vorn zu wählen.“

Die repräsentative Demokratie hängt ganz wesentlich von klar profilierten Parteien ab, die eine klare Sprache benutzen und auf die sich die Leute hinsichtlich ihrer Positionen und Ziele verlassen können.

Vladimir Spidla (CSSD), früherer tschechischer Premierminister und EU-Kommissar

Der frühere tschechische Premierminister und EU-Kommissar Vladimir Spidla brach eine Lanze für funktionierende, diskussionsfreudige Parteien und eine klar strukturierte Parteipresse: „Unsere liberale, repräsentative Demokratie hängt ganz wesentlich von klar profilierten Parteien ab, die eine klare Sprache benutzen und auf die sich die Leute hinsichtlich ihrer Positionen und Ziele verlassen können.“ Zudem bräuchten die Parteien auch eigene Parteimedien, die die Position der Partei klar darstellten und zur Profilierung der Partei beitragen, so der Sozialdemokrat Spidla.

Großes Interesse an Werten und Orientierung

Populisten machten die Menschen rhetorisch zur Masse, so Spidla weiter – und setzten sich selbst als Sprecher des vermeintlichen Volkswillens ein. Der technische Fortschritt, künstliche Intelligenz sowie das Internet leisteten dieser „Vermassung“ der Gesellschaft Vorschub. Die Aufgabe der Demokraten sei es daher, eine „Missionstätigkeit“ gegen diese Tendenz und für die liberalen, demokratischen Werte aufzunehmen. Der frühere Prager Premier attackierte insbesondere die Leitmedien, die die Politik immer mehr zur konfliktorientierten „Reality-Show“ machten und immer weniger die gegensätzlichen Sachpositionen erklärten.

Auch Ursula Männle kritisierte die Fernseh-Talkshows, in denen die Politiker „aufeinander gehetzt“ würden. Dabei gerieten häufig die gemeinsamen Werte der Demokraten aus dem Blick. In der täglichen Arbeit registriere die HSS ein massiv anwachsendes Interesse an den christlich-abendländischen Werten, den Grundlagen der Demokratie. Allerdings seien viele Bürger auch desorientiert und sehnten sich nach Erklärung und Orientierung. „Vor zehn Jahren hätten wir ein Seminar mit dem Titel ,Werte unserer Gesellschaft‘ wahrscheinlich mangels Interesse absagen müssen. Heute müssten wir dagegen drei, vier Zusatz-Termine anbieten, so ist die Nachfrage gestiegen“, so Männle.

Früher waren mehr kantige Typen in der Politik – wie Brandt und Strauß.

Claudia Stamm

Die Populisten seien eine laute Minderheit, aber eben eine Minderheit, betonte die bayerische Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, die kürzlich aus den Grünen ausgetreten ist und derzeit plant, eine Partei links von den Grünen zu gründen. Zwar griffen die Populisten die Demokratie an, gleichzeitig gehöre der Populismus aber auch zur Demokratie dazu, sagte Stamm. „Dem Volk aufs Maul schauen und sich verständlich ausdrücken, das sollten eigentlich alle Politiker beherzigen.“ Stamm diagnostizierte, dass in früheren Jahrzehnten mehr kantige Typen die Debatten beherrscht hätten, wie etwa Brandt und Strauß. Diese hätten ihre Anhänger ganz anders als heute üblich begeistert und an die demokratischen Parteien gebunden.

Linke sehen nur Rechtspopulisten

Claudia Stamm reduzierte wie fast alle Linken den Begriff Populismus aber nur auf Rechtspopulismus. Von Linkspopulisten drohe derzeit kein erkennbarer Schaden, behauptete sie – und ignorierte dabei entsprechende Parteien beispielsweise in Griechenland, Spanien, Frankreich, Slowakei oder Deutschland. Gleichzetig lieferte Claudia Stamm mit ihrer Forderung nach staatlicher Umverteilung von Vermögen durch Wiedereinführung der Vermögensteuer und deutlich höherer Erbschaftsteuer selbst einige Beispiele für linkspopulistische Rhetorik.